Sonntag, 1. Juni 2014

Das schwedische Modell des Sexkaufverbots für Dummies

Dummies (2973280850)
von Marcus Quigmire from Florida,
USA (DummiesUploaded by Princess Mérida)
[CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons
Wenn es um Prostitution geht, hört man immer wieder vom sogenannten Nordischen Modell. Damit gemeint ist das ursprünglich aus Schweden stammende Verbot für Sexkauf. Nicht die Prostitution ist dort verboten – sondern der Kauf sexueller Dienstleistungen. Da sicher aber gerade um das Schwedische Modell allerlei Gerüchte ranken, hier die FAQ des Sexkaufverbots für Dummies.

„In Schweden ist Prostitution verboten.“
Falsch. Seit Sommer 1998 ist es in Schweden für Männer verboten, für Sex zu bezahlen. Nach schwedischer Auffassung kann Prostitution niemals freiwillig sein und stellt eine Verletzung der Integrität und Würde von Frauen dar. In einer gleichberechtigten und freien Gesellschaft ist daher kein Platz für Sexkauf.

„In Schweden werden die Prostituierten diskriminiert und bestraft.“
Die Einzigen, die in Schweden mit einer Strafe im Zusammenhang mit Prostitution zu rechnen haben, sind die Freier. Frauen hingegen, die Prostitution ausüben, erhalten umfassende Beratungs- und Hilfsangebote. Sie werden für die Ausübung der Prostitution nicht bestraft. Allerdings ist Prostitution auch keine legale Tätigkeit wie jede andere. Das ist bewusst so entschieden worden, um Frauen davor zu schützen, in die Prostitution gedrängt zu werden.

„Wenn Prostitution illegal ist, dann ist sie auch schwerer kontrollierbar und alles wandert in den Untergrund. In Schweden ist die Untergrundprostitution bestimmt sehr aktiv.“
In Schweden gibt es eigene Polizeigruppen, die auf Freierfang gehen – auf der Straße und im Internet. Prostituierte müssen, um Freier auf sich aufmerksam zu machen, in irgendeiner Form präsent sein, sei es auf der Straße oder durch Anzeigen. Auf diese Weise findet sie die Polizei – und so auch die Freier.

„Wenn Prostitution illegal ist, dann ist es für die Frauen sehr viel unsicher, zu arbeiten. Sie müssen Angst haben, sich an die Polizei zu wenden.“
Prostituierte, die sich an die schwedische Polizei wenden, haben nichts zu befürchten. Das Augenmerk liegt einzig auf den Freiern.

„Wenn die Freier kriminalisiert werden, dann ist die Gesetzgebung doch männerfeindlich.“
Die Freier haben mit Geld- oder Gefängnisstrafen zu rechnen, aber sie bekommen auch Beratung und Hilfe. Sie werden nämlich als Suchtkranke betrachtet. Allein in Stockholm haben sich in den vergangenen Jahren 1000 Freier an Beratungsstellen gewendet.

„Wo liegt denn eigentlich das Problem? Wenn Frauen es freiwillig für Geld machen, warum soll man es verbieten?“
Frauen, die sich prostituieren, machen das in den meisten Fällen aus ökonomischer Not oder weil sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, nicht weil sie Lust auf Sex mit dem entsprechenden Mann haben. Hier steht also sehr wohl ein ökonomischer Zwang hinter der Entscheidung. Sie will keinen Sex mit dem Mann, für das Geld gibt sie aber ihre Zustimmung. In einer Gesellschaft, in der es um Gleichberechtigung und Respekt geht, ist das ein nicht hinnehmbarer Zustand, dass für Geld die freiwillige Zustimmung zum Sex einfach umgangen werden kann. Eine solche Institution unterminiert das Geschlechterverhältnis zwischen allen Frauen und Männern.


„Es gibt auch Frauen, die sich Sex kaufen. Werden die auch bestraft? “
Jede Art von Sexkauf ist in Schweden verboten. Der Anteil von Frauen liegt bei einem verschwindend geringen Anteil. Festgenommen oder verurteilt wurde bisher noch keine Frau. Es gibt auch sonst auf der Welt keine Laufhäuser und keine Straßenstrichs für Frauen. Die wenigsten Gigolos können von ihrer Tätigkeit für Frauen überleben. Dafür steigen die Zahlen männlicher Prostituierter ständig an. Ihre Kunden sind ebenfalls Männer.

„Wenn in Schweden Prostitution verboten ist, dann reisen die ganzen Freier eben ins Ausland. Ein Sexkaufverbot lässt den Sextourismus ansteigen.“
Das lässt sich nicht verhindern, solange in anderen Ländern Sexkauf legal ist. Deshalb ist es wichtig, auch in anderen Ländern ein Sexkaufverbot einzuführen – und auch den Sexkauf im Ausland strafbar zu machen, wie es in Norwegen der Fall ist. Norwegen hat das Schwedische Modell bereits 2009 übernommen, Island und Frankreich folgten ebenfalls.

