Freitag, 16. Mai 2014

Deutscher Frauenrat zu Prostitution - Brief an die Mitgliedsverbände

Sehr geehrte/Liebe Frauen der Mitglieds-Verbände des Deutschen Frauenrats!

Wir sind sehr besorgt über die Haltung des Deutschen Frauenrats Ihres Dachverbands, zum Thema Prostitution. Vor der anstehenden Revision des Prostitionsgesetzes von 2002 und im Zuge der aktuellen Diskussion in Deutschland bitten wir Sie, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und es innerhalb Ihrer Organisation zu erörtern.

Der Deutsche Frauenrat hat bisher drei wegweisenden Initiativen aus dem vergangenen Jahr seine Unterstützung versagt, die jeweils eine Reglementierung von Prostitution nach dem Nordischen Modell fordern:[1]
  • der Petition von SOLWODI: "Mach den Schluss-STRICH! – Keine Frauensklaverei in Deutschland“ vor der Bundestagswahl, in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, den Kauf sexueller Dienstleistungen zu verbieten
  • dem EMMA-„Appell gegen Prostitution“ sowie
  • dem „Karlsruher Appell für eine Gesellschaft ohne Prostitution“.
Stattdessen hat er sich in einer Stellungnahme vom 19.11.2013 positiv zum „Appell für Prostitution“ geäußert[2] , der u.a. von „bekennenden“ Freiern ausging und vom ICRSE („International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe“) europaweit beworben wurde.[3]

Den offenen „Brief an das EU Parlament gegen den Antrag auf Freierbestrafung“, von der gleichen Liga der Prostitutionsbefürworter Anfang dieses Jahres, hat der Deutsche Frauenrat sogar offiziell und damit im Namen aller seiner von ihm als Dachverband vertretenen Organisationen unterzeichnet.[4]


Wir können uns nicht vorstellen, dass diese Stellungnahme und Unterschrift von allen Verbänden des Deutschen Frauenrat gutgeheißen wird.

Der offene Brief vom ICRSE und seiner deutschen Partnerorganisation, dem „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“, richtete sich gegen den Honeyball Bericht, der von der European Women’s Lobby und dem Ausschuss für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit des EU Parlaments (FEMM: Committee on Women's Rights and Gender Equality) unterstützt wurde und dessen Antrag auf Übernahme des sog. Nordischen Modells als Resolution für die Mitgliedstaaten Ende Februar 2014 mit klarer Mehrheit im Europäischen Parlament angenommen wurde.

Die Kernaussage dieser Resolution besagt: Prostitution ist mit der Gleichstellung der Geschlechter nicht vereinbar; sie verletzt die Menschenwürde, auch bei den sogenannten freiwilligen sexuellen Dienstleistungen. Die Zusammenhänge zwischen Prostitution und Menschenhandel sind eindeutig. Und vor allem: Nicht die Prostituierten, sondern die Freier sind zu bestrafen! [5]

Gegen diese Resolution stimmten mehrheitlich deutsche EU Abgeordnete - fast die gesamte SPD, FDP, viele Abgeordnete der GRÜNEN und einige der LINKEN [6]. Dies ist umso bemerkenswerter, als Deutschland - nicht nur im europäischen Vergleich - eine Spitzenstellung in Sachen Prostitution inne hat.

Zum Vergleich: In Frankreich, das sich lange seiner „Bordellkultur“ rühmte, wurde 2012 die Zahl der Prostituierten auf 20.000 geschätzt. Das Parlament war alarmiert über eine Steigerung innerhalb der vergangenen 10 Jahre um 25% und verabschiedete 2013 ein Prostitutionsgesetz nach dem Nordischen Modell. [7] In Deutschland arbeiten nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes über 400.000 Frauen in der Prostitution. Sie bedienen - unter anderem in 3000 – 3500 etablierten Bordellen - täglich ca. 1,2 Mio. Männer. [8]

Über 80% der Prostituierten in Deutschland sind junge arme Frauen vor allem aus Ost- und Südeuropa. Sie leben und „arbeiten“ unter menschenunwürdigsten Bedingungen, sind in den meisten Fällen nicht einmal krankenversichert und werden - wie auch die Mehrheit der deutschen Prostituierten - nicht nur sexuell, sondern auch ökonomisch ausgebeutet. Satte Gewinne streichen hingegen Zuhälterringe und BordellbetreiberInnen ein. Die Betreiber des „Paradise“ in Stuttgart planen sogar den Börsengang. [9]

Während Staat und Kommunen in Deutschland Steuern von Prostituierten einziehen, werden kaum effektive Ausstiegs-, sozialpsychologische Beratungs- und berufliche Umschulungsprogramme bereitgestellt und finanziert. Noch nicht einmal politisch angedacht ist hierzulande, was mit den jungen Frauen, vor allem den Migrantinnen, geschieht, wenn sie nicht mehr als Prostituierte arbeiten können.

