Imagens Evangélicas Human Trafficking photo (Flickr) (CC BY 2.0) |
Definition
Eine Definition von Menschenhandel finden wir im „Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels“ zum UN-„Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ („Palermo-Protokoll“).
Darin heißt es, im Sinne dieses Protokolls:
- bezeichnet der Ausdruck „Menschenhandel“ die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen;
- ist die Einwilligung eines Opfers des Menschenhandels in die unter Buchstabe a genannte beabsichtigte Ausbeutung unerheblich, wenn eines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde;
- gilt die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme eines Kindes zum Zweck der Ausbeutung auch dann als Menschenhandel, wenn dabei keines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde;
- bezeichnet der Ausdruck "Kind" Personen unter achtzehn Jahren.
Diese Definition wurde in der „Convention on action against trafficking in human beings“ des Europarates vom 16. Mai 2005 übernommen.
Hier nochmal ein bisschen verständlicher ausgedrückt:
Von Menschenhandel sprechen wir: Wenn eine oder mehrere Personen eine oder mehrere weitere Personen durch eine Methode aus einem bestimmten Maßnahmenkatalog von A nach B bringen[1] mit dem Ziel sie auszubeuten. Es spielt dabei überhaupt gar keine Rolle ob die ausgebeutete(n) oder auszubeutende(n) Person(en) dem Ganzen aus welchen Gründen auch immer freiwillig zugestimmt hat (haben)
Gesetzeslage in Deutschland
Die Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht ist wie immer von Land zu Land etwas abweichend.
Der Wortlaut im deutsche Gesetz findet sich hier:
§ 232 – Menschenhandel zum Zwecke der sexuellenAusbeutung
§ 233 – Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung derArbeitskraft
§ 233a – Förderung des Menschenhandels
(Gruppe: Verstöße gegen die persönliche Freiheit.)
Das Hauptproblem bei der deutschen Formulierung ist ihre Mehrdeutigkeit (zumindest für juristische Laien).
§ 232
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
(1) Wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder dazu bringt, sexuelle Handlungen, durch die sie ausgebeutet wird, an oder vor dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt.
Während sowohl aus der EU Richtlinie von 2005 als auch im Palermo-Protokoll Prostitution per se zur besonderen Strafbarkeit bei Menschenhandel führt, ist im deutschen Gesetz nicht deutlich, worauf sich der Nebensatz „durch die sie ausgebeutet wird“ genau bezieht – auf die sexuellen Handlungen, oder ebenfalls auf die Prostitution? Da die Auslegung des Begriffes „Ausbeutung“ im Zusammenhang mit den Gesetzen zur Zuhälterei der Rechtsprechung überlassen wurde (offenbar besteht Einigung, dass „Ausbeutung“ vorliegt, wenn mehr als 50% der Einnahmen an eine_n Zuhälter_in gehen), ist dies durchaus von Belang. Sollte Prostitution grundsätzlich als Bestandteil strafbaren Handelns im Rahmen von Menschenhandel gelten, gibt der letzte Satz, der besondere Schutz der Menschen unter 21 Jahren, keinen Sinn. Wir wissen aber aus der Praxis, dass gerade dieser Schutz erheblich ist, da der sehr problematische Beweis der „Ausbeutung“ bei dieser Altersstufe nicht geführt werden muss. Dieser Zusatz bietet zur Zeit den einzigen halbwegs wirksamen Schutz besonders junger Menschen (bei allen Formen des Menschenhandels) vor Menschenhandel.
Für die Durchsetzung der Bestimmungen in Deutschland sind zwei Dinge entscheidend: Die Sicherheit der Opfer des Menschenhandels bei und nach den Verfahren, was sowohl qualifizierte Begleitung als auch ein gesichertes Aufenthaltsrecht bedeutet.
