Freitag, 2. Mai 2014

Interview mit einer Domina

Ellen Templin, † 20.12.2010
"Die Legalisierung war eine einzige Verarschung."
Sendung am 08.03.2010:
Frauentag, Liebe, Leid und Lebensfreude

Ellen Templin führt ein Domina-Studio in Berlin – und engagiert sich gegen die Missstände im käuflichen Erotik-Bereich. “Was hat das mit mir zu tun?” mag man sich fragen – doch wer ihr zuhört, merkt: “es hat mehr mit mir zu tun, als ich dachte!”  Ellen analysiert die Entwicklungspsychologie von Frauen, die im Erotikbereich arbeiten, wie auch die von Freiern; anhand Erotikannoncen weist sie wissenschaftlich nach, dass mit der Legalisierung der Prostitution massive Verschlechterungen von deren Lebensbedingungen einhergehen.

Hedwig von Knorre (HvK): Herzlich willkommen bei Liebe, Leid und Lebensfreude. Am Mikro ist Hedwig und sie sind beim freien Radio Wüste Welle Tübingen, zum empfangen auf UKW 96,6 MHz und im Internetlivestream unter www.wueste-welle.de.

Der Eingangssong ist Dirty Diana von Michael Jackson. Das hat sich meine heutige Interviewpartnerin gewünscht, eine ganz besondere Frau, Ellen Templin, mit der ich ein Telefoninterview machen werde nach Berlin. Diese Frau habe ich kennengelernt Ende Januar bei einem Terre des Femmes AG-Treffen. Das AG Treffen Migration und Frauenhandel beschäftigt sich unter anderem mit Zwangsprostitution und das ist ja nicht nur Zwangsprostitution, sondern Prostitution allgemein. In diesem Rahmen kam Frau Templin und hat uns allen, die wir uns oft mit Frauenrechten und allem möglichen beschäftigen, uns allen, unglaublich viel beigebracht. Wir haben sehr viel gelernt und es ging uns tief unter die Haut, und das ist das Thema unserer heutigen Sendung: der käufliche Erotikbereich. Liebe Leid und Lebensfreude. Lebensfreude ist unglaublich wichtig, ohne kann man das Leben nicht ertragen, aber Leid macht uns viel daran kaputt und Liebe ist häufig der Weg zurück zur Lebensfreude. Bei Ellen Templin ist das der Fall und ich werde sie gleich anrufen, aber während ich wähle lasse ich die Musik mal noch ein bisschen weiterlaufen und wir klinken uns dann gleich gemeinsam wieder ein

[Musik]

HvK: Da hören wir dich schon husten Ellen. Hörst du mich?

ET: Ja, ich hör dich.

HvK: Wunderbar. Hast du den Song noch gehört? Dirty Diana, den du dir gewünscht hast?

ET: Ja. Den hab ich mir gewünscht. Ja.

HvK: Das freut mich sehr. Ellen ich hab dich kurz angekündigt als eine Frau von der ich kürzlich, Ende Januar, unglaublich viel gelernt habe und mit mir zusammen mehrere Frauen von Terre des Femmes von der AG Migration und Frauenhandel und hab gesagt es ist wichtig, dass viele Menschen erfahren was wir da gelernt haben und du bist wirklich Spitze darin uns das beizubringen und ich danke dir für dieses Interview jetzt, obwohl du erkältet bist.

ET: Ja, danke für so viele Komplimente. Ich bin das kaum gewöhnt, dass mir jemand in diese Richtung was sagt. Eigentlich höre ich immer, dass ich sie abnerve, die Menschen, dass das alles schon mal gesagt worden ist, dass das alles nichts bringt und dass die Frauen in der Prostitution gerne sind und auch kein Problem haben, dass Präservative nicht wichtig sind, sie haben kein Problem damit Sperma zu schlucken und so weiter und so fort.

HvK: Gut, da sind wir gleich heftig eingestiegen, direkt mittendrin. Und du sagst das stimmt nicht.

ET: Nein, das stimmt nicht. Ganz massiv hat es sich in der Prostitution zum Schlechten gewendet seit der Legalisierung, sprich seit dem 1.1.2002. Das hat ganz viele schlechte Sachen gebracht. Als erstens, ich kann jetzt zumindest nur für Berlin sprechen, ist die Kondompflicht, alles was mit Anzeigen zu tun hat, also das die ganzen Zeitungen, Stadtmagazine, die Berliner Tageszeitungen, die werben seit der Legalisierung ganz aggressiv, täglich für kondomfreien Sex. Das sieht folgendermaßen aus: Ich schlucke gern, Gesichtsbesamung, Dreilochfickpaket…

HvK: Moment, Moment, Dreiloch… Was bedeutet das?

ET: Dreilochfickpaket das heißt die Frau ist anal, vaginal und oral zu nehmen. Und das jeweils ohne Präservativ.
HvK (räuspert sich): Ja also mir geht das total nah, wenn ich das so höre und damit will ich auch ehrlich sein. Und ich glaube das geht ganz vielen so, die normalerweise nichts damit zu tun haben, wenn wir uns das näher kommen lassen. Also wenn das unseren Gedanken nahe kommen darf. Das ist für uns schlimm, und du sagst eigentlich ist das für die Frauen, die das praktizieren auch schlimm.


ET: Mit Sicherheit ist das ganz schlimm in der Prostitutionsbranche. Es wird ganz viel Alkohol konsumiert, ich kenne ganz viele Drogenabhängige, ich kenne diese Borderline-Frauen sowieso, sie haben Probleme mit dem Essen, sie essen zu viel, sie essen zu wenig, Schuppenflechte, sie kratzen sich, sie schneiden sich, sie drücken Zigaretten auf ihrem Körper aus. Früher wurden sie missbraucht und jetzt missbrauchen sie sich selber und der Freier noch dazu. Aber ich möchte nochmal sagen, dass ich mir immer ganz schlecht vorstellen kann, dass Menschen sagen sie wissen das nicht. Der Freier weiß es doch auch. Woher weiß er das? Aus der Zeitung. Frauen und Kinder können auch lesen. Das heißt die Frauen der Freier haben das mit Sicherheit auch gelesen und die Kinder der Freier. Oder der Nicht-Freier. 

HvK: Was gelesen?

ET: Na das da einfach steht: Gesichtsbesamung. Schlucke gerne Sperma. Wenn der Freier das weiß und gelesen hat.

HvK: Ellen, als du an dem Samstagabend in Berlin unsere Gruppe besucht hast, hattest du ja ganz große Kopien mit von diesen Anzeigen und hattest uns die bunt markiert und konntest uns damit richtig nachweisen, dass das nicht nur irgend so eine Aussage von dir war, sondern du hast das richtig, ja ich möchte mal sagen wissenschaftlich, nachgewiesen, dass das so ist. Du hast uns diese Abkürzungen erklärt, denn Ellen, ehrlich gesagt, ich hab zwar ne Zeitung aber so etwas überblättere ich. Ich schau das nicht an, ich halte es von mir fern. Für mich ist das sowas wie ein Tabuthema ein bisschen gewesen. Na klar, man diskutiert es manchmal, aber doch mit einer ziemlich großen inneren Distanz. Und seit du uns das so nahe gebracht hast, du kannst ja gleich im Laufe der Sendung nochmal gründlicher auf Einzelheiten eingehen, seitdem geht mir das nochmal ganz anders unter die Haut und dann merke ich, dass ich mich auch wieder davon distanzieren will, weil es mir einfach sehr schlimm ist. Und ich glaube, dass dieser Mechanismus bei ganz vielen Leuten greift, wenn es um diesen Lebensbereich geht. Ich will gar nicht sagen Thema, es ist ein Lebensbereich, es ist ja nicht nur in Berlin, es ist auch hier in Tübingen, in Reutlingen, wo wir wohnen, es ist überall ein Thema, erstmal der sexuelle Missbrauch von Kindern, den du in dem Rahmen schon angeschnitten hast, aber eben auch alles was im Bereich käufliche Erotik läuft, das ist ja nicht nur Prostitution, da gibt’s ja noch viel mehr.

