Donnerstag, 3. November 2016

Gemeinsame Eingabe an UN Frauen durch Abolition 2014, Kofra und die Initiative Stop Sexkauf.


UN Frauen arbeitet an einer gemeinsamen Position zum Thema Prostitution. In diesem Zusammenhang erging weltweit ein Aufruf, Stellungnahmen einzureichen.

Hier unsere gemeinsame Eingabe mit Kofra (München) und dem Bündnis Stop Sexkauf. 


Deutsche Übersetzung des Aufrufs auf banishea







Kofra – Kommunikationszentrum für Frauen ist eine Anlaufstelle für Frauen. Stop Sexkauf und Abolition 2014 sind säkular und feministisch und fordern die Abschaffung der Prostitution über die sinnvolle Unterstützung der Frauen in der Prostitution und die Bestrafung der Käufer, da sie diejenigen sind, die diese Industrie erhalten. Deutschland ist zu einem Paradebeispiel für die Umsetzung der Forderungen der Sexindustrie geworden – während einige Kommunen sich einige Regulierungen vorbehielten, entschieden sich Städte wie Berlin für die vollständige Entkriminalisierung – und bietet einen düsteren Ausblick auf die Zukunft einer ungehinderten Sexindustrie.

 Wir bestehen auf der vollständigen Entkriminalisierung derjenigen in der Prostitution und auf einem Null-Toleranz-Ansatz zu Zuhälterei und Menschenhandel. Wir informieren und wecken das Bewusstsein dafür, was Prostitution den prostitutierten Menschen antut und für die Auswirkungen eines staatlich gestützten Sexgewerbes auf die Gleichstellung von Frauen und Männern. Es ist uns eine Ehre, unsere Postition – erworben durch die Aussagen ausgestiegener Frauen und den Anblick von 15 Jahren einer staatlichen Politik der Prostitution als Geschäftmodel – UN Frauen vorzulegen.


Universalität, Menschenrechte und Niemanden zurück lassen.

Das Sexgewerbe ist äußerst geschlechtsspezifisch und braucht geschlechtsspezifische Diskriminierung und Stereotypisierung um zu bestehen. Es weist Männern als Käufern eine bestimmte Position zu und ebenso Frauen als denjenigen mit der Möglichkeit, die Nutzung ihres Körpers mit einem Preisschild zu versehen. Auf diese Weise erhalten Männer „Agency“ - die Möglichkeit, ihre Ziele und Wünsche in Handlung umzusetzen – und Frauen sollen damit zufrieden sein, dass es ihnen gestattet wird, möglicherweise innerhalb eines von Männern bestimmten Machtsystems Bedingungen auszuhandeln. Dies setzt ihre Gleichstellung außer Kraft, die eine Bedingung für Universalität und die Wahrnehmung von Menschenrechten ist. Das Sexgewerbe lebt von geschlechtsspezifischen und rassisitischen Aspekten von Armut, es zielt auf alle Frauen und besonders auf solche mit rassistisch ausgegrenztem oder marginalisiertem Hintergrund. Dies wird hier durch die Bewerbung von Frauen aus Asien oder Afrika sichtbar, durch den sexistischen und rassistischen Blick auf Frauen aus Osteuropa und durch die verächtliche Darstellung von Romnija im Sexgewerbe. Seit der Beseitigung der letzten Hindernisse im Jahr 2002, Prostitution zu einem bedeutenden Gewerbezweig zu machen, dominieren riesige Reklameschilder die Landschaft entlang der Autobahnen und Lastwagen, Anhänger und Taxis mit Bordellwerbung signalisieren Käuferprivileg an Männer. Das neue Prostituiertenschutzgesetz, das im Juli 2017 in Kraft tritt, legalisert diese Werbung völlig. Leicht zugängliche Freierforen sind voll von gewaltvollen und rassistischen Beschreibungen. Riesige Bordelle für bis zu 1000 Sexkäufer, Apartmenthäuser, „Verrichtungsboxen“ und Stehplätze für „Lovemobile“ sind Teil eines staatlich unterstützten Industriezweigs, der 24 Stunden an jedem Tag Männern bezahlten sexuellen Zugang zu Frauen garantiert. Der Rassismus, der dieses Gewerbe stützt, wird von öffentlich finanzierten Anlaufstellen und lautstarken BefürworterInnen des Sexgewerbes wiederholt, wenn behauptet wird, dass ein deutsches Bordell der Menschenrechtsverletzung der rassistischen Verfolgung möglicherweise vorzuziehen ist oder dass es „vielleicht besser [wäre], jenen, die weniger privilegiert sind, als wir selbst zu überlassen, wo die Grenzen ihrer Menschenwürde verlaufen“. Menschenrechts-verletzungen dienen als Rechtfertigung für andere Verletzungen, schlimmer, sie werden zu ihrer Ressource. Dies ist unvereinbar mit Gleichstellung, Universaltität, Menschenrechten und damit, niemanden zurückzulassen.


