Von Meghan Murphy, 20. Januar 2014, erschienen auf rabble.ca, übersetzt und veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Shero Kajsa Ekis Ekman |
Meghan Murphy: Was hat Sie dazu bewegt, ein Buch über Prostitution zu schreiben?
Kajsa Ekis Ekman: Zwei Dinge: Praxis und Theorie. Es ist ergiebig, sich einem Thema von zwei Blickwinkeln her zu nähern und es ist sogar notwendig, wenn man sich vornimmt, über so etwas wie Prostitution zu schreiben. Man muss sich die Realität ansehen und außerdem über das theoretische Werkzeug verfügen.
2006, als ich anfing, an dem Buch zu schreiben, kam die Debatte über Sexarbeit hier in Schweden gerade in Gang. Das Gesetz über sexuelle Dienstleistungen trat 1999 in Kraft und damals fand kaum eine Debatte darüber statt. Als die Debatte dann doch aufkam, und zwar scheinbar wie aus dem Nichts, war sie sofort riesengroß und hitzig – auf einmal sagten die Leute Dinge wie: „Das ist doch nur ein Job, dieses Gesetz ist moralisierend, jeder hat das Recht zu tun, was er will“ usw. Ich sah, wie FeministInnen und Leute aus linken Bewegungen auf den Zug sprangen und ihre Meinung änderten, was ich verwirrend fand.
In dieser Zeit lebte ich in Barcelona und teilte mir eine Wohnung mit einer Frau, die sich selbst auf der Umgehungsstraße außerhalb der Stadt verkaufte. Ich sah also alles, was vor sich ging, aus erster Hand. Sie lebte mit ihrem Freund zusammen, der so etwas wie ein Zuhälter war und der am Anfang behauptet hatte, er würde von Banküberfällen leben, wo ich mir schon dachte, dass das nicht stimmen konnte, da er nie vor die Tür ging – er war immer zuhause, hockte vor dem Computer oder brachte sie zur Umgehungsstraße und wieder zurück. Mir wurde schnell klar, dass er auf ihre Kosten lebte.
Ich sah die Realität dieses Lebens und auch, wie andere in ihrem Umfeld in das Geschäft mit dem Sexverkauf hineingerieten. Die meisten von ihnen waren nicht aus Europa – sie selbst kam aus Russland und es waren auch einige Frauen aus Südamerika dabei. Sie behaupteten, sie würden viel Geld verdienen, aber das war ganz eindeutig nicht der Fall. Wissen Sie, sie verdienten 10 bis 20 Euro die Nacht, kamen nach Hause, beamten sich mit Alkohol ins Koma und am nächsten Tag ging alles von vorn los.
Die Wirklichkeit der Situation passte nicht zu dem, was in der Debatte um „Sexarbeit“ gesagt wurde – es waren zwei verschiedene Welten. Also begann ich, darüber zu schreiben.
Ich schrieb ein paar Artikel über Prostitution. Die Reaktionen darauf schockierten mich. Ich habe einige Artikel geschrieben, die Titel trugen wie „Zerschmettert den Kapitalismus!“ und niemand kritisierte mich, aber als ich sagte: „Wissen Sie, unsere Gesetze in Sachen Prostitution sind ziemlich gut“, da drehten alle durch. Ich erhielt unglaublich viele Hassnachrichten und dachte mir: „Das ist doch komisch. Da sagt man 'Zerschmettert den Kapitalismus' und es kümmert keinen – dabei sollte man doch meinen, das sei radikal.“ Das Thema Prostitution schien einen Haufen Leute zu provozieren. Deswegen beschloss ich, mich mehr auf Prostitution zu konzentrieren und begann zu recherchieren, was ich dann ungefähr vier Jahre lang tat.
M: Wie fiel die Reaktion darauf aus?
K: Am Anfang bekam ich ein bisschen Angst und fragte mich: „Warum ich? Was haben die gegen mich? Ich bin doch ein netter Mensch!“ Und dann ist mir klargeworden, dass ich nur damit umgehen kann, wenn ich über die Wahrheit schreibe, die ich sehe. Dass es die einzige Möglichkeit ist. Viele Leute reagierten, indem sie sagten, ich sei eine radikale Feministin. Das bin ich aber nicht – ich bin nur eine Feministin, nicht mehr und nicht weniger. Ich greife auf radikalfeministische Theorien zurück, aber ich verwende in meinen Analysen auch viel aus marxistischer Literatur – ich nähere mich dem von vielen Blickwinkeln her.
