Rape Culture und sexuelle Selbstbestimmung
Mindestens jede dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt (körperliche, emotionale, sexuelle, etc.). Grenzüberschreitungen werden häufig bagatellisiert und heruntergespielt, Vergewaltigungsopfern wird misstraut oder sie werden verantwortlich gemacht für die Tat („sie hat einen kurzen Rock getragen“, „sie lebt promiskuitiv“, „sie hat aufreizend getanzt“, „sie wollte es doch auch“, etc.). Vor Gericht muss eine Frau, die sexuelle Gewalt erfahren hat, beweisen, dass sie sich in einer schutzlosen Lage befunden hat, d. h. Widerstand gegenüber dem Täter geleistet hat. Täter berufen sich vor Gericht oftmals darauf, dass sie den entgegenstehenden Willen des Opfers nicht erkennen konnten (anders als beispielsweise in Norwegen, wo es den Straftatbestand der grob fahrlässigen Vergewaltigung gibt, wenngleich es bisher kaum Urteile danach gibt. Der Ansatz ist jedoch vollkommen richtig und wichtig).
Noch absurder wird es, wenn der Bundesgerichtshof feststellt, dass eine Prostituierte dann nicht als vergewaltigt anzusehen ist, wenn sie sich zur Durchführung von sexuellen Handlungen zuvor gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hätte (BGH vom 20.03.2001, Az. 4 StR 79/01). Selbst in Schweden, wo Freier für Sexkauf bestraft werden, wird die Vergewaltigung einer prostituierten Frau mit einer niedrigeren Strafe belegt als die Vergewaltigung einer nichtprostituierten Frau.
Bei der Frage, ob eine Straftat vorliegt und mit welcher Strafe diese zu belegen ist, steht primär das Verhalten des Opfers im Vordergrund.
Angesichts dessen erscheint das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wie eine Farce, einvernehmlicher Sex ist definiert durch “wer nicht nein sagt, sagt ja”, wer schweigt, stimmt zu und wer sich promiskuitiv verhält, löst ein gering(er)es Strafmaß aus.
Es ist auffällig, dass die Definitionen von sexueller Selbstbestimmung grundsätzlich weit auseinander zu gehen scheinen. Meine Definition entspricht dieser: Mensch gönnt sich sexuelles Erleben alleine, mit Partner_in, mit wechselnden Sexualpartner_innen, mit mehreren gleichzeitig, weil mensch Lust auf Sex mit genau dieser/diesen Person_en hat. Mensch erlebt den Sex lustvoll und die sexuelle Befriedigung macht ihn/sie* glücklich, erfüllt, beglückt und die Person nimmt die Glückserfüllung mit in den Alltag.
In aller Regel bedeutet Prostitution: Für die prostituierte Person geht es nicht um ihr sexuelles Erleben. Ohne materielle Entschädigung würde sie dem Sex mit der Person/den Personen nicht zustimmen. Ihre Bedürfnisse haben keinen Raum und müssen zurückgestellt werden zugunsten der Bedürfnisbefriedigung der zahlenden Person_en. Überwiegend ist der sexuelle Akt mit negativen Gefühlen verbunden und nicht mit Ruhe, Entspannung und einem geschützten Rahmen. Diese negativen Empfindungen darf sie nicht zulassen und äußern, denn sonst könnte sie als prostituierte Person nicht tätig sein, ergosie muss verdrängen (von Dissoziation als Schutzmechanismus berichten prostituierte Personen, unabhängig davon, ob sie der Prostitution positiv oder negativ gegenüberstehen).
Consent
Das Konzept des Consent (Konsens/Zustimmung) ist ein Gegenkonzept zur Rape Culture. Zustimmung zu einvernehmlichen Sex beschränkt sich nicht nur auf “Nein heißt Nein”, sondern es bedarf einer konkreten aktiven Zustimmung zu einer konkreten sexuellen Handlung, sprich: nur Ja heißt Ja – Es geht dabei auch nicht um die Aushandlung eines Minimalkonsens, sondern darum, dass alle Beteiligten sagen: “Ja, genau das will ich”.
Auf einer “Zustimmungs-Skala” würde an einem Ende “Ja!” stehen, am anderen Ende “Nein!”, wobei ersteres “Konsens “bedeutet und letzteres “Zwang/sexuelle Gewalt”. Dazwischen gibt es eine weite Range, in der Mitte der Skala würden wir von “Kooperation” (compliance) sprechen. Als Kooperation ist eine Situation zu verstehen, in der etwas geschieht, dass nicht beide wollen, bei der es aber oberflächlich gesehen zu Zustimmung kommt. Tatsächlich wird diese vermeintliche Zustimmung aber nur gegeben, weil sonst ein Nachteil für die Person entsteht (zum Beispiel ein finanzieller). Eine Situation, in der ein Mensch einen anderen Menschen in eine Situation zwingt, aus der die Person nicht alleine entkommen kann (durch physische Gewalt, aber auch durch Machtgefälle), bedeutet Zwang. Wo auf der Zustimmungs-Skala etwas einzuordnen ist, liegt immer im Empfinden der jeweiligen Person.