ET: Ja, da haben Sie vollkommen Recht. Also ich habe deshalb recherchiert, nicht weil ich Langeweile hatte, sondern weil es mir täglich passiert, dass mich irgendwelche Gäste am Telefon fragen, ob sie mir ins Gesicht spritzen können, ob sie mich anal nehmen können, was ohne Gummi geht. Und wenn man das jeden Tag hört hat man so ein dauer-unangenehmes Gefühl, es ist ein Dauerzustand, den man gar nicht mehr beschreiben kann. Manchmal frage ich mich selbst, fühle ich das noch oder nicht mehr oder übertreibe ich auch. Dann merke ich auch wieder dieses Gefühl tut mir nicht gut, weil es wirklich ein Dauerzustand ist, jeden Tag aufs Neue. Und ich merke bei den anderen Frauen, dass die oft sehr aggressiv reagieren oder Kraft gefunden haben, dass sie das wegschieben können und dafür abends saufen. Meine Möglichkeit ist da, da ich ja nicht rauche oder trinke, meine Möglichkeit war halt die, diese Annoncen rückwirkend bei der Landeszentrale da anzufordern und dann zu markieren und dann wirklich festzustellen und zu beweisen, dass mit dem Stichtag 01.01.2002 über Nacht die Anzeigen „unsafe“ (Anm.: ohne Kondom) geworden sind. Über Nacht. Einen Tag davor noch gab es NULL Anzeigen mit französisch total und Sperma schlucken.

HvK: Entschuldige nochmal. Französisch total?

ET: Französisch total ist Oralverkehr. Der Mann ejakuliert in den Mund der Frau. Vorher war das ein Tabu, es stand auf der Indexliste. Es wurde und durfte nicht geschrieben werden. Mit der Legalisierung, über Nacht, gab es schon die ersten 36 Anzeigen, dann 40, dann 70 und jetzt kann man sagen, dass ungefähr 85% der Prostituierten in Berlin ohne Präservativ arbeiten und 15% mit. Und von den 15%, denke ich mal, machen einige eine Ausnahme, wenn die Rechnung ihnen wirklich im Nacken sitzt. Und vor der Legalisierung konnte man wirklich sagen 85% haben mit Präservativ gearbeitet und 15 Prozent ohne.

HvK: Also genau umgekehrt.

ET: Genau umgekehrt. Das kann man einfach anhand der Anzeigen beweisen. Das ist jetzt nicht, weil ich das sage, weil ich grade schön bin, sondern einfach weil es der Wahrheit entspricht.

HvK: Und das finde ich das Wertvolle daran, dass du das richtig systematisch recherchierst. Ich sag zu anderen Leuten, denen ich von dir erzähle: Sie ist eine Soziologin und eine Wissenschaftlerin, nicht weil sie es studiert hat, sondern weil es einfach in ihr steckt. Die Herangehensweise ist so. Du suchst nach Klarheit, nach den Zusammenhängen, nach den echten inneren Zusammenhängen von diesem ganzen Elend, und du hast sie gefunden, das hab ich gemerkt.

ET: Ich danke dir. Ich sehe das für mich manchmal als Lebensstrategie an, weil ich eben keine anderen Möglichkeiten habe, um mich irgendwie abzulenken oder so, dass ich auch den Beweis habe für mich, dass ich mich nicht irre. Damit ich den Frauen das zeigen kann. Aber ich finde damit leider, leider keinen Anklang. Wer gibt schon gerne zu, dass er Opfer ist. Ich seh das ja bei mir. Vor der Legalisierung habe ich ein Problem gehabt, dass ich Prostituierte bin, SM-Prostituierte. Jetzt mit der Legalisierung habe ich zwei Probleme. Das zweite Problem, dass dazugekommen ist, ist dass ich jetzt plötzlich keins mehr haben soll. 

HvK: Du hattest also schon immer Probleme mit deiner Art Geld zu verdienen. Würdest du das nochmal genauer erklären, womit du dein Geld verdienst, Ellen?

ET: Richtig. Naja ich quäle Menschen. [kurze Pause] Ich verkaufe sexualisierte Gewalt.

HvK: Sexualisierte Gewalt. Und die lässt sich verkaufen?

ET: Ja.

HvK: Lässt sich gut und teuer verkaufen.

ET:  Na, früher mal. Inzwischen lässt sich das schlecht und billig verkaufen.

HvK: Also, wie Prostitution auch. Die gesamte käufliche Erotik ist schlechter geworden.

ET: Genau. Dann kommt noch dazu, dass ich eine der wenigen bin, die mit Präservativ, Safer Sex und Einweghandschuhen, also einmal benutzen und wegwerfen, also absolut safe, arbeite. Da kommen natürlich ganz wenige Männer. Das sind so die letzten Mohikaner, die noch für sich Verantwortung übernehmen und für ihre Frauen. Der Beweis ist ja in Aachen sind nach Berlin die meisten Syphilis-Kranken, das heißt da haben dann die Ehefrauen und die Geliebten und Verliebten gemerkt, dass mit denen was nicht stimmt und dann haben die Ärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten gesagt „Sie haben sich infiziert“, mit was auch immer. Da wird aber immer den Prostituierten die Schuld gegeben. Das war immer schon so. Nie den Freiern.

HvK: Dabei sind die diejenigen die hingehen und dafür zahlen, statt das Geld in die Familien zu investieren.

ET: Genau. Dann haben wir was es schon immer so ein bisschen gab, aber jetzt ganz massiv, das ist dieser Ausländerhass, den die Männer dann in der Prostitution nochmal zusätzlich ausleben können. Ich nenne das die Zwei-Klassen-Prostitution. Wir haben 80% ausländische Kolleginnen und 20% deutsche, so wie ich. Die 80% ausländischen Prostituierten machen sowieso alles ohne Präservativ, weil die dazu angehalten werden, zum größten Teil von ihren Zuhältern dazu gezwungen werden. Also das heißt der Freier weiß das, er kann die Frau ohne Präservativ sexuell gebrauchen und kann gleichzeitig den Preis drücken. Also für die Freier haben wir seit der Legalisierung ein sexuelles Schlaraffenland. Sie haben alle Nationalitäten, seit 1.1.2007 können wir den Jungs noch die Rumäninnen und Bulgarinnen anbieten für ne Schachtel Marlboro. Das ist doch super für die Jungs. Und die Frauen denken immer, dass ihr Mann nun derjenige welcher ist, den man da ausnehmen kann.

HvK: Und du sagst es gehen ganz viele hin von denen man das nicht glauben würde.

ET: Naja, das ist jetzt komisch ausgedrückt „von denen man das nicht glauben würde“.  Erstmal sollte man das von gar keinem glauben, erstmal sollte man gar nicht glauben, dass es möglich ist Körperöffnungen zu kaufen, für finanzielles Geld zu erwerben, die Frauen fertig zu machen, vor allem in der SM-Prostitution, die passiven Frauen werden zum Teil gefoltert. Das kann man im Internet alles finden. Man braucht nur gucken unter SM Sklavia, dieses Kunstwort Sklavia, dann findet man alles was dort gemacht wird. Das sollen die Leute, die gerade zuhören und die das interessiert, dann bitte selber recherchieren, weil dann geht’s mir gleich noch beschissener, wenn ich das auch noch sagen müsste jetzt.
HvK: Ellen, jetzt hast du ganz ausführlich beschrieben was die Freier mit den Prostituierten machen und hast gesagt die Prostituierten haben nicht die Schuld, obwohl sie ihnen immer zugeschoben wird. Da finde ich, hast du ganz wichtige Schwerpunkte gesetzt, genau so ist es. Wie kommt es jetzt, dass Prostituierte zu Prostituierten werden, statt einen Beruf zu ergreifen, zum Beispiel? Du sagst ja seit 2002, seit der Legalisierung gilt Prostitution offiziell als Beruf. Und du sagst Prostitution ist kein Beruf. Was ist es dann?