Und eine Umwandlung der Rechtslage dahingehend, dass eine Verurteilung anhand objektiver Beweise auch ohne die Aussage der Opfer ermöglicht wird
Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt
Eine wesentliche Crux ist, dass Menschenhandel in Deutschland ein so genanntes Kontrolldelikt ist, d.h. eine Straftat, deren Auftreten durch Kontrollen von Polizei oder Sicherheitspersonal überhaupt erst festgestellt wird – ohne Kontrolle bleibt sie unbemerkt. Die Zahl der festgestellten Delikte sagt deshalb sehr wenig bis gar nichts über die Dunkelziffer ab. Die Polizei kann logischerweise nur dann ausreichend kontrollieren, wenn sie entsprechende Befugnisse und Ressourcen hat. Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel sind zudem sehr ressourcenintensiv (häufig grenzüberschreitende Ermittlungen und Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden anderer Länder notwendig) und langwierig (oft mehrere Jahre).
Verfahren wegen Menschenhandel in Deutschland
.Nach dem „Bundeslagebild Menschenhandel“ des Bundeskriminalamts gab es im Jahr 2012 beispielsweise 492 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandel in Deutschland und es wurden 612 Menschenhandelsopfer zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ermittelt. 90% davon stammten aus Osteuropa (insbesondere Rumänien und Bulgarien). Es konnten nur 14 (!) Menschenhandelsopfer zur Ausbeutung der Arbeitskraft ermittelt werden. Der Bundeslagebericht stellt hier einen Rückgang der Fallzahlen fest. Dies sagt bereits alles über die Aussagekräftigkeit dieser Zahlen aus wie wir im Folgenden sehen werden.
Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft
Die ILO, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, hat in ihren Kernarbeitsnormen die Abschaffung der Zwangsarbeit formuliert - und die sind für alle 185 Mitgliedstaaten verbindlich. Seit 2005 legt der Paragraph 233 des deutschen Strafgesetzbuchs fest, dass sich strafbar macht, "wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Beschäftigung bei ihm oder einem Dritten" bringt, und zwar "zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben".
Seit mehr als fünf Jahren mache ich ehrenamtlich Hartz IV-Beratung. Vor drei Jahren habe ich angefangen mich durch hilfesuchende Nachbarn in die Materie der EU-Bürger_innen einzuarbeiten. Ich habe viel über deren Rechte gelernt (die hier in Deutschland mit Füßen getreten werden), ich habe mich fortbilden lassen um ihnen zu helfen diese Rechte dennoch geltend zu machen (mit zahlreichen erfolgreichen Klagen beim Sozialgericht) und ich habe feststellen müssen, dass ich sehr häufig Opfer von Menschenhandel vor mir habe, die selber gar nicht wissen, dass sie Opfer von Menschenhandel geworden sind und in dem Glauben leben, dass sie irgendetwas falsch gemacht haben.
Menschenhandel zur Ausbeutung der Arbeitskraft finden wir in vielen Branchen, insbesondere im Bausektor, in der Fleischindustrie, in der Pflege und bei den Au-Pair-Kräften. So gibt es zum Beispiel kaum eine Großbaustelle auf der sich nicht Opfer von Menschenhandel finden lassen.
Hier ein Beispiel aus meiner Beratung:
Ich kam in Kontakt zu vier jungen rumänischen Männern, die über mehrere Wochen auf Baustellen im Main-Taunus-Kreis eingesetzt waren. Sie wurden in Rumänien angeworben und man versprach ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland für 1200 Euro netto im Monat. Sie zahlten einem Vermittler jeweils 200 Euro (was für rumänische Verhältnisse sehr viel ist) und reisten auf eigene Kosten nach Deutschland an. Sie erhielten eine vom Arbeitgeber bezahlte Unterkunft (24 m² in einer heruntergekommenen, total verschimmelten Großunterkunft, mit kleiner Kochnische ohne funktionierenden Herd, Waschmaschine, etc. und einer Toilette – für alle vier zusammen), sowie 50 Euro pro Person und Woche. Davon mussten sie sich verpflegen, die Benzinkosten zu den jeweiligen Baustellen tragen und zusätzlich Arbeitsmaterialien bezahlen wenn diese ausgegangen waren. Dann wurde von ihnen von ihrem „Aufpasser“ Geld einkassiert um neues Material zu holen, damit sie weiterarbeiten können. Es wurde ihnen gesagt der Chef würde sonst sehr böse werden. Immer wieder fragten sie nach ihrem Arbeitsvertrag, wurden jedoch immer wieder vertröstet. Nach zwölf Wochen sagte man ihnen es gäbe keine neue Baustelle mehr. Mehr als eine Woche telefonierten sie ihrem Arbeitgeber hinterher um an ihr Geld zu kommen. Es gab zwölf weitere Bauarbeiter wie sie mir erzählten, die aus akutem Geldmangel in die Heimat zurückgekehrt sind – ohne ihren Lohn erhalten zu haben. Dies konnten diese vier gar nicht machen: Sie hatten sich verschuldet um nach Deutschland zu kommen, sie standen dort nun ohne jeden Cent – nicht einmal das Benzin um zurück nach Rumänien zu fahren hätten sie sich leisten können.