Nachhaltige Entwicklungsziele und Ansätze zum Sexgewerbe

Die reproduktiven Rechte von Frauen werden durch ein ausbeuterisches Gewerbe, das sich neue Märkte sucht, ausgehöhlt. Es sind über Freierforen leicht zugängliche Märkte für schwangere Frauen, darunter für Gangbang-Angebote mit Schwangeren, auch wenn die Bewerbung solcher Angebote verboten werden soll. Die Käufer wollen spüren, wie sich der Fötus bewegt. Wolf Heide, ein Gynäkologe, verdeutlichte in einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag, wie sexuell übertragbare und andere Krankheiten für die Frauen zur Sterilität führen. Dies setzt ihre reproduktiven Rechte grundlegend außer Kraft.
Armut ist für das Sexgewerbe sowohl eine Ressource als auch ein Ausstiegshindernis, wie eine Studie zu prostituierten Frauen aus Bulgarien in Stuttgart zeigt.
Die Legalisierung des Gewerbes bedeutet Steuereinnahmen: Eine Tagesgebühr von 25,- € am Tag pro Frau oder per Quadratmeter der Prostitutionsstätte, die über die Bordellbetreibenden eingezogen wird, oder Parkuhren für Tickets für die Frauen in der Straßenprostitution. In München ziehen Steuerbeamte über die Bordelle die Mehrwertsteuer ein, so dass die Zimmermiete bei 185,- € für 24 Stunden pro Zimmer liegt (Caesar's World). Dazu kommt die Einkommenssteuer, die durch Steuerbeamte über Schätzungen anhand der Webseiten unabhängig tätiger Frauen festgelegt wird. Steuerschulden funktionieren als Ausstiegshindernis.
Das Sexgewerbe erscheint „nachhaltig“, da die meisten Frauen in der Prostitution aus dem Ausland stammen und das Land verlassen müssen, wenn sie krank werden, während deutsche Frauen in die Armut abgleiten und praktisch nicht in der Lage sind, Therapien und den Eintritt in die Gesellschaft zu organisieren. Eine oberflächlich „friedliche Gesellschaft“ wird nicht durch die Inklusion, sondern durch die Exklusion der Ausgestiegenen erreicht. Die Folgen werden in andere Länder ausgewiesen.
Die Legalisierung der Sexindustrie veränderte die Definitionen von „Zuhälterei“ oder „Menschenhandel“ und betrifft „Zustimmung“ in sexuellen Beziehungen. Dies hat Auswirkungen auf unsere Gesetze zu Vergewaltigung, zu „häuslicher Gewalt“ und zu Stalking, und daher auf den rechtlichen Status von Frauen in bezug auf Gewalt gegen Frauen. Die für EU-Staaten verbindliche Istanbulkonvention ist in ihrem Artikel 36 eindeutig in der Definition sexueller Gewalt und garantiert effektiven Rechtsbehelf. Doch ihre Umsetzung könnte dazu dienen, „Zustimmung“ in einem Bordell zu hinterfragen und unsere Legislative verzögert ihre Umsetzung und Überführung in das nationale Recht, wodurch das Recht jeder Frau auf ordentliche rechtliche Verfahren ausgehöhlt wird.