ET: Das ist eine Tätigkeit. Aber ich möchte dazu noch sagen, die Frau von der Leyen, die hat ja am 27.01.2007 vollmundig verkündet, Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere, sondern Ausstieg ist das Ziel. Es gibt aber in Berlin und nirgendwo irgendwelche Aussteigerprogramme, außer irgendwo in Westdeutschland. Und dann sollen die Aussteigerinnen immer in die Altenpflege gehen. Mit welcher Begründung? Sie haben vorher schon nah am Menschen gearbeitet, dann können sie das auch. Die meisten sind aber für die Arbeit in der Altenpflege nicht geschaffen, viele können gar nicht mehr arbeiten. Das finde ich auch irgendwie ganz witzig. Es ist bestimmt ganz gut gemeint, vielleicht ist das sogar für manche Frauen genau das Richtige, ohne Frage, aber für das Gros der Prostituierten, die sich selbst gegenüber schlecht behandeln, und die schon so verroht sind, wie wollen die noch einen alten Menschen pflegen? Die haben doch gar kein Gefühl für sich. Wer kein Gefühl für sich hat, hat auch kein Gefühl für andere. Und für Alte schon gar nicht. Da tun sich ja schon gesunde Menschen schwer, sich mit Alten auseinanderzusetzen, und sie zu hegen und zu pflegen. Wie oft hab ich gehört, in der BZ oder im Fernsehen, dass irgendwelche Ärzte oder Pfleger_innen die Alten niederspritzen. Und dann schicken wir die kaputten Prostituierten da hin, die vorher Sperma geschluckt haben, die sollen dann den Job übernehmen? Das hat mich erschüttert.

HvK: Ja das erschüttert mich jetzt auch. Das ist mir auch neu. Ich merke, wenn ich mich mit dir unterhalte kommen immer noch neue Aspekte heraus, die immer wieder neu erschütternd sind. Und was mich ganz besonders erschüttert hat, das war die Ehrlichkeit mit der du mit dieser Überzeugung gesagt hast: Jede Prostituierte wurde als Kind sexuell missbraucht. Nicht jedes sexuell missbrauchte Kind wird später zu einer Prostituierten, aber wenn ich eine Prostituierte vor mir habe, kann ich davon ausgehen, auch wenn sie es nicht sagt, dass sie als Kind sexuell missbraucht wurde.

ET: Also ich sage in jedem Fall zu 99,99%. Es gibt mit Sicherheit irgendwo irgendwelche Ausnahmen. Und diese Frauen sind so gut in der Lage, das verdrängt zu haben, dass sie ihre kleine, abgearbeitete Hand ins Feuer legen würden und sagen „Ich nicht“. Ich habe dann die gleichen Frauen vier/fünf Jahre später abgearbeitet und im Drogenrausch erlebt und habe sie wieder gesehen und sie standen auf der Straße und haben gesagt: „Weißt du was, was mein Vater gemacht hat, das machen heute die Jungs auf der Straße mit mir“. Auf jeden Fall haben sie einen Missbrauch an der Backe, egal welchen. Entweder emotional, oder sie sind geschlagen worden oder sie sind sexuell missbraucht worden, also irgendein Missbrauch [Anm.: Misshandlung], hundertprozentig. Egal in welcher Form.

HvK: Also, man kann davon ausgehen, dass jede Prostituierte irgendwie traumatisiert ist und zwar ziemlich schwer.

ET: Jede.

HvK: Und dann geht das Leben weiter und du beschreibst ja, dass das was die Frauen da anbieten, womit sie ihr Geld verdienen, dass sie das auch weiterhin fertig macht, emotional. Sie können sich nicht mehr fühlen, sie müssen ihre Gefühle abspalten. Und das alles um des Geldes willen, weil sie ja von irgendetwas leben müssen und das hat sich jetzt so entwickelt, dass sie es auf die Weise tun.

ET: Ja. Ich denke mal, dass speziell in der SM-Prostitution, da ist es noch mehr sichtbar was man den Frauen angetan hat. Denn wo ich schon überall gearbeitet habe, was ich gesehen, gelesen und gehört habe, dass Frauen die im passiven Bereich arbeiten, die lassen sich wirklich foltern. Die werden geschlagen, die müssen Anüsse auslecken, ich sag das jetzt ein bisschen witzig, die müssen Arschlöcher auslecken von irgendwelchen Familienvätern, die müssen sich anscheißen und anpissen lassen, sie werden aufgehangen, die Brüste werden abgebunden. Es ist ein Wahnsinn. Das und vieles mehr, da sind wir an dem Punkt, wo wir vorhin schon waren: Das und vieles mehr kann man im Internet ganz genau recherchieren und nachlesen. Und dann im aktiven Bereich, in dem ich bin, das heißt - klingt aber ganz totschick -„Domina“. Es ist natürlich: bei den dominanten Frauen, gibt’s keine einzige, die jemals gemacht hat, was sie wollte. Der passive Gast, der devote Gast, der Sklave, sagt der Domina, was sie zu tun und zu lassen hat: Wie sie sich zu schminken hat, was sie für ihn anziehen soll, ob Gummi, Leder oder Lack, je nachdem welchen Fetisch er bevorzugt und er wird ihr sagen, was sie tun darf und was nicht. Also selbst die Domina ist ja in einer dienenden Tätigkeit. In einer dienenden Rolle. Jede Prostituierte, oder jede Frau die für sexuelle Handlungen Geld nimmt, das ist ja nun mal der Bereich der Prostitution: Das ist eine dienende Tätigkeit. Und das ist das, was die Frauen von Anfang an lernen und am besten können. Und dann können sie natürlich im dominanten Bereich mal richtig die Sau rauslassen. Auch ich habe mich in meinen Anfängen erwischt, dass ich mehr gemacht habe, als abgesprochen war, weil das in mir schlummerte. Ich habe richtig… Da war schon wieder in den Startlöchern, etwas an den Mann zu geben.

HvK: Also richtig die Aggressionen rauszulassen.

ET: Genau. Weil man selber zu viel bekommen hat, muss man zu viel zurückgeben. Gibt natürlich auch Dominas in der Branche, die sagen, sie sind keine Prostituierte, weil sie keinen Geschlechtsverkehr machen. Das ist natürlich ne Schönrederei dieser ganzen Scheiße. Warum: Sie müssen andere sexuelle Handlungen machen. Und Prostitution besteht nicht nur aus Geschlechtsverkehr. Aber das brauchen die Frauen, um sich besser darzustellen, um sich von dem Rest der „popligen“ Prostituierten abzuheben. Und diese Hierarchie haben ja eigentlich erstmal nicht die Frauen erfunden, sondern die Gäste, sprich die Freier. Und manche schwachen Frauen in der Prostitution übernehmen diese Hierarchie sehr, sehr gerne, weil‘s ihnen ein bisschen gut tut.

HvK: Also, insgesamt hab ich nach den Gesprächen mit dir so gewisse Grundeindrücke gewonnen und dazu gehört dieses Lebensmuster: Kleine Kinder kommen zur Welt – du weißt, dass ich Hebamme bin, ich kenn diese ganzen kleinen Babys – die kommen zur Welt und sind nicht als Prostituierte geboren und wenn man sie gut versorgt, entwickeln die sich eigentlich, jedes anders, aber normal. Und, wenn ich mir jetzt vorstelle – was ich ja natürlich noch nie hautnah miterlebt habe – dass so ein kleines Mädchen, manchmal schon im Alter von zwei Jahren, manchmal Babys, manchmal mit vier oder mit acht, einfach von dem Vater, dem Onkel – meist ist es ja jemand aus dem Umfeld – sexuell missbraucht wird, so richtig. Was das für massive, gravierende Schäden hinterlässt. Die sind wirklich schwersttraumatisiert. Da funktioniert manches nicht mehr: Mit der Konzentration, mit den Gefühlen zum Leben und dann werden sie schlecht in der Schule… also, diese ganze Laufbahn… und nachher wird es immer wiederholt, in gewisser Weise wiederholt. Es ist ein destruktives Lebensmuster. Man hat diesen Kindern ein destruktives Lebensmuster mitgegeben und das tragen die in ihr Erwachsenenleben hinein. Hab ich das ungefähr so ausgedrückt, wie du das sagst? 

ET: Ja, das ist sehr präzise.

HvK: Und das find ich ganz erschütternd, dass das dann auch einfach fortgeführt wird und erst glaubt man dem Kind dann nicht, wenn sie das sagen, in den meisten Fällen. Die Familien wollen das nicht hören: Der Papa, der Onkel oder was… das wird tabuisiert. Und nachher sind sie allein damit und sie sind weiterhin „schuld“. Und das zieht sich durchs ganze Leben, durchs ganze Schicksal.

ET: Ja. Ja, das ist wie so ein Fettfleck, der sich ausbreitet. Wie Kaugummi: Das geht nicht mehr von einem weg. Was mich immer wieder erschüttert, ist dass die Deutschen nicht über den Tellerrand gucken. In anderen Ländern wird Prostitution auch zum Teil positiver gehandhabt. Siehe Schweden: Das ist ja ein Idealmodell! Das kann noch so belächelt werden. Die machen das jetzt 10 Jahre und haben also wirklich, ja, ein ganz anderes Bewusstsein geschaffen, in der Bevölkerung.
HvK: Wie machen die das?