In dieser Situation kreuzten sich zufällig unsere Wege (interessanterweise durch eine Recherche meinerseits zu Prostitution). Zusammen mit einer Bekannten, die rumänisch spricht, setzen wir uns hin, klärten diverse Fragen um uns ein Bild von der Situation zu machen, versuchten mehrfach den Arbeitgeber zu erreichen (und sie wurden in unserem Beisein telefonisch erneut auf „morgen früh“ vertröstet). Wir klärten sie über ihre Möglichkeiten auf und nannten ihnen Adressen an die sie sich wenden können. Natürlich gab es auch am nächsten Tag kein Geld, ein weiterer Tag wurde abgewartet, und als die nächste Zusage erneut erwartungsgemäß gebrochen wurde, und der Vermieter ihrer Bruchbude ihnen eröffnete die Miete sei jetzt nicht länger bezahlt und man erwarte, dass sie morgen auszögen, gingen die Bauarbeiter zum Zoll und zeigten den Arbeitgeber an. Bis dahin war viel Überzeugungsarbeit notwendig, denn die Angst selbst etwas falsch gemacht zu haben (bzw. nicht geglaubt zu bekommen und dessen bezichtigt zu werden), zum Beispiel als Schwarzarbeiter bestraft zu werden, war sehr groß. Natürlich fragte ich sie warum sie nicht schon viel früher alles hingeschmissen haben, war doch ganz offensichtlich, dass sie von hinten nach vorne verarscht wurden. Die Antwort war nachvollziehbar: Sie hatten sich alle so sehr für diesen Job verschuldet, dass sie schlicht auf den Lohn angewiesen waren und ihnen war klar, wenn sie vorzeitig gingen würden sie nicht einen Cent sehen. Sie hatten selbst versucht Beratungsstellen zu finden, aber überall wurde ihnen gesagt es gäbe keine. Diesen Männern war nicht bewusst, dass sie Menschenhandelsopfer geworden waren. Die Erkenntnis half ihnen die Kraft zu finden sich zu wehren.
Menschen wie diese, die von ihren Arbeitgebern nicht bezahlt werden gibt es überall in Deutschland. Zahlreich. Entscheidend dafür ob Menschenhandel vorliegt oder nicht ist ob eines der oben genannten Mittel im Spiel ist, zum Beispiel Zwang. Sehr oft wird den Betroffenen der Pass weggenommen, sehr oft verschulden sich die Beschäftigten für ihren Job zu Wucherkonditionen und werden in Schuldsklaverei/Schuldknechtschaft gehalten, da diese Schulden als Druckmittel eingesetzt werden, ganz oft wird ein illegaler Aufenthaltsstatus ausgenutzt oder Gewalt angedroht oder gar angewandt. Fast immer geht es um Lohnbetrug und darum, dass aus einer Zwangslage ein ökonomischer Vorteil gezogen wird.
Das Bündnis gegen Menschenhandel kritisiert, dass die zuständigen Behörden (zum Beispiel die Finanzkontrolle Schwarzarbeit) sehr häufig nicht richtig auf diese Tatbestände geschult sind, nicht die richtigen Fragen stellen und in vielen Fällen so tatsächlich aus den Opfern Täter werden (weil zum Beispiel Verfahren wegen Schwarzarbeit eingeleitet werden).