M: Manche Leute glauben, mit einer Legalisierung der Prostitution werde diese aus dem Untergrund gezerrt und für die Frauen irgendwie sicherer. Wie sehen Sie solche Argumente, die eine Legalisierung als Möglichkeit befürworten, die Gewalt an Frauen zu verringern und die Prostitution für Frauen sicherer zu machen?
K: Nun, diese Behauptung müssten Sie mit Fakten stützen und wenn man sich die Realität ansieht, zumindest hier in Europa, dann sieht man, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllt hat.
In einer Studie hat man die Legalisierung von Prostitution und Bordellen in Europa evaluiert und diese Studie hat offen gelegt, dass keins der Ziele erreicht wurde. Die Legalisierung hat die Prostitution nicht sicherer gemacht; sie hat den Frauen kein sicheres Arbeitsumfeld oder stabile Arbeitsverhältnisse verschafft und die Mehrheit der Frauen bezahlen nach wie vor keine Steuern. Dagegen zeigte die Studie, dass die Frauen erstens viel länger in der Prostitution bleiben, als sie erwartet hatten und dass es zweitens schwerer für sie geworden ist, die Industrie zu verlassen. Wenn man sich die Erfahrungen in Deutschland und in den Niederlanden ansieht, erkennt man, dass es durch die Legalisierung eben nicht sicherer geworden ist – das Gegenteil ist der Fall.
M: Es gibt auch die Vorstellung, dass Prostitution tabu ist – was an die Vorstellung anknüpft, dass Sexualität tabu ist. Auf Grundlage dieses Arguments sagen Manche, wenn Prostitution normalisiert wird und nicht mehr tabu ist, dann gäbe es sexuelle Befreiung. Das wiederum knüpft an Argumente an, laut denen FeministInnen, die Prostitution ablehnen, „sexfeindlich“ oder prüde seien oder die Sexualität anderer unterdrücken wollen. Was halten Sie von diesen Argumenten?
K: Man muss sich die Frage stellen: „Was ist Prostitution?“ In diesem Tausch sind zwei Personen involviert – eine dieser Personen will Sex, die andere nicht. Das ist das grundlegende Kriterium. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, liegt keine Prostitution vor. Bei zwei Personen, die miteinander Sex haben wollen – wenn sie heiß aufeinander sind, wenn sie erregt sind, wenn sie sich nach dem anderen verzehren -, dann werden sie selbstverständlich nicht bezahlen. In einer freien Sexualität bezahlt man den anderen nicht.
Im Fall von Prostitution sprechen wir von einer Art „Sexualität“, in der eine Person nicht in einer sexuellen Situation sein will und die andere Person sie deswegen bestechen muss. Darauf fußt Prostitution. Warum nur müssen wir unbedingt daran festhalten? Aus welchem Grund soll das die Krönung sexueller Freiheit sein? Eine Situation, in der eine Person nicht sein will? Und warum bereitet das den Leuten keine Sorge? Weshalb bereitet es ihnen keine Sorge, dass eine Person bestochen werden muss, um in einer sexuellen Situation zu sein?
M: Besonders, wenn es von Seiten von FeministInnen kommt, die von Konsens reden... Manche argumentieren, es geschehe „in beiderseitigem Einverständnis, weil zwischen zwei einwilligenden Erwachsenen“.
K: Aber wozu willigt sie ein? Sie willigt dem Geld ein, nicht dem eigentlichen Sex. Wenn Sie zu einer Prostituierten sagen: „Sie haben zwei Optionen. Entweder Sie nehmen das Geld und gehen oder Sie nehmen das Geld und bleiben außerdem für den Sex“, was glauben Sie, wie viele würden für den Sex bleiben? Nicht einmal ein eingefleischter Prostitutionsverfechter wird behaupten, dass die meisten für den Sex bleiben würden. Die meisten von ihnen werden das Geld nehmen und gehen – was beweist, dass sie keinen Sex wollen. Sie wollen das Geld.