„Ausländische Prostituierte werden in Schweden einfach abgeschoben. Das kann nicht im Sinne der Frauen sein.“
Das trifft nur auf die Frauen ohne gültigen Aufenthaltsstatus zu. Das liegt allerdings nicht am Verbot von Sexkauf, sondern am Einwanderungsgesetz. Wie in anderen Ländern auch, ist der Aufenthalt ohne gültige Papiere verboten. Nur wegen der Ausübung der Prostitution wird in Schweden niemand abgeschoben.

„Zahlen zeigen, dass die Gewalt gegen Prostituierte und die Zwangsprostitution sogar zugenommen haben. Das spricht doch gegen das Schwedische Modell, oder?“
Die Zahlen beziehen sich auf die zur Anzeige gebrachten Fälle. Dass diese in Schweden im Vergleich zu anderen Ländern höher sind, zeugt eher von einem größeren Vertrauensverhältnis und einer effektiveren Arbeit der Polizei als in anderen Ländern, die mit einem viel größeren Dunkelfeld zu kämpfen haben. In Deutschland sind die Verurteilungszahlen bei Menschenhandel seit Jahren rückläufig – obwohl es nicht weniger Opfer gibt – die Polizei hat aufgrund der Legalisierung der Prostitution nur weniger Möglichkeiten, Bordelle und Wohnungen zu kontrollieren und so Opfer zu finden.

„Warum mischt sich der schwedische Staat überhaupt in das ein, was zwei Menschen im Bett miteinander machen?“
Die schwedische Gesetzgebung versteht sich durchaus als moralisch normierend und Umfragen zeigen, dass sie erfolgreich ist: Mehr als zwei Drittel der Schweden lehnen Sexkauf ab und unterstützen das Gesetz. Wer in Schweden Prostituierte besucht, wird bemitleidet – anders als in Deutschland, wo das als Beweis von Männlichkeit gilt, oder zumindest als normal. In Schweden ist es nicht normal, einen Puff zu besuchen.

„Und was ist mit den Frauen, die ihren Beruf freiwillig ausüben wollen? Die werden durch das Verbot eingeschränkt.“
Der schwedische Gesetzgeber geht davon aus, dass Prostitution nie freiwillig sein kann, sondern immer aus einer wie auch immer gelagerten Zwangslage entsteht, sei es aus ökonomischem Druck, aus persönlichen Vorerfahrungen oder aufgrund sozialer Umstände. Doch auch wenn es tatsächlich Frauen gibt, die Prostitution freiwillig und selbstbestimmt ausüben – so zeigen Umfragen und Studien, dass sie die absolute Minderheit unter Prostituierten ausmachen. 89 Prozent aller Prostituierten in Deutschland würden sofort aufhören, wenn sie könnten. In Schweden greift das Gesetz ein, um die Mehrheit der Frauen zu schützen – auch wenn das bedeutet, dass eine Minderheit deshalb eingeschränkt ist. Prinzipiell ist ihre Berufsausübung ja auch nicht verboten – nur durch das Sexkaufverbot erschwert.

„Was ist denn mit behinderten Menschen, die ohne Prostituierte keine Möglichkeit haben, an Sex zu kommen? Werden sie nicht durch ein Sexkaufverbot diskriminiert?“
In der Debatte melden sich immer wieder behinderte Männer zu Wort und bestehen auf ihr Recht auf Sexkauf. Von behinderten Frauen ist nie die Rede. Aus der angeblichen Diskriminierung einer Gruppe das Recht auf die Diskriminierung einer anderen zu machen, ist falsch. Auch behinderte Männer haben kein Recht, Frauen zu kaufen. Der Gedanke der Inklusion bedeutet, die gleichen Wertmaßstäbe an alle Männer, an alle Menschen anzulegen. Außerdem ist abwertend gegenüber behinderten Menschen, anzunehmen, außer gegen Bezahlung wolle niemand mit ihnen Sex haben.

„Durch ein Verbot löst man nichts. Prostitution hat es immer gegeben und wird es immer geben.“
Tatsächlich hat es Prostitution nicht immer gegeben. Sie entstand zusammen mit der Sklaverei und ist keineswegs der älteste Beruf der Welt. Mit dem Verbot verschwindet sie auch nicht vollkommen. Aber in Schweden hat sich die Anzahl der Prostituierten seit der Einführung des Gesetzes deutlich verringert. Darüber hinaus bietet das Verbot die Möglichkeit, Prostitution zu kontrollieren – und die damit verbundenen Verbrechen wie Menschenhandel und Zwangsprostitution. Besonders wichtig ist das durch das Verbot ein Umdenken in den Köpfen stattfindet – Prostitution ist nicht mehr selbstverständlich.

1 Kommentar:

  1. "Seit Sommer 1998 ist es in Schweden für Männer verboten, für Sex zu bezahlen."

    Korrektur: Das Gesetz trat Anfang 1999 in Kraft.

    Und bitte setzt den Begriff "sexuelle Dienstleistungen" konsequent unter Anführungszeichen, denn Sexualität ist ja gerade keine Dienstleistung, und soll auch keine sein.

    Ansonsten: Sehr guter Text, den ich gerne weiterempfehle.

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