Aus meiner Tätigkeit kann ich auch eins deutlich sagen was vielen vielleicht nicht bewusst ist: Es gibt sehr oft Personenidentitäten zwischen denjenigen, die Frauen in der Prostitution ausbeuten und jenen, die Männer auf beispielsweise Baustellen ausbeuten. Die Menschenhändler finden für jedes "Menschenmaterial" den jeweils profitabelsten Weg um es zu verwerten. Ich möchte Prostitution und Arbeitsausbeutung nicht gleich stellen, denn letztere findet oft in Bereichen statt, die durch gute gewerkschaftliche Arbeit oft in der Tat so aufgewertet werden kann, dass die Arbeitsbedingungen denen der gesetzlichen Norm entsprechen. Dies halte ich für Prostitution hingegen nicht für möglich. Deshalb finde ich auch den oft verwendeten Begriff "Arbeiterstrich" verharmlosend gegenüber dem was Frauen in der Prostitution erleiden müssen. Nichtsdestotrotz: Es ist unübersehbar, dass die gleichen Leute, die Frauen in der Prostitution ausbeuten oft auch dafür verantwortlich sind Männer durch Arbeit auszubeuten. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille.
Was macht die Ahndung von Menschenhandel so schwierig?
Das Problem der strafrechtlichen Ahndung von Menschenhandel ist in erster Linie die Erbringung des Nachweises. Dabei spielt vor allem die Aussage des Opfers/der Opfer eine entscheidende Rolle. Die Probleme, die sich dabei ergeben sind wie oben dargestellt in erster Linie
- das fehlende Bewusstsein Opfer einer Straftat geworden zu sein
- die Anwendung von Druck, Zwang, Gewalt in irgendeiner Form, die sich auch darin äußern kann, das bewusst Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen werden
Die „freiwillige“ Zustimmung zur Ausbeutung durch den/die Betroffene(n) ist hier ein maßgeblicher Faktor. Wenn nämlich die Betroffenen nicht wissen, dass es vollkommen unerheblich ist, ob sie sich nun „freiwillig“ oder unfreiwillig in ein Ausbeutungsverhältnis begeben haben, ist es folgerichtig, dass sich ein Großteil der Betroffenen nicht als Opfer sieht und sich nicht hilfesuchend an Beratungsstellen oder Strafverfolgungsbehörden wendet.
Erschwerend hinzu kommt, dass es zum einen zu wenig gut geschulte Beratungsstellen gibt und wenn doch, dass die Betroffenen sehr häufig den Weg dorthin gar nicht erst finden. Dies ist auch bedingt durch einen häufig verbreiteten Rassismus in Behörden, die Betroffene gar nicht erst anhören wollen, sondern direkt wegschicken ohne Hilfestellung zu geben.
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
Wenn nun in Bezug auf die Prostitution von Menschenhandel und „Zwangsprostitution“ die Rede ist, stellen sich die meisten dies so vor, dass eine Frau gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen wird, irgendwo gefangen gehalten wird und den ganzen Tag von Schlägertypen bewacht wird.
Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung liegt aber auch in ganz anderen Fallkonstellationen vor. Viele arme Frauen, zum Beispiel aus Osteuropa, planen aufgrund existenzieller Notlagen für eine begrenzte Zeit in Deutschland zu arbeiten. Sie möchten schnell viel Geld verdienen, zum Beispiel um eine dringend notwendige Operation eines nahestehenden Familienmitglieds oder den Lebensunterhalts ihres Kindes zu finanzieren.
Einige der Frauen werden unter falschen Versprechungen angeworben und erwarten in Deutschland als Kellnerin, Reinemachefrau, etc. arbeiten zu können. Ihnen wird die zukünftige Tätigkeit verschwiegen, sie werden in der Regel mit Gewalt gefügig gemacht (klassische „Zwangsprostitution“). Andere „wissen“, dass sie in Deutschland in Clubs, Bars oder auch Bordellen Geld verdienen können, aber nicht unter welchen Bedingungen. Einige mussten schon im Herkunftsland ihren Lebensunterhalt in der Prostitution bestreiten und hoffen, im reichen Deutschland schneller und mehr verdienen ( und für eine neue Existenz in ihrem Herkunftsland ansparen) zu können . Meist wird bei der Anwerbung eine „Vermittlungssumme“ verlangt, die angeblich schnell erwirtschaftet werden kann. So werden die Frauen dann in der Schuldsklaverei/Schuldknechtschaft gehalten: So lange die Schulden für die „Vermittlung“ nicht abbezahlt sind, können sie nicht aussteigen. Reicht der ökonomische Druck nicht, wird die Frau selbst oder ihre Familie im Herkunftsland oft massiv mit Androhung von Gewalt bedroht.
