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Bild gefunden bei: Natalie Sisson's - The Suitcase Entrepeneur |
Eine Auswahl der Phrasen:
Das Prostitutionsgesetz wollte die Stellung der Prostituierten stärken, sie entstigmatisieren, ihnen Rechte gegenüber den Freiern einräumen und Zugang zu Sozialversicherungen ermöglichen.
Nein. Sorry. Das wollte es nicht. Das haben wir mal gedacht.
Aus heutiger Perspektive betrachtet, hatte es drei Ziele:
- Frauen dazu zu bringen, in die sozialen Sicherungssysteme einzuzahlen
- die Millionengewinne aus Bordellbetrieb und Zuhälterei endlich so zu legalisieren, dass sie in die reguläre Wirtschaft investiert werden können
- aus der Sexindustrie einen für den Staat zugänglichen und profitablen Geschäftszweig zu machen.
Es ist durchaus schmerzhaft, sich das einzugestehen. Denn
ich glaube den Grünen, jedenfalls den meisten, den SozialdemokratInnen,
jedenfalls den meisten, den Mitgliedern der LINKEN, jedenfalls den meisten,
dass sie wirklich denken, es sei um die Frauen gegangen. Ich habe das damals
auch geglaubt. Aber das Gesetz entstand zusammen mit Hartz IV, Änderungen im
Renten- und Unterhaltsrecht – und langsam dämmert es sehr vielen von uns, was
diese Gesetze gerade für Frauen bedeuten. Stichpunkte sind Armutseinstieg durch
Kinder und vorprogrammierte Altersarmut. Es ist an der Zeit, dass besonders die
Frauen unter den Grünen, der SPD und der LINKEN erkennen, dass sie hier über
den Tisch gezogen wurden, dass ihre Bereitschaft zu helfen manipuliert und übelst
ausgenutzt wurde. Dass unser Mangel an feministischen Denken dazu führte, dass
wir dem Marketing und den politischen Lobby-Taktiken einer milliardenschweren
Industrie nichts entgegen zu setzen hatten. Zum Schaden derer, denen wir helfen
wollten.
Phrase Nr.2:
Prostitution, „so wie sie heute besteht“, ist sexistisch und
gewaltbesetzt.
Nein – nicht „so wie sie heute besteht“ – anders gibt es sie
nicht. Die Option auf eine völlig andere, "nicht so, wie sie heute
besteht", ist nicht gegeben und kann auch nicht durch irgendwelche von
jeglichen Fakten und Inhalten befreite Setzungen und Argumentationsstränge
herbei geredet werden. Das Problem liegt nicht in der Darstellung der
Prostitution, sondern in den ihr inhärenten Strukturen der Gewalt, der Machtverhältnisse
und der Ausbeutung. Der Versuch, Sexismusdebatten und –diskurse von ihr
abzulösen ist absurd bis fahrlässig, als würde die Gewalt in der Prostitution
verschwinden, nur weil nicht darüber geredet wird, nur weil die hübsche,
positive „Repräsentation“ der Prostitution dann so dominant wird, dass Gewalt
in ihr endlich als „Ausnahme“ erkannt und angegangen werden kann. Ganz ehrlich:
Das schaffen wir ja nicht mal im sonstigen Alltag von Frauen. Um es mit einem
gewissen Sarkasmus zu verdeutlichen: Schaffen wir doch endlich das Patriarchat,
die sexuelle Gewalt und Unterdrückung ab und ersetzen sie durch die völlige
Gleichstellung von Männern und Frauen mit völliger, von allen als
selbstverständlich angesehenen Gleichheit in Rechten auf sexuelle Lust, Unlust
und Freiheit. Und wenn wir das auf allen Ebenen des Zusammenlebens erreicht
haben, dann dürft ihr zu Belohnung noch einmal von der glücklichen Prostitution
reden.