ET: Na, seit 10 Jahren ist in Schweden die Prostitution offiziell verboten: D.h. sie sind für die Prostituierte, aber gegen die Prostitution. Das bedeutet: Die Prostituierte bekommt jede Hilfe, die sie braucht, aber dem Freier wird klar gemacht, dass man keine Frau kaufen soll. Der bekommt ne Strafe.

HvK: Wie läuft das praktisch ab? Also: Die Prostituierte hat ihren Raum, der Freier kommt hin… und wie bekommt der jetzt Strafe?

ET: Ich denke mal, dass da einige Sachen auf der Straße oder so heimlich stattfinden. Ganz klar. Also, die Prostitution ist leider, wahrscheinlich, so 100% nicht ausrottbar. Das ist mir schon klar. Aber so dieses Bewusstsein, das der deutsche Mann von „nebenan“ hat, der deutsche „Vati“. Das hat sich natürlich in Schweden massiv geändert. Das wird in den Klassen schonmal vermittelt, dass das nicht gut ist und so weiter… und die Ausstiegsprogramme, das sind natürlich ganz andere Geschichten: Die Frauen, wenn die nicht mehr arbeiten können, dann werden die auch anders unterstützt als hier, in Deutschland.

Also, zum Beispiel in den Bordellen, was ich also ganz, ganz schlimm finde, das hier in Berlin: Es gibt überhaupt keine Razzien mehr. Die Razzien fand ich sehr gut. Erstens Mal, weiß ich von anderen Frauen, die Zwangsprostituierten waren, die konnten schonmal den „Bullen“ irgendwelche Zettelchen zustecken. Man wusste: Aha, da kann nix weiter passieren. Die sind einfach da. So, und dann natürlich hier die Bestrafung der Freier, die die Zwangsprostituierten besuchen. Die müssten bestraft werden. Und, dass die Gesundheitsämter wieder kommen. Die Sozialarbeiterinnen. Die hab ich immer sehr, sehr nett und sehr positiv empfunden. Die haben jede Menge Infomaterial und Flyer mitgebracht. Und auch Präservative. Die Frauen konnten immer gute Gespräche mit diesen Frauen führen. Das war einfach toll!

HvK: Und das war also vor der Legalisierung.

ET: Vor der Legalisierung. Jetzt kommt niemand mehr. Nur noch alle zwei Monate das Finanzamt und guckt ob alles in Ordnung ist, bzw. ob alle Frauen ne Steuernummer haben.

HvK: Mit welcher Begründung kommen die denn jetzt nicht mehr?

ET: Naja, jetzt ist es ja n Beruf! Die Bäckersfrau, die den Beruf der Bäckerin genommen hat, da kommt ja auch keine Razzia. Und das Gesundheitsamt muss ja auch nicht zum Bäcker kommen.

HvK: Und, du hast auch gesagt: Bei den Razzien wurden oft auch Waffen entdeckt. 

ET: Genau, das. Also: Hehlerware, Zigaretten, so diese ganzen Waffen, etc. Das war normal. Das gibt’s natürlich jetzt auch wieder, aber dafür kommt ja keine Razzia mehr. 

HvK: Ja, und dadurch wird da weniger entdeckt, und weniger…

ET: Es wird weniger entdeckt, ganz klar.

HvK: …und das bedeutet für die Frauen, sie sind noch ausgelieferter.

ET: Sie sind den Zuhältern noch mehr ausgeliefert. Während ja jetzt der Zuhälter nicht mehr der Zuhälter ist, sondern der klassische Manager der Prostituierten, bzw., bzw. hat DIE LINKE in ihrem Gesetzesentwurf sogar geschrieben, dass sie festgestellt haben, dass die Prostituierte nicht die geschundene Kreatur ist, sondern die selbstständige, starke Geschäftsfrau und, dass jemand also schon einen Zuhälter braucht, also der ein Manager ist, und der ist dazu da um der Frau zu sagen, wie sie sich schminken soll.

HvK: Also sowas…

ET: Ja, das kann man nachlesen!

HvK: Wo kann man das nachlesen?

ET: Na, beim Gesetzentwurf.

HvK: Okay, danke! Ich bin wirklich… Ich merke, obwohl ich mich für Frauenrechte engagieren will, bin ich in diesen Sachen ziemlich ignorant. Wahrscheinlich weil‘s so schrecklich ist und jetzt erzähl ich dir, Ellen, warum das so schrecklich ist: Es ist schrecklich… während ich mit dir im Gespräch war, in Berlin – ich hab dich ja auch besucht in deinem Salon und hab Sachen gesehen, die für mich völlig neu waren obwohl ich über 50 bin und ne gewisse Bildung hab – das war mir neu, Ellen. Ich hab ganz arg viel durch dich dazugelernt. Und während dieser Zeit hab ich übernachtet bei Verwandtschaft. Meine Tante ist die Frau gewesen, die geschiedene Frau, von dem Bruder meines Vaters und das sag ich jetzt ruhig mal ganz offen. Ich enttabuisiere jetzt ein Familientabu: Denn dieser Bruder meines Vaters hat seine Töchter zum Teil sexuell missbraucht. Die ham vier Kinder. Und dieses mal, noch bevor ich dich kennenlernte, habe ich mich mit meiner Tante drüber unterhalten, dass das eine Mädchen, die so alt ist, wie ich… Die musste schon als Kindergartenkind… Da brachte der Papa die Kinder zu Bett. Ja, und sie freute sich, machte solang was anderes. Der Mann bringt seine Kinder zu Bett, ja? Sie hat sich damals nichts dabei gedacht. Und damals musste meine Cousine den Schwanz lutschen und das Sperma schlucken, weil die Mami das ja nicht will. Also, hat ja das Kind die Mama geschützt. Diese Cousine, mit der konnte ich nie was anfangen, wenn ich was mit der zu tun hatte. Im Nachhinein blick ich warum und finde es ganz schrecklich, dass ein Mädchen in meiner Familie solche Dinge erleben musste. Als die dann später bei den Kindern vom Bahnhof Zoo war. Da gab‘s ja das Buch von Christiane F. Da hing die dazwischen und natürlich hat das, mit Heroin und mit Prostitution, das hatte auch was miteinander zu tun. Nun sprach also deren Mutter mit mir darüber und es war uns so nah und beiden so schrecklich, aber es war auch gut, dass wir‘s teilen konnten, wie schlimm das für sie gewesen sein muss. Weil, dann geht’s ja immer weiter. Dann muss sie sich weiterhin missbrauchen lassen, um das aushalten zu können. Irgendwie braucht sie das Heroin. Ein Teufelskreis, aus dem meine Cousine rausgekommen ist. Mit sehr vielen Therapien und vor allem mit sehr großer Offenheit ihrer Mutter. Ihre Mutter hat ihr dann  geglaubt, wenn sie in Therapien an solche Erinnerungen herankam, was ja ganz schwer ist. Die sind ja abgespalten, aber ganz wichtig auch, das herauszufinden für den Heilungsprozess. Das ist ihr also gelungen nach und nach. Und ihre Mutter war offen dafür und hat also das Tabu nicht aufrechterhalten. Und dadurch hat es in dieser Familie gewisse Fortschritte und Heilungen gegeben, wobei meine Cousine es bis heute schwer hat, ja, aber sie ist da raus und ist körperlich soweit halbwegs gesund, hat‘s nach wie vor schwer… und jetzt zu erleben, dass praktisch ein Mann in meiner Familie seine Kinder zerstört hat. Der hat ja wirklich das ganze, ja, das ganze Schicksal zerstört. Muss man so sagen, kann man nicht anders sehen. Und dieses Tabu zu brechen, das find ich ganz wichtig, denn ich glaube, dass wir alle uns mit dem Thema deswegen auch nicht so gern auseinandersetzen, weil es uns oft näher ist, als uns lieb ist. Wir haben manchmal mehr damit zu tun, als uns lieb war. Aber trotzdem, find ich‘s genau deshalb so wichtig, die Offenheit dafür zu schaffen, denn nur dann sind wir auch offen uns damit auseinander zu setzen. Es gibt Alternativen. Das was du aus Schweden beschrieben hast, das ist tatsächlich ein sehr viel besserer Umgang damit. 