An dieser Stelle kann man auch den Unterschied zwischen so genannter Schleusung und Menschenhandel darstellen: Einem Schleuser geht es um einen einmaligen Profit. Er (oder sie) verhilft der betroffenen Person in der Regel gegen eine vereinbarte Geldsumme zum Grenzübertritt. Beim Menschenhandel jedoch geht es um einen langfristigen Profit. Mit dem Grenzübertritt wird der Kontakt nicht wegen Erledigung abgebrochen, sondern das Schuldsklaverei-/Schuldknechtschaftsverhältnis beginnt.
Wenn nun also eine Frau aus Rumänien mit 20.000 Euro Schulden durch die Vermittlungssumme ihr Leben in Deutschland startet und dann für den Arbeitsplatz in ihrer Terminwohnung (in der sie nicht nur arbeitet, sondern auch lebt) beispielsweise 140 Euro Miete pro Tag zahlen muss, dann ist es schier unmöglich von diesem Schuldenberg runterzukommen. Sie braucht 3-4 Sexkäufer am Tag, nur damit dieser nicht weiter anwächst. Wenn sie krank wird und keine Sexkäufer bedienen kann, dann bedeutet auch dies, trotz manchmal 50% „Rabatt“, immer noch eine Verschärfung der Schuldensituation.
Man kann also sagen, dass sehr viele der Frauen, die sehr wohl wissen, dass sie in Deutschland in der Prostitution arbeiten werden, getäuscht wurden über die Arbeits- und Lebensbedingungen, die sie hier erwarten: Niemand hat ihnen gesagt, dass sie unter Umständen 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche für ihre Kunden zur Verfügung stehen müssen; niemand hat ihnen gesagt, dass sie im selben Bett schlafen werden, in dem ihnen Sexkäufer beispielsweise ins Gesicht ejakuliert haben; niemand hat ihnen gesagt, dass sie allein 60-90 Sexkäufer im Monat bedienen müssen, nur um nicht noch mehr Schulden anzuhäufen; niemand hat ihnen erzählt, dass sie zwar jederzeit durch die Tür und weg gehen können, dass dies aber sofort an ihrer Familie (deren Aufenthaltsort die Menschenhändler kennen) durch Gewalt gerächt wird, solange die Schulden nicht beglichen sind. Usw. Usw. All dies wird als die „Ketten im Kopf“ bezeichnet.
Hinzu kommt erschwerend, dass die Familien vieler Betroffener nicht über die Tätigkeit in der Prostitution Bescheid wissen. In ihrer Isolation, unter dem ständigen Kostendruck, haben die Frauen kaum eine Chance sich Hilfe zu suchen. Sie wissen nicht an wen sie sich wenden können, das Misstrauen in die Polizei sitzt tief (insbesondere wegen weit verbreiteter Korruption in ihren Herkunftsländern), sie können die Sprache nicht – auch sie wissen in der Regel nicht, dass sie Opfer von Menschenhandel geworden sind.
Die Angst vor Sanktionen gegenüber Familienmitgliedern, meistens Kindern, in den Herkunftsländern, hält viele Frauen darüber hinaus ab gegen ihre Peiniger auszusagen. Ohne die Aussagen der Betroffenen ist die Beweisführung gegenüber dem Straftatbestand des Menschenhandels jedoch fast unmöglich.
Ermittlungen im Bereich Menschenhandel sind aufwendig und teuer. In der Regel ist eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit erforderlich. Die Ressourcen der Polizei reichen oft nicht aus. Aus all diesen Gründen sind die Zahlen zu den Verurteilungen schlicht nicht aussagekräftig bezüglich der tatsächlichen Verbreitung von Menschenhandel – egal ob im Bereich Arbeitsausbeutung oder sexuelle Ausbeutung. Dies müssen wir uns vergegenwärtigen wenn wir über Menschenhandel sprechen.
[1] Dies muss nicht unbedingt grenzüberschreitend sein
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