Consent und Prostitution
Sexarbeiter_innen und Prostitutionsbefürworter_innen argumentieren: “Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden. Ein solches Geschäft beruht auf Freiwilligkeit. Gibt es keine Einwilligung zu sexuellen Handlungen, so handelt es sich nicht um Prostitution. Denn Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung” (Appell für Prostitution)
Bedingungen für Kooperation in der Prostitution wären:
Die erwachsene, prostituierte Person hat selbst eine bewusste und freiwillige Entscheidung getroffen und verstanden, zu was sie zugestimmt hat. Die Entscheidung wurde nicht getroffen ohne zugängliche und vernünftige Alternativen (also nicht Wohnungslosigkeit, Hunger, Mangel, etc.). Sie hat das Recht und die Möglichkeit, zu jeder Zeit ihre Zustimmung wieder zurückzunehmen. Es gibt keine Zuhälter und keine Freier, die Gewalt, in welcher Form auch immer, ausüben.
Um Konsens zu schaffen/herzustellen, müsste dazu kommen, dass die prostituierte Person auch tatsächlich den Sex mit dem Freier will und der Sex nicht einseitig zu dessen Bedürfnisbefriedigung dient, wobei die Sexualität der prostituierten Person komplett ausgeblendet wird. Die Bedingungen für Konsens können eigentlich nicht erfüllt werden, denn: In der Prostitution wird nicht das Lustempfinden erzielt, sondern die Fähigkeit, Lust zu simulieren. Um ihre Sexualität instrumentalisieren zu lassen, darf die Prostituierte sie nicht ausblenden, sondern den Schein geben, dass sie konstitutiv ihre Person ist. Daraus folgt das hypersexualisierte Erscheinungsbild, das die Frauen in der Prostitution von sich abgeben (müssen). Freier bezahlen nicht gerne für eine neutrale Handlung ohne das Simulieren der Lust. Freier bezahlen nicht gerne für eine Frau, die offensichtlich lustlos mitmacht (Jammerlied in allen Freierforen), sondern sie wollen die Illusion der Zustimmung, des Konsens, ja sogar der Begeisterung.
Was würde es für die Sexindustrie bedeuten, wenn all jene prostituierten Menschen wegfallen würden, für die von Konsens per se keine Rede sein kann:
- jene, die sich aus ökonomischen Gründen dazu gezwungen sehen (Armutsprostituierte)
- jene, die bereits im Kindesalter in die Prostitution eingeführt werden (Kinderprostituierte)
- jene, die durch Gewaltausübung oder -androhung gegen sich oder ihnen nahestehende Menschen zur Prostitution gezwungen sehen, teilweise aus anderen Ländern verschleppt wurden (Zwangsprostituierte / Opfer von Menschenhandel)?
Zahlen zu verwenden, würde zu Nebendiskussionen über die Aussagekraft derselben führen, deshalb wird dies hier bewusst vermieden. Nehmen wir die Aussage des PR-Chefs eines großen Stuttgarter Laufhauses, der Migrationsprostitution für notwendig erachtet, um den “Bedarf in Deutschland” zu decken, spricht dies dafür, dass es bereits heute an einer ausreichenden Anzahl Menschen mangelt, für die all diese Ausschlusskriterien nicht zutreffen. So wird in einer migrationsfeindlichen Europäischen Union die Bereitschaft, sich gegen Entschädigung sexuell benutzen zu lassen, ein akzeptiertes Positivkriterium für die Einreise in den reichen Teil des Kontinents.
Auf der Nachfrageseite ist konsensualer Sex mindestens für einen Teil der Freier uninteressant, nämlich für jene, denen bewusst ist, dass sie für eine Illusion von weiblicher Lust bezahlen und jene, die sich nicht einmal davor scheuen, öffentlich (zum Beispiel in Freierforen) Vergewaltigungsschilderungen zu äußern („es tat ihr alles weh“, „ich habe natürlich trotzdem weitergemacht“, „sorry Vanessa, mir war danach“, „sie war lustlos“, „ich habe einfach schnell, ohne zu fragen, ins andere Loch gesteckt“, „frag nicht, ob sie es ohne Gummi macht, zieh den Gummi einfach vorm Einlochen ab“, etc.)
Nicht zulässig nach dem Zustimmungskonzept wäre auch eindeutig die Zuführung von behinderten Menschen zu Prostitution, wenn diese ihren Willen dazu nicht eindeutig bekunden können (so gesehen in einer Dokumentation, in derEltern ihrem Sohn eine Prostituierte nach Hause bestellt haben und diese die Frage “Woher wissen Sie, dass es dem Wunsch ihres Sohnes entsprochen hat?” beantworteten mit “Das sehen wir an seinem glücklichen Gesichtsausdruck”).