Wenn Sie also so sexuell radikal oder sexuell liberal ist, warum sehen Sie die Situation dann nicht als das, was sie ist? Sex, bei dem eine Person keinen Sex will? Wie kann Ihnen das keine Sorge bereiten? Genau das unterscheidet Prostitution von allen anderen Arten sexueller Gegebenheiten. Wenn Sie zwei Personen haben, die es wollen, dann zahlt keiner Geld und wenn es keiner von beiden will, dann gibt es offensichtlich gar keinen Sex.
M: Ich frage mich, wie Sie über die Vorstellung denken, dass Prostitution einfach nur ein Job ist. Zum Beispiel die Haltung, nach der Prostituierte einfach eine Dienstleistung erbringen, so wie eine Heilmasseurin, eine Friseurin oder eine Kellnerin?
K: In Ordnung. Wenn wir so darüber sprechen, dann können wir gleich die Vorstellung vergessen, nach der Prostitution irgendetwas mit freier Sexualität zu tun hat – streichen Sie sie. Wenn man sich jedoch ansieht, wie Prostitution abläuft, dann erkennt man, dass das Ganze nicht mit der Vorstellung zusammenpasst, sie sei „einfach nur ein Job“.
Ich bezeichne Prostitution als eine Lüge. Ich habe eine Frau interviewt, die in der Prostitution involviert war und sie sagte: „Ok. Sie können sagen, es sei ein Job, aber wissen Sie, wie es in dem Fall ablaufen würde? Es wäre, als würden Sie es einem Typen besorgen, während er sich einen Pornostreifen reinzieht. Sie müssten nichts vortäuschen, Sie müssten nicht stöhnen, Sie müssten gar nichts zu ihm sagen. Sie würden es einfach mechanisch erledigen.“ Prostitution läuft aber ganz anders ab. In der Prostitution muss die verkaufende Person so tun, dass sie da ist, weil es ihr gefällt.
Das ist das Vertrackte an der Prostitution: sie ist als Arbeit institutionalisiert, gleichzeitig muss die Frau aber ihr Bestes geben, um glauben zu machen, dass sie darauf steht. Sie wird ihm sagen: „Oh, ich komme, du bist der Beste, du bist so sexy, du machst mich an“ und solche Sachen. Sie gibt ihr Bestes, damit er vergisst, dass er sie bezahlt.
Klar, machen Sie einen Job wie jeden anderen daraus, aber dann können wir einfach nur da liegen. Lassen Sie alle Frauen da liegen und nichts tun als auf die Uhr zu gucken. Dann werden Sie schon sehen, wie das den Männern gefällt. Prostitution ist eine Lüge. Wenn man sagt, es sei nur ein Job, vereinfacht man die Sache viel zu sehr.
Und warum sollten wir unabhängig davon einen „Job“ legalisieren, in dem es dermaßen hohe Mordraten, Missbrauchsraten, Vergewaltigungsraten und sexuelle Belästigung gibt? Sehen Sie sich das Gewaltniveau und die hohe Sterblichkeitsrate derer an, die in der Prostitution involviert sind – ich meine, wenn das ein Job wie jeder andere wäre, dann würde er vom ersten Tag an verboten werden. Sogar in den Rotlichtbezirken in den Niederlanden, die ja angeblich so sicher und so kontrolliert sind, werden die ganze Zeit Frauen direkt im Fenster ermordet. Sogar die legalisierte Prostitution entspricht keinem einzigen Arbeitsgesetz und keinerlei Arbeitsbestimmungen, egal wo.
M: In Kanada, wo ich lebe, stimmen FeministInnen und aufgeklärte Leute zu, dass die prostituierten Frauen entkriminalisiert werden sollten. Sprich, die prostituierten Frauen haben es nicht verdient, dafür bestraft zu werden, dass sie in der Sexindustrie arbeiten und sie sollten nicht dafür ins Gefängnis wandern, dass sie tun, was sie tun müssen, wenn sie überleben wollen. Das heißt, die Debatte dreht sich darum, ob man Zuhälter und Freier entkriminalisieren sollte und viele Leute argumentieren, dass eine Kriminalisierung der Freier zu einer weiteren Gefährdung der prostituierten Frauen führt oder dass Gesetze, die Zuhälter kriminalisieren, auf irgendeine Weise Familienmitglieder bestrafen. Wenn eine Frau zum Beispiel in der Prostitution arbeitet und mit ihrem Partner oder ihren Kindern zusammenlebt - so sagen Manche -, dann bekämen diese Personen den Stempel „Zuhälter“ aufgedrückt.