Schutz der Frauen im Gewerbe vor Schaden, Gewalt, Stigma und Diskriminierung

Der überlegte Ansatz liegt in der Entkriminalisierung der Frauen in der Prostitution, Polizeischulung, öffentlicher Aufklärung, Unterstützung für Frauen, die aussteigen wollen, für Migrantinnen und für diejenigen, die in die Industrie gehandelt oder gezogen wurden. Er verlangt eine Politik, die die Gewalt als solche erkennt und bereit ist, sie zu beenden, nicht eine, die in regulierenden Ansätzen angeblich akzeptable Grade an Gewalt aushandelt oder diese Verhandlungen den Individuen, genaugenommen den Individuen mit dem geringsten Status in der Gesellschaft, überlässt.
Eine vollständig akzeptierte Sexindustrie bedeutet hingegen, den Schaden und die Gewalt ein Geschäft zu nennen, während Stigma und Diskriminierung dessen Ressourcen werden. Dies bedeutet, die Gewalt wegzudefinieren.
Prostitution wurde hier im frühen 20. Jahrhundert entkriminalisiert und vor 2002 wurden Bordelle geduldet. Das Prostitutionsgesetz von 2002 wollte vor allem die Frauen in Renten- und Krankenversicherungen einzahlen lassen und die Profite legalisieren. Gesetze zur Zuhälterei und Menschenhandel wurden in den folgenden Jahren „angepasst“ (vgl. die Änderungen zu den §§ 180ff und 232 STGB).
Nun werden Fälle eingestellt, bevor sie vor Gerichte kommen, während andere zu minimalen Strafen führen. Die Polizei wird entmutigt, Ressourcen in Fälle von Menschenhandel zu investieren, da diese teuer sind und dann rechtlich fallen gelassen werden. Strafverfolgungs-behörden gehen von einem deutlichen Mangel an Anzeigen aus, während die Statistiken bereinigt werden: Verurteilungen wegen Zuhälterei gingen bis 2011 um 99% zurück und 2014 gab es nur 557 Opfer des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Erhebliche Menschenrechtsverletzungen wie sexuelle Gewalt, Menschenhandel und Freiheitsberaubung zählen als „Arbeitsunfall“, was Entschädigung für Arztkosten um den Preis der Akzeptanz der Gewalt an sich bietet. ( Sozialgericht Hamburg S 36 U 118/14)
Die Interessen von Migrantinnen, die Opfer von Menschenhandel wurden, werden ignoriert und die Legalisierung der Sexindustrie hat daran nichts geändert. Der einzige Unterschied ist ein explodierter Markt.

Obwohl eine Studie aus dem Jahr 2004 die gleiche Gewalt in der Prostitution feststellte wie Studien weltweit, befasste sich die Evaluation des ProstG 2007 nicht mit Gewalt. Und obwohl nur Bordellbetreibende ihrer Zufriedenheit mit dem Gesetz Ausdruck verliehen und die Studie zum Ergebnis kam, dass es „für einen kriminalitätsmindernden Effekt des ProstG […] bislang keine belastbaren Hinweise [gibt]“, konzentrierten sich die Bemühungen der Regierung auf regulierende Angelegenheiten wie Baurecht oder bessere Besteuerungsmöglichkeiten der Betriebe.
Dieser Ansatz unterhöhlt Rechtsstaalichkeit, wie sie unter Punkt 8 und an anderen Stellen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung gefordert wird und ist unvereinbar mit dem UN Aufruf zu Gleichstellung und dazu, Niemanden zurückzulassen. Es befriedigt nicht die Bedürfnisse der Gefährdetsten, sondern stellt sicher, dass sie weiterhin gefährdet bleiben. Dies steht in einem westlichen, reichen Land unter Beweis, das der Rhetorik der Sexindustrie gefolgt ist, derzufolge die Legalisierung des Kaufs, Bordellbetriebs und „operationaler Aspekte“ wie „Management“ und „Reiseerleichterung“ diese Industrie angeblich sicher macht und Frauen stärkt.
Die Sexindustrie mag individuellen Frauen vorübergehend einige Vermarktungschancen innerhalb eines ungleichen Systems, das von Stigmatisierung und Diskriminierung lebt, bieten, aber sie trägt nicht zur Gleichstellung von Frauen bei, die eine Vorbedingung zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen und zum Aufbau friedlicher und inkludierender Gesellschaften ist. Die Entkriminalisierung der Frauen (oder anderer) in der Prostitution ist ein notwendiger Schritt zu ihrer Sicherheit, doch wird dieser Schritt bedeutungslos gemacht durch die Schaffung einer Situation, die de facto die Gewalt gegen sie entkriminalisiert. Eine Politik auf dem angeblichen Recht männlichen sexuellen Zugriffs auf Frauen aufzubauen trägt nichts dazu bei, Gewalt gegen Frauen zu verhindern, sei sie sexuell, körperlich, psychisch, wirtschaftlich oder institutionell. Im Gegenteil: Wir sehen eine steigende Akzeptanz von Menschenrechtsverletzungen. Das Gefangensein von Frauen innerhalb von Kastensystemen, ihre Enteignung in ländlichen Gebieten, ihre Verdammung in die Armut, ihre rassistische Verfolgung, die Verweigerung des Rechts auf Bildung oder auf Mittel gegen HIV oder auf reproduktive Rechte werden genannt, um Verbrechen wie Menschenhandel oder die Misshandlung von Frauen in der globalen Sexindustrie akzeptabel oder wünschenswert zu machen. Mit Blick auf irgendeine Bedeutung von Menschenrechten als unveräußerlich und unteilbar ist dies absolut inakzeptabel. 

Inge Kleine
und 
Manuela Schon
Solveig Senft
Yvonne Smidt (Terre des Femmes)
Karen Ehlers 
Susanne Keil (Courage Essen) 
Simone Watson, Director Nordic Model Australia Coalition

für 




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