Gewiss, „Freierbestrafung“ hört sich so negativ an. Doch es geht nicht um „Rache“, sondern darum, endlich einen Perspektivwechsel zu vollziehen: die Nachfrage, die „Sexkäufer“, zur Rechenschaft zu ziehen und damit den „Markt“, den Handel mit Frauen zur sexuellen Benutzung, auszutrocknen.

Als Frauenrechtsorganisationen sind wir verpflichtet, junge Frauen und Mädchen zu schützen und ihnen faire und gleichberechtigte Chancen in der Gesellschaft zu ermöglichen. Der Deutsche Frauenrat ist als Dachverband der größte Frauenverband in Deutschland. Als NGO hat er Einfluss auf die Regierung, MinisterInnen und Abgeordnete. Es ist ein Skandal, wenn er sich nicht für die Gleichstellung, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde von Frauen einsetzt, sondern an der Seite einschlägiger Lobbygruppen ein altes „Herrenrecht“ protegiert und so mit dazu beiträgt, die sexuelle und ökonomische Ausbeutung von Frauen zu verschärfen.

Wir ersuchen Sie deshalb nochmals, den Deutschen Frauenrat damit zu konfrontieren, da er mit seiner Positionierung dem eigenen satzungsgemäßen Bekenntnis zu den Gleichheits- und Gleichberech-tigungsgeboten in Artikel 3 des Grundgesetzes zuwider handelt. [10]

Für weitere Anfragen und Informationen stehen wir gerne zur Verfügung.

Anlagen


Zu Ihrer Information [Dowload]

Freierseite. Aufruf gegen Freierbestrafung [Download]

Teenie Tina schwanger Gangbang [Download]

Bettina Flitner Fotoreportage STERN [Download]

Interview mit Sabine Constabel [Download]

Bundesverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen Wikipedia [Download]

Fußnoten



[1] SOLWODI: "Mach den Schluss-STRICH!" https://www.change.org/de/Petitionen/an-die-bundesregierung-von-deutschland-der-kauf-sexueller-dienstleistungen-in-deutschland-muss-gesetzlich-verboten-werden,

EMMA „Appell gegen Prostitution“ http://www.emma.de/thema/der-appell-gegen-prostitution-111249

„Karlsruher Appell für eine Gesellschaft ohne Prostitution“ http://karlsruherappell.com/

[2]http://www.frauenrat.de/deutsch/infopool/nachrichten/informationdetail/artikel/der-realitaet-ins-auge-sehen.html

[3] http://sexwork-deutschland.de/politik/appell-fuer-prostitution/ Brief der Freieroffensive an Schwarzer: http://sexwork-deutschland.de/alles/ein-brief-der-freieroffensive-dreizehn-punkte-und-drei-fragen-an-a-schwarzer/ "Hände weg von meiner Hure": 343 prominente Franzosen verteidigen in einem Manifest das Recht auf käuflichen Sex: http://www.causeur.fr/touche-pas-a-ma-pute,24765#

[4] http://sexwork-deutschland.de/alles/brief-an-das-eu-parlament-gegen-den-antrag-auf-freierbestrafung/

[5] http://www.emma.de/artikel/eine-klare-botschaft-fuer-das-21-jahrhundert-316553,

http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/content/20140221IPR36644/html/Die-Freier-bestrafen-nicht-die-Prostituierten-fordert-das-Parlament

[6] http://www.votewatch.eu/en/sexual-exploitation-and-prostitution-and-its-impact-on-gender-equality-motion-for-resolution-vote-fe.html; und ein informativer Artikel hierzu bei: http://banishea.wordpress.com/2014/03/03/abstimmungsverhalten-der-deutschen-abgeordneten

[7] Havascope Global Black Market Information; Prostitution; mit detaillierten Quellenangaben zu den einzelnen Ländern.

http://www.havocscope.com/number-of-prostitutes/

[8] Ebda sowie: Aktuelle Zahlen vom Statistischen Bundesamt: Lars-Marten Nagel, 3.11.2013 : „Prostitution – hier noch mehrZahlen“ Die Welt investigativ http://investigativ.welt.de/2013/11/03/black-box-prostitution/

[9] http://marjorie-wiki.de/wiki/J%C3%BCrgen_Rudloff

[10] Siehe Satzung des Deutschen Frauenrat § 2.2 http://www.frauenrat.de/deutsch/verband/satzung.html

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