K: Gibt es darüber irgendwelche Statistiken? Ist es eine Tatsache, dass Familienmitglieder als Zuhälter verknackt werden? Wer so argumentiert, muss auf den Tisch legen, wie viele echte Fälle es gibt, in denen Familienmitglieder auf dieser Grundlage ins Gefängnis kommen. Das Problem bei der Debatte besteht darin, dass viele Vermutungen und Meinungen kursieren, aber keine Fakten. Wenn Sie behaupten wollen, dass dieses Gesetz Familienmitglieder zu Zuhältern macht und dafür hinter Gitter bringt, dann müssen Sie das belegen. Die bloße Aussage reicht nicht.
Hinsichtlich der Vorstellung, eine Kriminalisierung der Freier würde die Prostituierten gefährden, muss man fragen: „Wer ist der Urheber der Gewalt an prostituierten Frauen?“ Ist es das Gesetz? Oder sind es die Kunden? Und die Zuhälter? Diese Behauptung stellen auch manche Leute hier in
Schweden auf. Auf unerklärliche Weise wurde das Gesetz zu einem Täter physischen Missbrauchs gemacht – das Gesetz missbraucht gar niemanden, ok? Wenn irgendjemand prostituierte Frauen missbraucht, dann die Männer. Und darin liegt das Problem. Da müssen wir ansetzen. Es gibt keine handfesten Belege dafür, dass die Situation nach dem Gesetz gefährlicher geworden sei. Es gibt viel Gerede, aber keine soliden Beweise. Es ist eine Mutmaßung. Die wirklichen Erfahrungen, die wir mit dem Gesetz gemacht haben, sind sehr positiv. Es hat die Zahl der Käufer reduziert – vorher hat einer von acht Männern für Sex bezahlt, jetzt ist es einer von 13. Wir haben heute eine sehr geringe Anzahl an Prostituierten in Schweden. Es sind etwa 1.500 – 2.000, höchstens.
Das Gesetz hat einen anderen Aspekt, über den niemand spricht, und zwar die Tatsache, dass eben dieses Gesetz den Prostituierten einige Vorteile verschafft. Die Frauen können jetzt Freier bei der Polizei anzeigen, Freier dagegen können sie nicht anzeigen. Wenn er sie zum Beispiel schlecht behandelt oder wenn er mit etwas nicht einverstanden ist oder nicht zahlen will, dann kann sie damit drohen, ihn anzuzeigen, weil das, was er tut, ohnehin schon gegen das Gesetz verstößt. Er kann ihr andererseits nicht drohen, weil das, was sie tut, nicht gegen das Gesetz verstößt. In Ländern, in denen die Prostituierte etwas Rechtswidriges tut und er nicht, verfügt er über noch mehr Macht, als er so und so schon hat, da die Situation von Vornherein sehr ungleich ist und er damit drohen kann, sie anzuzeigen.
M: Mir ist aufgefallen, dass vor allem in den USA Manche von denen, die sich als „Verfechter der Rechte von Sexarbeitern“ identifizieren, AbolitionistInnen dafür kritisieren, Menschenhandel und Prostitution zu vermengen. Könnten Sie ein bisschen darüber sprechen – gibt es einen Zusammenhang zwischen Prostitution und Menschenhandel? Gibt es dazwischen einen Unterschied?
K: Grundsätzlich ist Menschenhandel die Antwort auf Angebot und Nachfrage und auf das Problem des Angebots. Menschenhandel tritt dann auf den Plan, wenn es für die vorherrschende Nachfrage ein unzureichendes Angebot an Prostituierten gibt – wenn man in Marktbegriffen sprechen will. Im Westen gibt es niemals genug Frauen, die freiwillig in die Sexindustrie einsteigen – es gibt immer einen Mangel, um es so zu formulieren. Diejenigen, die in den Handel einsteigen, sind schnell ausgelaugt, andererseits wollen die Kunden immer „Frischfleisch“, um es primitiv zu sagen. Sie wollen jüngere Frauen und Frauen, die gerade erst angefangen haben. Sie wollen keine alten Prostituierten, die seit fünfzig Jahren im Prostitutionsgeschäft sind. Noch dazu sorgen die hohe Sterblichkeitsrate und die Tatsache, dass der Körper verschleißt wird dafür, dass das Leben in der Prostitution sehr kurz ist. Daher gibt es in der Prostitution immer eine Nachfrage nach mehr und mehr Menschen. Würden Millionen Frauen auf einmal auf die Sexindustrie einströmen, müsste man sie nicht aus Osteuropa herkarren. Ich meine, warum sollte man das dann tun? Das ist unlogisch.