ET: Auch Norwegen zieht das jetzt in Erwägung, hab ich gelesen…

HvK: Ach ja? Super! Ja, die nordischen Länder sind uns in manchen solchen Dingen weit voraus.

ET: Ja, weit voraus und überlegen. Ja… mein Missbrauch dauerte von meinem 4. bis zu meinem 14. Lebensjahr. Meine Schwester musste noch mehr erdulden als ich. Da bin ich oft Zeugin geworden, was meine Schwester aushalten musste. Trotzdem will meine Mutter, tschuldigung, will meine Schwester mit mir keinen Kontakt haben, weil sie mit Prostituierten nicht spricht. 

HvK: Ja gut, aber sie hat‘s ja auch nicht so gut getroffen. Du hast‘s ja beschrieben. Sie hat einen Mann, der sie schlägt. Und sie kommt aus dieser Beziehung ja auch nicht raus.

ET: Es ist alles schlimm! Auf jeden Fall: Meine Mutter ist vergangenen Jahres gestorben und hat mich enterbt, weil ich mit der Familiengeschichte an die Öffentlichkeit gegangen war.

HvK: Aha. Aus dem Grund hat sie dich enterbt. Liebe Zeit, Ellen, das ist natürlich auch ein ganz extremer Bruch, nach dem allem. Du hast das Tabu gebrochen und zur Strafe wirst du enterbt.

ET: Ja, ich hab immer gesagt: Ich hätte das Geld genommen, denn wenn ich was kriege, n bisschen, dass das Schmerzensgeld ist. Aber Schmerzensgeld hab ich auch nicht gekriegt.

HvK: Ne. Huh, das ist wirklich absolut heftig. 

ET: [… ihr kommen Tränen…]

HvK: Ellen, sollen wir ne kurze Musikpause machen?

ET: Ja…

HvK: Ja? Dann mach ich jetzt mal ein bisschen Musik an, kleinen Moment…

[Musik]

ET: Ich wollte gerne noch dazu anmerken, dass aus einer kanadischen Studie, geht hervor, das das Risiko, geschlagen oder ermordet zu werden, für Prostituierte 60-120 mal höher ist, als für die Allgemeinheit. Und die Begründung dieser hohen Mordrate ist: Die Säuberung der Welt.

HvK: Die Säuberung der Welt?

ET: Ja.

HvK: Erklär mir das.

ET: Naja, für die Männer: Erst machen sie die Frauen zu Huren. Dann benutzen sie sie und dann lachen sie sie dafür aus und sagen, sie sind schmutzig.

HvK: … und dann bringen sie sie noch auf die Seite.

ET: Dann müssen sie sie umbringen, um die Welt wieder zu säubern.

HvK: Also, das ist so abartig. Da kann ich überhaupt nicht folgen. 

ET: Das ist aber deren Logik.

HvK: Ja, das ist aber ne voll kranke, verrückte, schreckliche Logik. Ne unmenschliche Logik. Also Menschen, die haben ja sowas wie „Menschenwerte“ [sic!], Menschenrechte, und die scheinen für Prostituierte überhaupt nicht zu gelten. Die gelten sowieso für manche Menschen weniger als für andere. Aber für Prostituierte gilt da praktisch nichts. Gar nichts.

ET: Nein. Und diese Legalisierung, die hab ich dermaßen persönlich als Angriff auf meine Person erlebt, und tu das immer noch. Zur Legalisierung hin, haben also Männer angerufen bei uns und haben gesagt: „Jetzt, wo das euer Beruf ist, kann ich euch ja mal die „Monika“ nachmittags mal zwei Stunden schicken. Wir haben Schulden. Wieviel verdient die denn da?“ 

HvK: Aha…

ET: Also, das heißt: Die Männer haben jetzt kein schlechtes Gewissen mehr. Früher wurde man als Zuhälter abgestempelt, wenn man ne Frau auf den Strich geschickt hat. Heute sagt er ihr: „Nimm doch einfach mal nen anderen Beruf an.“

HvK: Ja. Heute ist auch das: Ich bin dein Manager und du nimmst mal schnell diesen Beruf an.

ET: Genau: „Und ich hab ein paar gute Schminktipps für dich…“ Ja, das ist also ganz schrecklich. Also, ich finde, das ist der größte Frauen… der Ausdruck des größten Frauenhasses, Prostitution als Beruf zu deklarieren. Ich denke, da ist der Zenit schon längst überschritten. Es gibt da keine Steigerung von.

HvK: Ja, da ist wirklich ein Zenit überschritten und ich finde es wichtig, das mal ins Bewusstsein zu bringen, damit man umlenken kann. Du hast ja zwei Ziele. Du hast ja eigentlich sehr hohe Ziele. Das merke ich, wenn du über deine Kolleginnen sprichst, denen es so schlecht geht. Du hättest gerne, dass es denen besser geht.

ET: Ja, ich hätte auch gerne, dass es mir besser geht.

HvK: Genau. Dir und euch allen. Dass es euch besser geht.

ET: Genau, richtig.

HvK: Und, du hast es als dein Lebensziel, hast du an dem Abend bei Terre des Femmes nur zwei Sachen gesagt, die du wirklich realistisch versuchst, hinzukriegen. Und was war das?

ET: Das waren zwei Sachen, wo ich ne kleine Chance sehe: Das ist einmal, dass in Berlin auch die Kondompflicht eingeführt wird, wie in Bayern. In Bayern gibt es jetzt die Kondompflicht in der Prostitution. Warum? Weils einfach auch infizierte Prostituierte gibt und das auch ein teurer Spaß ist, für die Bajuwaren und auch gefährlich. So, also ich mag, dass sofort die Kondompflicht in Berlin, oder in Deutschland eingeführt wird. Und, ich erwarte, dass sich alle Zeitungen und Stadtmagazine und Bordellanzeigen, wie auch immer… die Anzeigen, dass die sofort wieder auf das Niveau von vor der Legalisierung kommen. Denn da hieß es dann: „Heidi hat Zeit, sieht gut aus, ist vollbusig und erwartet den Besuch.“ Und heute heißt es: „Heidi ist geil, hat ‘n großen Kitzler und möchte ins Gesicht gespritzt werden.“ Und das ist… das ist enorm. Und ich versteh nicht, dass hier niemand was sagt. Und, was für mich auch ganz erschreckend ist: Dass diese Psychologen, dass die das Maul halten.
 
HvK: Welche Psychologen?

ET: Na, einfach diese Psychologen, die… bleiben wir doch mal jetzt in Berlin. Hier gibt’s jede Menge Psychologinnen und Psychologen: Familienpsychologen, Kinderpsychologen, Psychologen jeder Art. Psychologen, Sozialarbeiter…

HvK: Und du findest, die könnten sich zusammentun und könnten sagen: Ne, das ist schlecht für Menschen…

ET: Die Psychologen, die sitzen doch an der Front vom Elend! Auch vom Frauenelend!

HvK: Ja, du hattest ja auch schon mit Psychologen zu tun.

ET: Ich hatte mit mehreren Psychologen zu tun. Die ham gesagt, sie wussten das gar nicht, dass das jetzt n Beruf ist. Sie wussten auch nicht, ob sie jemals ne Prostituierte als Patientin hatten. Und ich mein, da sollte man gleich die Praxis verlassen, wenn jemand sowas sagt…

HvK: Ja, das stimmt.

ET: Genau. Zum Beispiel, das ist für mich… Oder dass die Psychologen überhaupt mal wieder gesagt haben, dass SM nur ne sexuelle Spielart ist. Dann sollen die mal hierher kommen, die Herrn Psychologen! Dann sollen sie zugucken oder nur mal den Telefonservice machen. 

HvK: Ellen, du und ich: Wir könnten mal ne ganz offizielle Fortbildung für Psychologen anbieten, denn ich bin ja auch n Stück weit vom Fach. Und ich hatte auch von vielem einfach keine Ahnung. Denn, es ist ne andere Welt, von nebenan. Da weiß ich mehr über die Aborigines in Australien, als über euch, die ihr direkt nebenan praktiziert. Und, da kann man ganz viel dazulernen. Und, das könnten wir mal zusammen auf die Beine stellen. In Berlin ausschreiben: Wir machen eine Fortbildung für Psychologen. Was passiert in diesem Bereich? Denn dann lernen die auch ganz viel dazu. Ich glaube, das wird nicht großartig gelehrt irgendwo.