Neben der Frage „Ist Prostitution unter den genannten Bedingungen überhaupt noch eine nennenswerte Erscheinung?“ stellt sich vor allem die Frage, wie sinnig es für konsensualen Sex überhaupt ist, Geld zu zahlen oder anzunehmenAus dem Blickwinkel des Zustimmungskonzepts erscheint Sex gegen Geld überflüssig, unsinnig und inakzeptabel, weil er sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richtet.
Ist Prostitution “Sexarbeit”?
Für jede Arbeit benötigt eine Person Fertigkeiten. WHISPER (eine Organisation von Prostitutionsüberlebenden) hat die benötigten Fertigkeiten für Prostitution wie folgt benannt:
- sexuelle Handlungen vollziehen
- sexuellen Genuss simulieren
- alle möglichen Körperverletzungen aushalten
- zulassen, dass dein Körper auf alle möglichen Arten von einer anderen Person benutzt wird
In Fällen, in denen kein Geld im Spiel ist, spricht man hier von sexueller Belästigung oder Misshandlung.
„Sexarbeit“ ist nichts anderes als ein neoliberales Konzept, welches den Verkauf des eigenen Körpers dem Markt unterwirft. Die prostituierte Person wird nach dieser Logik zum/zur Unternehmer_in. Der Konkurrenzkampf als Folge der zunehmenden Verelendung und Verarmung durch den Kapitalismus erfordert immer weitere und preisgünstigere „Dienstleistungen“ und immer weniger Auswahlmöglichkeit bei der „Kundschaft“. Um zu überleben und erfolgreiche_r Unternehmer_in zu sein, bleibt der Konsens/die sexuelle Selbstbestimmung auf der Strecke.
Fazit
Auf der Angebotsseite ist sexuelle Selbstbestimmung/Konsens ein Recht ist, wo hingegen niemand Menschen dazu zwingen kann, dieses Recht auch umzusetzen. Erwachsene Menschen können für sich Entscheidungen treffen, so lange sie damit nicht die Rechte anderer einschränken und verletzen – selbst dann, wenn sie sich damit selbst schädigen und verletzen (wie zum Beispiel beim Alkohol- oder Drogenkonsum). Daraus lässt sich folgern, dass eine Kriminalisierung oder Stigmatisierung von prostituierten Personen abzulehnen und zu verurteilen ist.
Anders sieht es auf der Nachfrageseite aus. Ein Freier ist deshalb zu verurteilen und zu bestrafen, weil er die sexuelle Selbstbestimmung der prostituierten Person missachtet und dies auch sehr genau weiß. Er muss sich bewusst sein, dass der hergestellte Konsens bei einem beträchtlichen Teil der prostituierten Personen auf Gewalterfahrungen in der Kindheit beruht (autoaggressives Verhalten/Selbstverletzungen nach erlebter Gewalt und Traumatisierung). Ein nicht verarbeitetes Trauma wird zwanghaft wiederholt, um eine Art Kontrolle über das Erlebte zu erlangen. Er muss sich auch bewusst sein, dass bei einem beträchtlichen Teil der prostituierten Personen ökonomische Zwänge im Hintergrund stehen. Es ist aufschlussreich, dass Prostitutionsbefürworter_innen, die Frage „Findest du es legitim, dir den Zugang zur Benutzung des Körpers einen anderen Person, die nicht freiwillig Sex mit dir haben will, zur eigenen Bedürfnisbefriedigung zu erkaufen (z. B. weil die Person sonst ihre Rechnungen nicht bezahlen kann)?“ nicht beantworten möchten oder als „unfair“ bewerten. Prostitution muss aber genau so diskutiert werden, denn um nichts anderes geht es dabei. Insbesondere auf diesem Hintergrund erscheint das Nordische Modell der Freierbestrafung geradezu logisch.
Der Vorwurf der Prüderie/Lustfeindlichkeit gegenüber Prostitutionsgegner_innen ist völlig fehl am Platz: Nach dem Konzept des enthusiastischen Konsens und unter Berücksichtigung der sexuellen Selbstbestimmung ist alles vollkommen okay, vom „Blümchensex“ mit einem/einer Sexualpartner_in bis hin zu den ausgefallensten Sexualpraktiken mit auch mehreren Sexualpartner_innen – sofern alle Beteiligten genau dies genau so wünschen. Das erfordert gute Kommunikation über Sexualität – gemessen an Diskussionen der letzten Monate scheint ist es um die Kommunikationsfähigkeit zu diesem Thema jedoch sehr schlecht bestellt. Vom schamvollen Erröten bis hin zum panischen Fluchtergreifen habe ich hier schon alles erlebt. So genannter Sexpositivismus und Abolitionismus schließen sich jedenfalls nicht gegenseitig aus. Und nochmal zurück zur Rape Culture: Wie will ich jemandem beibringen, Grenzen zu wahren und sexuelle Wünsche nur dann auszuleben, wenn der/die Sexualpartner_in diese auch ausleben möchte, wenn ich auf der anderen Seite das Nichtvorliegen von Konsens und sexueller Selbstbestimmung durch materielle Entschädigung (Ausleben gegen Geld) gesellschaftliche legitimiere?
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