Würden vor den Bordellen tausende Frauen Schlange stehen und sagen: „Bitte, lasst mich rein, gebt mir Arbeit!“, warum müsste die Mafia sie dann durch ganz Europa oder durch die ganze Welt schleppen – das würde keinen Sinn ergeben. Der Menschenhandel existiert, weil es schlicht und ergreifend nicht genügend Frauen gibt, die aus freien Stücken ins Prostitutionsgeschäft einsteigen. Wenn Sie eine Prostitutionsindustrie ohne Menschenhandel wollen, dann müsste es eine sehr kleine Industrie sein.
Prostitution und Menschenhandel lassen sich nicht trennen. Sonst müssten Sie die Nachfrage in einem solchen Ausmaß vermindern, dass am Ende nur noch sehr wenige Männer Sex kaufen würden. Dann erst könnte man eventuell sicher sein, dass sich Frauen „freiwillig“ prostituieren.
M: Könnten Sie ein bisschen mehr über das schwedische oder „Nordische Modell“ sprechen, wie es manchmal genannt wird, und was es beinhaltet?
K: Viele Leute wissen nicht, dass dieses Modell das Ergebnis von dreißig Jahren Arbeit und Recherche ist. Die Leute denken, hier wäre ein Haufen FeministInnen und SozialarbeiterInnen am Werk, die sich gesagt haben, so, wir zetteln jetzt einen Krieg gegen Männer an oder irgend so etwas. So ist es nicht. Man hat in den 1970ern angefangen, nachzuforschen und sich die Realität der Prostitution genauer anzusehen. Es war das erste Mal, dass jemand im großen Maßstab Menschen im Prostitutionsmilieu interviewte. Das Augenmerk lag nicht mehr darauf, dass Prostitution ein Fall von Normen abweichender Verhaltensweisen war. Stattdessen begann man zu verstehen, dass es sich um eine enorme soziale Tragödie handelt, in der geschlechtsspezifische soziale Beziehungen, Armut, die Art und Weise, wie Frauen erzogen werden, Inzest usw. eine Rolle spielen.
Als diese Forschungsarbeiten abgeschlossen waren, kam die Frage auf, was zu tun war. Die Antwort war die Kriminalisierung der Kunden und das entsprechende Gesetz trat 1999 in Kraft. Seither sind vierzehn Jahre vergangen und man kann es nicht einmal mehr versuchen, für sexuelle Dienste zu zahlen. Das Gesetz war sehr erfolgreich, nicht nur, weil die Nachfrage zurückgegangen ist, sondern auch, weil der Großteil der Bevölkerung Prostitution heute als ein Produkt der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern versteht. Achtzig Prozent der schwedischen Bevölkerung befürworten das Gesetz, worüber man nicht viel hört.
In der Folge wurde es schwer für Schleuser, sich in Schweden zu etablieren und sie zogen nach Norwegen weiter. Oslo wurde von der nigerianischen Mafia überschwemmt und all die norwegischen Männer begannen, für Sex zu zahlen, was dazu führte, dass Norwegen das gleiche Gesetz verabschiedete. Dann zogen die Schleuser nach Dänemark weiter, weshalb Dänemark momentan darüber nachdenkt, das Gesetz ebenfalls zu verabschieden.
M: Gibt es Ausstiegshilfen und andere Unterstützungen für diejenigen, die der Industrie den Rücken kehren wollen? Was geschieht mit Frauen, die ihr Einkommen verlieren, wenn sie aussteigen?