ET: Da haben Sie vollkommen Recht… oder da hast du vollkommen Recht. Was ich sagen wollte: Uns ist auch aufgefallen, dass die Psychologen SM auf jeden Fall als sexuelle, legale Spielart betrachten, aber auf der anderen Seite, kann man nachlesen, dass Paraphilien (also jetzt Vorlieben für irgendwelche Fetische), dass das eigentlich alles in Männerhand ist. Also, das heißt, wenn jetzt der Durchschnittsmann nur ein Fetischist ist, wie will der dann die Frau bekommen? Wenn die den Fetischismus nicht hat, den er hat, dann können die doch gar nicht harmonieren. Dann brauchen die auch nicht sagen: Wenn zwei Erwachsene das gleiche wollen, dann passen die zusammen. Die passen nie zusammen. Weils ja nicht logisch ist. Also… die denken, wir sind so n bisschen dumm.

HvK: Ja, auf jeden Fall. Du bist auf jeden Fall nicht dumm… und ich glaube, die fürchten auch Leute, Frauen wie dich, die nämlich nicht dumm sind und die Sache auf den Punkt bringen. Ich glaube, die haben keinen Bock auf die Thematik! Die haben Bock auf das Tabuisieren, weil es einfach… Diejenigen, die es praktizieren, die wollen‘s ja einfach weitermachen. Das ist ja das bequemste und einfachste. Und die, die sich damit nicht beschäftigen, für die ist es auch leichter sich damit nicht zu beschäftigen, denn es ist ja echt n Konfliktbereich. Es ist ein heftiger Konfliktbereich.

ET: Genau, und ich glaube, da iss auch was ganz Gefährliches enthalten. Weil dann müsste man auch mal sagen können: Ich hab ein Recht, meine Eltern anzugreifen. Meine Mutter, mein Vater, haben etwas falsch gemacht. Und dafür ham wir ja das vierte Gebot und ich glaube, dass da auch so ein Knackpunkt ist, dass wir die Eltern nicht angreifen dürfen.

HvK: Ja… also zumindest sollte man offen beim Namen nennen, was sie getan haben.

ET: Richtig…
HvK: Und… auch, wenn sie’s vielleicht nicht böse gemeint haben. Manches ist ja schief gelaufen und sie ham‘s nicht bös gemeint. Manchmal haben sie sich nicht im Griff gehabt. Also, bei allem Verständnis, was falsch war, war falsch und was geschah, das hat halt geschadet. Punkt! 

ET: Richtig…

HvK: Und dem muss man sich einfach stellen. Und, Ellen, erzähl doch mal: Du hast an alle möglichen Stellen geschrieben und bist dort hingegangen. 

ET: Ja, also in Berlin denke ich, wenn die meinen Namen hören, sehen die alle rot. Die mögen mich alle nicht. Also, das sind alle öffentlichen Institutionen, die es da so gibt: Berliner Aidshilfe. Deutsche Aidshilfe. Mit der Berliner Aidshilfe hab ich seit Jahren zu tun. Die finden mich auch ätzend, dass ich das nicht so locker sehen kann und so weiter. Der konnte zum Beispiel auch nicht verstehen, dass ich nicht nachvollziehen kann, dass in Berlin Bareback-Partys erlaubt sind. Zum Beispiel in Österreich und Schweiz, ist das alles nicht erlaubt.

HvK: Was ist denn…?

ET: Bareback-Partys, sind Partys, also “bare back” ist wohl so der englische Oberbegriff für “ohne Sattel”. Bareback-Partys, sind also Partys, da gehen also Infizierte hin. Infizierte mit Aids, Syphilis, die ganzen anderen Geschlechtskrankheiten, Tripper & Co... und was es sonst noch alles gibt. Und dann brauchen die einfach diesen Kick: Russisches Roulette würd ich sagen.

HvK: Also, da treibt‘s jeder mit jedem? Wo bin ich jetzt infiziert oder nicht?

ET: Jeder treibt‘s mit jedem. Und der Nervenkitzel ist: Hab ich mich angesteckt, hab ich mich nicht angesteckt? Das ist ja… das ist erlaubt. In anderen europäischen Ländern ist das nicht erlaubt.

HvK: Das ist auch richtig, das nicht zu erlauben.

ET: Und das find ich ganz entsetzlich.

HvK: Ja, jetzt ist ja das Argument immer wieder: Ja, und wenn‘s verboten ist, machen‘s die Leute trotzdem. Wie willst du’s denn kontrollieren?

ET: Naja, das ist schon richtig, auch. Ich mein: Diebstahl ist auch verboten und es wird immer Diebe geben. Mord ist auch verboten und es wird immer wieder Mörder geben. Aber wir haben ein anderes Bewusstsein dafür. Ich mein, die Schweden sind doch nicht blöder als wir.

HvK: Ich seh das genau wie du: Wenn man‘s verbietet, darf man zumindest nicht damit werben und damit ist schon viel getan. 

ET: Richtig. Genau!

HvK: Und, wenn dann jemand das fordert, kann man‘s ablehnen. Man hat zumindest größere Möglichkeiten, es abzulehnen.

ET: Also, ich hätte ja ganz gern, dass hier die schwedischen… und erstmal bin ich ja ganz kleinlaut… hier die bayrischen Verhältnisse eintreten und die Kondompflicht… dass hier keiner mehr sich traut vor Ort zu fragen: „Was geht hier ohne?“

HvK: Ja, also die Kondompflicht, wär der erste Schritt.

ET: Genau. Die Kondompflicht wär der erste Schritt. Das ist doch auch im Interesse der Ehefrauen oder der Freundinnen der Freier.

HvK: Eigentlich, wer ein Interesse an Volksgesundheit hat, sollte sich genau daran halten.

ET: Genau. Ja, die Krankenkassen. Die Beiträge werden immer höher und so weiter und so fort und da wird dann geklagt, aber dass da mal geschaut wird, was da los ist…

HvK: Mit welchen seltsamen Argumenten wirst du da überall abgespeist?

ET: Naja, man speist mich ab: Ich würde die sexuelle Selbstbestimmung nicht respektieren.

HvK: So, aha. Das hat ja damit grad gar nichts zu tun. Im Gegenteil, ja. Denn, wenn die… die sind ja aus finanzieller Not und auch durch ihre Traumata praktisch gezwungen das mitzumachen, und das hat ja mit Selbstbestimmung grad gar nichts zu tun. Das hast du ja ganz gut auseinandersetzen können.

ET: Nein. Ich sage immer, es gibt drei Gründe in die Prostitution einzusteigen. Das [sic!] erste ist Armut, oder finanzielle Probleme, das ist ja das gleiche. Das zweite sind seelische Probleme. Und das dritte ist: finanzielle und seelische Probleme.
HvK: Also, im Grunde nur zwei und eventuell in Kombination.

ET: Richtig. Und dieses… ich kenn auch zwei Frauen, die noch vor fünf Jahren gesagt haben: „Es ist schick, eine Prostituierte zu sein und ich such mir meine Freier aus.“ So, die eine säuft, man muss fast schon sagen, Gott sei Dank, dass die jetzt auch schonmal n bissl aufwacht und die andere sagt: Mein Gott, ich bin nur noch müde und ekel mich vor Männern. Ja…

HvK: Also, selbst die, die als junge Mädchen…

ET: Die Spätschäden, diese ganzen gesundheitlichen Spätschäden. Die will niemand wissen. Und was ich auch noch sagen muss. Ich bin ja nun nicht verheiratet, habe keine Kinder. Aber viele Frauen sind ja alleinerziehend, auch bei mir hier, und alle Frauen haben ihre Kinder geschlagen. Alle. Alle. Alle haben ihre Kinder geschlagen. Das weiß ich nicht… werden die Mädchen die nächsten Nutten? Werden die Söhne die nächsten Freier? Ich weiß es nicht… ich weiß es nicht… auf jeden Fall, der eine hat seine Mutter immer geschlagen, als er rausgekriegt hat, dass sie Prostituierte ist. Daraufhin hat sie ihm das Essen immer in den Kühlschrank gesperrt und abgeschlossen…

HvK: Das ist ja furchtbar…

ET: Ja, das hab ich aber alles erlebt. Also, das würde gar nicht mehr aufhören, wenn man das alles erzählt.