Gleichzeitig verdeutlicht dieses etwas verzweifelte
Wiederholen der Phrase „so wie sie heute besteht“, dass immer noch gehofft
wird, dass jetzige Probleme im Umgang mit Prostitution einfach durch eine
„andere Prostitution“ von selbst verschwinden. Hier geht es eher um Harmoniesucht
in der Debatte seitens derer, die hier vermitteln wollen (was durchaus für sie
spricht) als um die Situation der konkreten Frauen und anderer in der
Prostitution oder um die Prostitution an sich.
Daraus kann jedoch kein praktikabler Ansatz entwickelt
werden. Es ist schlicht nicht möglich ohne zu Heucheln einen
„Empowerment-Diskurs in und für die Prostitution“ anzubieten und gleichzeitig
die Prostitution an sich zu kritisieren.
Es gibt sehr viele Ansätze akzeptierender Sozialarbeit
(wobei ich keine einzige Frau auf der Welt damit zwangsbeglücken will!!), die
durchaus die Gewalt und Problematik, die Gefährdung der GesprächspartnerInnen
anerkennen und auch ansprechen. Ein Empowerment-Diskurs, der den Blick auf die
Ressourcen der einzelnen Frau, des einzelnen Mannes legt, auf ihre Stärken und
Chancen, sich ein sicheres Leben zu wählen – durchaus! Ein
„Empowerment-Diskurs“, der die konkreten Lebensumstände der betroffenen
Personen schlechterdings leugnet, ist empathiebefreit und zynisch.
Also wird gerne über Prostitution geredet – denn „Reden“ ist
grundsätzlich ja gut – ohne über Prostitution zu reden. Es bleibt vage,
allgemein. Denn „Reden“ über Prostitution würde auch bedeuten, endlich das
schwedische Modell des Sexkaufverbots in seiner Gesamtheit darzustellen und es
nicht auf diesen einzigen Punkt zu reduzieren. Es handelt sich dabei um ein
durchaus komplexeres Maßnahmenpaket, bei dem gerade das „Reden“ über
Prostitution einen zentralen Platz einnimmt. Dazu gehören auch
Polizeischulungen, Aufklärungskampagnen, Beratungsangebote und die völlige
Entkriminalisierung der Frauen, von der Deutschland – siehe Sperrbezirke – weit
entfernt ist. Meiner persönlichen Meinung nach würde in der jetzigen Situation
eine völlige Aufhebung dieser Bezirke Prostituierung noch weiter ansteigen
lassen und damit die Probleme verschärfen. Hier könnte aber tatsächlich mal mit
einer Freierbestrafung (statt der Bestrafung der Frauen oder Männer in der
Prostitution!) angefangen werden. Hier herrscht merkwürdiges Schweigen. Aber
hier ist Deutschland. Wir machen keine Gesetze, die Männer einschränken
könnten, das gehört sich hier einfach nicht. Dann sich schon lieber die Frauen
greifen, oder sie ganz ausliefern.
Natürlich wäre es möglich, tatsächlich die Rechte der Frauen
dahingehend zu stärken, dass ihnen Gesetze zur Seite gestellt werden, die ihnen
signalisieren, dass das Recht auf ihrer Seite und nicht auf der Seite der
Freier steht. Frauen, die es geschafft haben, aus der Prostitution auszusteigen
und darüber zu sprechen, fordern genau das. (1) Das Sexkaufverbot wäre so ein
Gesetz, denn es signalisiert das grundlegende Unrecht in dieser
Macht-Beziehung, aber das betrifft auch die Überarbeitung des §177
(Vergewaltigung) im Sinne der Europaratskonvention genauso wie eine Kondompflicht
(statt extrem problematischer und in der Praxis extrem stigmatisierender
Plakate), genauso wie glasklare Regelungen bezüglich Zuhälterei und
Bordellbetrieb, deren Überprüfung gesichert ist. Die verschiedenen jetzigen
Gesetzesentwürfe der verschiedenen Parteien sind davon sehr weit entfernt. Sie
machen Verwaltungsabläufe für Bordelle etwas komplizierter, und das war's.