K: Das möchte ich besonders betonen – wenn Sie ein solches Gesetz verabschieden wollen, dann können Sie es nicht einfach in Kraft setzen und sich dann zurücklehnen. Sie müssen sicherstellen, dass das Gesetz von entsprechenden Ausstiegshilfen begleitet wird. In Schweden haben wir sogenannte Prostitutionseinheiten, und sie sind viel mehr als nur Ausstiegsprogramme. Wenn Sie in dieser Industrie involviert waren, dann stehen Ihnen kostenfreie Therapiemöglichkeiten zu, außerdem Unterstützung bei der Wohnungs- und Stellensuche und für das Bewältigen von Sachen wie Schulden.
Der Unterschied ist, dass wir in Schweden einen ziemlich starken Wohlfahrtsstaat haben. Anders als in Kanada oder in den USA gibt es keine Prostitution als Ergebnis extremer Armut. In Schweden ist Prostitution tendenziell eher ein Ergebnis von frühem sexuellen Missbrauch und solchen Sachen. Die Frauen hier brauchen tendenziell eher Hilfe bei selbstzerstörerischen Verhaltensweisen als dabei, der Armut zu entkommen.
M: Manche argumentieren, eine Kriminalisierung sei keine gute Vorgehensweise und kein gültiger Weg hin zur Befreiung, weil sich das Gesetz niemals zugunsten marginalisierter Personen auswirken würde. Das heißt, manche Leute, die sich als Anarchisten oder Sozialisten identifizieren, würden sagen: „Ich will der Polizei nicht noch mehr Macht einräumen, als sie eh schon hat, und wenn auch gegenüber Männern, die Sex kaufen oder gewalttätig sind“. Identifizieren Sie sich als Anarchistin? Als Sozialistin? Was sehen Sie dieses Argument?
K: Ich war früher Anarchistin – vielleicht bin ich es auch noch ein kleines bisschen... Aber ich glaube daran, dass der Staat ein wichtiges Werkzeug ist. Ich meine, der Staat kann alles sein – er kann etwas Gutes sein oder etwas Schlechtes – er ist nicht immer unbedingt etwas Schlechtes. Der Staat kann den Interessen des Kapitals, des Militärs oder der Menschen dienen. Es kommt auf die geschichtlichen Gegebenheiten an. Der Staat ist nicht an sich auf eine einzige Funktion festgelegt. Ich kann das anarchistische Argument nachvollziehen, denke aber auch, dass es verinnerlichender Pessimismus ist. Es ist dasselbe, wenn man sagt: „Es wird sich nie etwas ändern“. In diesem Fall, wissen Sie, wenn sich nie irgendwas verändern wird, was schlagen Sie dann vor? Wie sollen wir die Prostitution dann abschaffen? Werden Sie und Ihre anarchistische Clique jeden Tag vor dem Bordell demonstrieren gehen?
Die Erfahrungen mit der schwedischen Polizei waren wirklich sehr interessant, denn am Anfang verstanden sie nicht, was das Gesetz bringen sollte – sie sahen den Kauf von Sex nicht als Verbrechen, daher behandelte die Polizei die Freier wie Leute, die wegen Geschwindigkeitsübertretung erwischt wurden. Die meisten Männer, die Sex kauften, waren verheiratet, also baten sie die Polizei, den Strafzettel an ihr Büro zu adressieren und nicht zu ihnen
nach Hause, denn wäre er zu ihnen nach Hause geschickt worden, hätten ihn ihre Frauen und Kinder gesehen. Die Polizei sagte damals noch: „Natürlich schicken wir Ihnen das ins Büro, keine Sorge, Kumpel“.
Eine Aufklärungskampagne innerhalb der Polizei hat das geändert und für ein Umdenken bei den Polizisten gesorgt. Sie verstanden nun, dass es darum ging, die Frauen zu beschützen, nicht die Männer. Wenn Sie sich die Vorträge der Einheit gegen Menschenhandel anhören, dann würden Sie meinen, Sie hätten es mit Radikalfeministen zu tun – sie sind verblüffend. Die Polizei zieht jetzt auf der Suche nach Sexkäufern durch die Straßen und sagt Dinge wie: „Ist etwas passiert, wo Männer ihre eigenen Schwänze nicht unter Kontrolle hatten? Mann, das ist echt übel – die müssen damit aufhören“, und das finde ich wirklich erstaunlich. Sie müssen mit der Polizei zusammenarbeiten – wenn Sie nicht mit ihnen zusammenarbeiten, dann behalten sie ihre alte Einstellung, nach der die Frauen die Verbrecherinnen sind und die Männer tun, was Männer eben tun.