HvK: Ja, genau. Und das merk ich immer wieder: Das alles mitzuerleben. Du lässt das alles an dich ran und du erlaubst es dir nicht, das mit Drogen oder so einfach auszuradieren…

ET: Nein, dann hätten sie gewonnen… dann hätten sie mich noch geknackt.

HvK: Ja, und deswegen ist deine Taktik: Du gehst an die Stellen, die eigentlich für sowas zuständig sind.

ET: Ja, ich geh den Leuten auf die Nerven!

HvK: Ja, also du gehst ihnen auf die Nerven, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du’s tust, um ihnen auf die Nerven zu gehen, sondern, weil die eigentlich sagen: Unsere Institution, z.B. Aidshilfe, ist dazu da, dass Aids in Deutschland weniger sein soll. Dazu sind wir da. Und dann sagst du: Ja, wenn ihr das wollt, dann hört mir doch mal zu. Ich kann euch ein paar Sachen dazu sagen, damit man das auch hinkriegen kann. Und eigentlich ist es ziemlich verrückt, dass sie das nicht hören wollen, finde ich.

ET: Nein, die wollen das nicht hören.

HvK: Und, das find ich unglaublich, dass sie das nicht hören wollen! Und, was für Begründungen kommen da immer noch?
ET: Naja, in Berlin ist halt immer noch: „Berlin ist arm aber sexy.“

HvK: Aha… aber solche Missbrauchssachen sind ja nicht wirklich sexy. 

ET: Nein, sind sie nicht. 

HvK: Das ist gegen die Menschenwürde, gegen Menschenrechte. Das ist verletzend, das ist zerstörerisch in vielerlei Hinsicht und deswegen denk ich, dass wirklich jeder, der Verantwortung für irgendwas in diesem Bereich trägt, offen sein sollte für das was du zu sagen hast und diese ganzen Inputs von dir aufnehmen könnte, um in seinem Bereich etwas zum besseren zu bewegen.

ET: Richtig. Beim Gesundheitsamt hat mich mal eine Sozialarbeiterin gefragt: Wenn ich so viel erzähle, warum ich nicht was anderes mache? Das fand ich ganz erschreckend, dass die mich das gefragt hat. Wenn ne Frau, die jahrelang von ihrem Ehemann in die Fresse kriegt, da fragt man ja auch nicht, warum sie nicht aufsteht und geht. Man ist da drin gefangen. Aber es gab Zeiten, da fand ich mich totschick! Dass ich für Geld die Macht hatte, dass Männer pseudomäßig irgendwas getan haben, was ich wollte. Ja, das fand ich erstmal ganz totschick. Sonst hab ich ja immer alles machen müssen. So. Und da gab’s echt n Mann, wenn ich gesagt habe: „Runter mit dir!“, der hat das gemacht. Ich bin ja fast… fast gedacht, ich bin größenwahnsinnig schon. Dann merkte ich, dass der das ja nur macht weil er das selber will und weil er selbst seine kranke Geschichte mitbringt. So… dann traut man sich was anderes nicht mehr zu. Dann kommt das. Und dann, dann hab ich irgendwann gemerkt, die anderen trauen mir gar nicht mehr zu. Also, das ist so ne ganz komische Mischung. Ja, also wo soll man denn hin? Wo soll ich denn bitteschön hin?! Ich weiß zu viel. Ich sehe auch grundsätzlich… ich sehe oft Freier. Die haben so nette, zauberhafte Frauen an der Hand. Und ich denke immer: Lieber Gott…
HvK: Also auf der Straße. Du gehst auf der Straße lang und triffst dann im Freien einen der Freier und dann hat der ne nette Freundin, vielleicht nette Frau, vielleicht Familie. 

ET: Ja, klar.

HvK: Und dann würde ich, wenn ich da so ganz naiv da irgendwo entlanggehen würde, würd ich sagen: „Das ist doch keiner, der jemals sowas machen würde.“ Würde ich jetzt vielleicht denken…

ET: Naja, wenn die Leute mich sehen, die würden auch nicht denken, dass ich eine bin, die Menschen quält.

HvK: Ja, das stimmt.

ET: Also, das ist ja das gleiche.

HvK: Du bist klein, du bist zierlich, du bist sanft, du bist hübsch und, da würd ich auch nicht drauf kommen. Da hast du recht, ja.

ET: Ja, und das schlimme ist, dass nicht nur ich oder so… dass die Frauen hier… Wir haben uns oft da drüber unterhalten: Wenn wir hier irgend jemanden verbal erniedrigen oder erziehen. Die ganzen Geschichten oder so: Keine Frau fühlt was dabei. Ich fühle nichts. Wir fühlen nichts!

HvK: Da würd ich gern nochmal fragen, für die Hörer, was ihr da überhaupt macht.

ET: Naja, wir schlagen Menschen, wir fesseln sie, wir erniedrigen sie mit Worten und mit Taten. So ‘ne Geschichten… wir nadeln auch…

HvK: Nadeln heißt?

ET: Nadeln heißt, ja so kleine Nadeln, in die Brustwarzen oder so oder den Brusthof gesteckt werden, damit der Mann sich überhaupt fühlt.

HvK: Ich beschreibe mal, für die Hörer, die das genauso wenig kennen, wie ich es kannte: Man kommt also in gepflegte Räume hinein, die aber ganz besonders ausgestattet sind. Ein Raum sieht aus, wie ein Schulraum. Da sind Schultische, ne Tafel an der Wand, aber gleichzeitig… du denkst also, das ist um Nachhilfe zu geben. So sieht dieser Raum aus. Ganz normal. Aber, dann ist da noch n Behälter mit nem Teppichklopfer und sowas und dann ist da so ‘n Lederbock. Und dann wird in diesem Raum gespielt: Das hat ja wohl auch etwas mit Theater wohl so zu tun, also, ich glaube, die Frauen, die bei dir arbeiten müssen dann auch sowas, wie ein schauspielerisches Talent haben. Die müssen dann so ne Schulsituation spielen. Das ist natürlich mit dem Menschen dann abgesprochen, der dafür zahlt. Und, müssen dann aber als ganz überstrenge Lehrerin ihn dann auch verprügeln und das erregt ihn dann sexuell. So hab ich das verstanden. Und dann gibt’s andere Räume mit ganz anderer Einrichtung. Zum Teil sieht das fast aus wie Folterinstrumente. So’n Sitz, da ist in der Mitte dann, wie so ‘n Stachel? Was war das? So, wie so roter Stuhl mit so ‘nem Stachel in der Mitte?

ET: Das ist so ‘n Strafsitz.

HvK: Ein Strafsitz.

ET: Genau.

HvK: Und eben Peitschen und Fesseln und alles Mögliche… und dann hab ich miterlebt, als ich bei dir im Büro saß, da musst ich dran denken, es ist eigentlich wie bei jeder andern Arbeit auch: Wenn ich in der Klinik auf Station arbeite und bin im Schwesternzimmer und meine Schülerinnen und junge Kolleginnen kommen und ich sag, geh in das Zimmer mach das, geh in das Zimmer mach so… auch ja, und jetzt ist noch das dazwischen gekommen, mach so. So hast du das deinen Mitarbeiterinnen gesagt. Die eine war ganz flattrig: „Oh jetzt sind drei da und wir sind nur zu zweit.“ Dann hast du gesagt: „Ja, dann fessle ihn halt erstmal und sag ihm: Du hast noch viel mit ihm vor! Dann gehst du schnell nach nebenan, machst mit dem das und das. Das kriegst du schon hin auch die beiden zufrieden zu stellen und so leitest du ja auch deine Mitarbeiterinnen an und da hattest du n ganz besonderen Ansatz. Du hast mir gesagt: Für das Anleiten nimmst du kein Geld. Andere nehmen dafür Geld. Ausbilden ist ja auch anstrengend. Ja… ja…

ET: Also, ich weiß das manche nehmen für so zwei Doppelstunden 400,- Euro oder so ein Gesamtpaket für 1.500,- Euro und da die Frauen ja das Synonym für Armut sind, meistens kein Geld haben oder in die Prostitution reingehen, weil sie hochverschuldet sind, dann wird halt irgendwas unterschrieben, dass sie das irgendwann abarbeiten müssen. So, also, ich nehm jetzt fürs Anlernen gar kein Geld.

HvK: Das find ich total fair. Und eine deiner jungen Mitarbeiterinnen sagte mir auch, sie ist froh, dass sie zu dir hingeraten ist. 