Einige Vorschläge können eventuell junge Frauen etwas schützen oder den Markt
etwas regulieren. Grundsätzlich ändern werden sie die Situation nicht. Dies
gilt vor allem, da bisher so gut wie jede Form der Regulierung, die bisher in
Deutschland getroffen wurde, immer die Frauen oder Männer in der Prostitution
getroffen hat, der Zugriff immer über sie erfolgte, nie über die Freier, die
mit ihrer Nachfrage den Markt erst schaffen und die die unmittelbare Gewalt
ausüben, und nur selten die Profiteure des Geschäfts. Genau aus diesem Grund
setzt das schwedische Modell bei der Nachfrage an. Der andere Weg ist der, den
Deutschland und die Niederlande gegangen sind.
Er bringt Steuern und gute Statistiken, da die Kosten und
Schäden darin nicht aufgeführt werden und Ausbeutung und Gewalt so umdefiniert
wurden, dass hier mit den „lediglich“ ca. 480 Fällen von Menschenhandel zur
sexuellen Ausbeutung geprahlt werden kann. Eine Zahl, an deren Reduktion
intensiv gearbeitet wird – auch von Grüner Seite, auch innerhalb der SPD,
einzelner der LINKEN – wenn es darum geht, die einzigen noch bestehenden
Schutzbestimmungen für die Altersgruppe der 18-21 Jährigen zynischer Weise
genau unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung und der Sicherheit auszuhebeln.
Phrase Nr.3:
Das schwedische Modell führt die Prostitution nur in den
Untergrund und gefährdet damit die Frauen. Es macht das Phänomen nur weniger sichtbar
und schafft ein Dunkelfeld.
Ganz ehrlich: Es ist absurd, wenn ProstitutionsgegnerInnen
immer wieder das angebliche schwedische "Dunkelfeld" vorgehalten
wird, während hierzulande Schätzungen um sechsstellige Zahlen auseinander
gehen. Wenn Evaluationen des Gesetzes, wie sie 2007 dann vorgenommen wurden
(die Veröffentlichung dauerte dann noch drei Jahre), sich mit den Gefährdungen
für die Frauen und ihren Gewalterfahrungen nicht einmal befassten. (2) Wenn ein
Blick in Werbeangebote zur Prostitution uns täglich vorführen, was hier alles
als akzeptabel, als normal, als nicht gewalttätig gilt. Gangbang-Parties mit
schwangeren Teenagern zum flatrate Preis, Essen und Getränke inklusive, bei
denen der Zustand der Genitalien der Frau nach mehreren Stunden dieser
Veranstaltung mit abfälligen Worten beschrieben wird – und das Ganze in
bejubelnden Texten, ohne dass es ein Problem gibt, denn sie „hatte einfach nur
ihren Spaß“ und damit ist alles in Ordnung. (3)
Erzählt mir doch bitte noch einmal etwas vom Dunkelfeld in
Schweden. Das lenkt so schön von unserem Hellfeld ab.
____________________________________
(2) Zu den verschiedenen Publikationen der
Bundestegierung:
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=97962.html
Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes (Evaluation):
http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/prostitutionsgesetz/pdf/gesamt.pdf
Auswirkungen des Gesetzes mit direkten Links zu den
Kapiteln/Themen:
http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/prostitutionsgesetz/03020305.html
Regulierung von Prostitutionsstätten:
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=125706.html
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-
Anlagen/Prostitutionsregulierung,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
Wissenschaftliche Gutachten:
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=93302.html
darunter:
- Vertiefung spezifischer Fragestellungen – Ausstieg;
Kriminalitätsbekämpfung:
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/prostitutionsgesetz-gutachten-2,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
- Reglementierung von Prostitution, Reglementierung und
Probleme:
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Pdf-Anlagen/prostitutionsgesetz-gutachten-1,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
(3) Hier gilt besondere Triggerwarnung. Mit
entsprechenden Schlagworten sind solche „Parties“ („Prostitution, so wie sie
heute besteht“?) ganz leicht zu googlen.
http://gang-bang-party.com/com/2014/02/19/teenie-tina-schwanger-gangbang-party/
http://gang-bang-party.com/com/2014/02/24/bericht-gangbang-filmparty-mit-dem-schwangeren-teenie-tina/
.
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