M: Wie hängen Prostitution und die Gleichberechtigung der Geschlechter zusammen und welchen Einfluss haben Gesetze wie jenes in Schweden insgesamt auf den Status von Frauen?
K: Sexarbeit-Lobbyisten versuchen, Prostitution so darzustellen, als habe sie nichts mit Gender- Problemen zu tun, sondern einfach nur mit „Käufern“ und „Verkäufern“. Sie verwenden die Sprache des Marktes, was ich sehr interessant finde. In meinem Buch beleuchte ich auch Pro- Prostitutionsargumente von vor 100 Jahren und im Unterschied zu heute sprachen die Leute damals nicht von kaufen und verkaufen – es ging nicht um den Markt – man sah es nur als etwas, das sich zwischen Männern und Frauen abspielte. Sie dachten, Prostituierte seien gefallene Mädchen und dass sie zu nichts anderem gut waren, so nach dem Motto, dass sie Verbrecherinnen wären, wären sie keine Prostituierte. In Bezug auf die Männer herrschte die Auffassung, dass Männer Zugang zu Prostituierten brauchten, weil sie sonst nicht zu bändigen seien und „anständige Frauen“ vergewaltigen würden, dass sie dann nicht fähig wären, ihre Ehe aufrechtzuerhalten. Prostitution wurde als „Ventil“ dargestellt, das den „anständigen Frauen“ zugunsten kam. Es war eine sehr geschlechtsspezifische Argumentationsweise.
Ein Jahrhundert später hat die feministische Bewegung stattgefunden und obwohl die Leute diese Institution noch immer verteidigen, haben sich die Argumente verändert. Die Leute wollen heute nicht mehr über Männer und Frauen reden, sie wollen im Jargon der Marktwirtschaft darüber reden. Nichts desto trotz handelt es sich nach wie vor um ein sehr geschlechtsspezifisches Problem – ich meine, die Käufer sind zu fast 100% Männer und die Verkäufer, wenigstens hier in Schweden, zu mindestens 90% Frauen. Es ist einfach nur eine neue Art und Weise, die Beziehungen zwischen Männern und Frauen zu ordnen und wenn wir über Sexualität reden, dann glaube ich nicht, dass wir
jemals positive oder egalitäre sexuelle Beziehungen zwischen Männern und Frauen haben werden, solange es Prostitution gibt und solange Prostitution in dieser Gesellschaft weit verbreitet ist. Man muss sich auch vorstellen, was Prostitution mit Männern anstellt, die für Sex bezahlen, damit sie weiter in einer Lüge leben können. Ich meine, diese Männer wissen ja nicht einmal, was sie im Bett machen sollen – sie wissen nicht, wie man eine Frau befriedigt und sie verstehen den Körper der Frauen nicht, weil die Frauen, mit denen sie Sex haben, dafür bezahlt werden, dass sie ihnen sagen, dass sie die Besten sind, dass sie die reinsten Superlover sind. Er bezahlt sie also, geht dann nach Hause und macht das Gleiche mit seiner Frau, die mit „ähm, nein...“ reagiert, und er denkt sich einfach, sie wäre öde und prüde oder dass etwas nicht mit ihr stimmt. Er wird also nie die Wahrheit erfahren, wie man sich im Bett anstellt – all das verewigt einfach eine Art Lüge.
Außerdem zwingt es prostituierte Frauen dazu, dass sie einer spezifischen Vorstellung entsprechen müssen, was von einer Frau im Bett „erwartet“ wird. Im Prostitutionsvertrag geht es nicht um zwei Personen, sondern er etabliert eine Beziehung, in der sich Sex allein um die Bedürfnisse von Männern dreht – der Mann ist der Käufer, also bekommt er, was er will. Es geht nicht darum, sie zu befriedigen. Wenn Sie eine echte Feministin oder ein echter Feminist sind und wenn Sie wollen, dass Frauen Sex genießen, dann ist mir unbegreiflich, wie Sie eine Institution verteidigen können, die sich dadurch auszeichnet, dass jedes Begehren der Frau verleugnet und allein sein Begehren befriedigt wird.
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