ET: Ja, das freut mich natürlich. Das freut mich natürlich. Also, es gibt Frauen in der Stadt, die mich ganz toll finden, weil ich so bin wie ich bin. Und für viele, bin ich auch einfach zu anstrengend, weil ich sie mit der Nase drauf hinweise, was da nicht rechtens ist.

HvK: Ja, und du hast auch ganz klare Grenzen. Du hast mir gesagt: Manche machen sowas wie KZ-Situationen, dass sie das nachspielen.

ET: Naja, ich würde sagen, dass ich mit Abstand das Studio bin, welches am wenigsten anbietet. Dazu gehören also KZ-Spiele. Also, die älteren Herrschaften in Berlin, die wissen das, dass das bei mir im Studio nicht möglich ist. KZ-Spiele lehne ich ab. So, überhaupt irgendwelche Spiele mit Uniformen lehne ich auch ab. Ich lehne es ab, dass Zigaretten auf irgendwelchen Ärschen ausgedrückt werden. Ich lehne ab, dass mit Skalpell gearbeitet wird, dass geritzt wird. Es gibt hier keine Kurznarkosen. Also, es gibt ganz viele Sachen, die lehne ich schlichtweg ab. Weil ich möchte, dass das hier so bleibt. Bei mir gibt es Be-handlungen und keine Miss-handlungen. Und manchmal sind die Grenzen ja schon sehr, sehr, sehr fließend, jaja…

HvK: Und da hab ich gesehen, als du mir das alles gezeigt und erklärt hast und ich das diese zwei Stunden miterlebt habe, dass du da sehr klare Grenzen hast, dass es doch noch in einem gewissen Respektsbereich bleibt. 

ET: Ja, muss.

HvK: Muss.

ET: Das mach ich aber nicht nur, weil ich so ein Gutmensch bin, sondern weil ich mich nur so selber retten kann. Ich hab gemerkt, so geht’s mir am besten und alles andere, das ist… das ist sonst… das geht total vor die Hunde und die anderen Frauen auch. 

HvK: Also, du hast dir in diesem schlimmen Lebensbereich…

ET: …ne kleine Nische.

HvK: Genau… so einen gewissen Schutzraum noch behalten. Dass es möglich ist, darin zu leben ohne komplett kaputt zu gehen. Sowas, ja…. Genau. Und was ich ganz besonders, was mich ganz besonders anrührt: Jetzt zum Ende möchte ich das doch nochmal sagen, Ellen, wie du mitempfindest, auch mit deinen Kolleginnen, denen es schlecht geht und dann, immer wieder rausgehst, damit. Jetzt machen wir diese Sendung. Die wollen wir dann auch ins Internet stellen, damit sich‘s jeder anhören kann, den es auch sonst wann interessiert. Und, du bleibst da dran und hast Aktenordner voll auch mit Schreiben an verschiedene Stellen. Willst du noch kurz zum Schluss mal erwähnen, an wen du dich schon alles gewandt hast?
ET: Na, ich sagte eingangs schon. Also, das ist die Berliner Aidshilfe. Die Deutsche Aidshilfe. Früher hatte ich auch noch mit Hydra Kontakt. Hydra lehn ich inzwischen total ab. Total, weil die wirklich denken, das ist ein Beruf wie jeder andere. Hab ich damit nichts zu tun, mit dieser Sorte Frau. Naja, ich hab also ansonsten hier mit diesen ganzen Ämtern, vom Senat, ach Rechtsanwälte, Psychologen… also, es gibt eigentlich keine Stelle, wo ich mich noch nicht hingewandt habe.

HvK: Jaja, das klingt nach so unglaublich viel. Diese Ordner würde ich irgendwann gern mal sehen. Ein Schreiben haben wir ja auch gesehen, das du, ich hab jetzt vergessen, wem du’s geschrieben hast, ist ja auch nicht so wichtig. Jedenfalls, dass du damit rausgehst, immer wieder und ich glaube, Ellen, auch wenn die Leute nicht sagen: „Vielen Dank!“, so wie ich, dass Sie uns darüber aufgeklärt haben, ich glaube, du hinterlässt doch deine Spuren. Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass das so ganz wirkungslos an allen vorbeigeht. Ja, viele Leute können ja nicht sofort drauf eingehen. Ich glaube, dass es bei manchen auch nachwirkt. Also ich hoffe es zumindest und ich glaube auch, dass es so ist. Also ich hoffe auch, dass du dich da nicht entmutigen lässt. Und, bei deiner Richtung bleibst. Es ist noch das Beste für alle. Wenn du den Mund nicht aufmachst, wer macht‘s dann? Das macht ja keiner!

ET: Naja, in andern Ländern machen die Frauen den Mund sehr wohl auf. In Bayern auch. Aber in Berlin sieht‘s halt schlecht aus. Zum Beispiel in Hamburg weiß ich, dass also keine Bordellanzeigen gedruckt werden dürfen, in denen erkennbar ist, dass das also unsafe Praktiken sind. Das ist, dafür ist Berlin wirklich die Nummer eins. Ja, mit den Zeitungen hab ich ganz viele Probleme gehabt: Ja, ich hab also Aufrufe gemacht: An die Gäste, an die Freier, an die Frauen.
HvK: In den Zeitungen, hast du annonciert?

ET: Jaja.

HvK: Ahja… und dafür haben die Zeitungen dir Probleme gemacht.

ET: Richtig, die wollten den vollen Preis haben, so als würde ich eine Bordellanzeige starten. Als hätt ich mit diesem Aufruf Geld verdient. Frechheit!

HvK: Ja, das könnten sie wirklich kostenlos abdrucken.

ET: Wahnsinn, ja.

HvK: So, jetzt geht unsere Stunde dem Ende zu. Jetzt will ich nochmal kurz sagen, für die die zwischendurch erst eingeschaltet haben, wer du bist. Willst du’s selbst nochmal kurz sagen: Ellen Templin aus Berlin.

ET: Richtig. Ja, ich bin schon sehr lange in der SM-Prostitution tätig und sehe ganz viele Sachen, die absolut frauenfeindlich sind. Für Frauen absolut nicht geeignet sind. Und diese ganze Legalisierung, das ist eine einzige Verarschung. Alleine diese verblödete Begründung, dass Frauen jetzt ihren Hurenlohn einklagen können. Das würde ja bedeuten, sie ist zu dumm für diese Arbeit. Sie ist nicht in der Lage vorher zu kassieren, bzw. sie ist so naiv und glaubt, wenn der Gast ihr schon kein Geld gibt, dass er dann aber so nett ist, und sagt ihr Name und Adresse, damit sie den Hurenlohn einklagen kann. Das ist doch eine Verarschung.

HvK: Stimmt einfach alles nicht. Es hat keine Vorteile gebracht.

ET: Nein. Und die Frauen haben das auch nicht angenommen. 1% oder sowas oder 0,blablabla. 

HvK: Also, es ist ganz dringend, da wieder eine Veränderung…

ET: Es ist ein großer Handlungsbedarf. Ja… und man wird als Frau nicht dafür geliebt, wenn man unbequem ist.

HvK: Nein, nein…

ET: Das ist natürlich in allen Bereichen so. Da muss man nicht in der Prostitution tätig sein.

HvK: Ja, das stimmt. Aber umso wichtiger, dass man dran bleibt und Bewusstsein schafft. Vielleicht, kommt ja doch jemand Verantwortliches mal auf die Idee, sich n bisschen da drum zu kümmern. Gut, Ellen: Dann muss ich mich jetzt von dir verabschieden. Ich danke dir ganz herzlich, dass du dir diese Stunde Zeit genommen hast. Find ich sehr wertvoll und wünsch dir alles Gute! Wir bleiben in Verbindung.

ET: Gerne! Auf jeden Fall! Bedanke mich auch. Bis dann… 

HvK: Ja, das war Ellen Templin. Eine Frau, die ein SM-Studio leitet in Berlin und sich sozial sehr intensiv engagiert gegen die ganzen Missstände im Bereich „käufliche Erotik“. Am Mikrofon mit Ellen Templin war Hedwig in „Liebe, Leid und Lebensfreude“ und Ellen mag Michael Jackson Musik. Darum hab ich anfangs und in der Mitte mal laufen lassen und das lass ich jetzt zum Schluss auch fertig laufen und wünsche allen einen schönen Tag.


(Transkription von Manuela Schon und Susanna Scherer)

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