Dienstag, 16. September 2014

Norwegische Evaluation: Verfahren, Urteile, Geldbußen

cucchiaio (Flickr), (CC BY-NC-ND 2.0)
Modifikation: Schwarz-Weiß-Modus
Die im Rahmen der Gesetzesevaluation durchgeführten Befragungen der prostituierten Personen durch das unabhängige Forschungsinstitut Vista Analyse AS haben zu folgenden zentralen Ergebnissen bezüglich der Verfahren, Urteile und Geldbußen geführt


Anzahl der Sexkauffälle



Die Entwicklung der Anzahl registrierter Sexkaufverfahren ist eher Ausdruck der Prioritäten der Polizei als der Entwicklung der Gesamtzahl der Freier in dem Markt. Die Polizeibezirke in Oslo und Trondheim haben mit Abstand die meisten Sexkaufverfahren. Dies liegt darin begründet, dass Oslo den größten Markt und den größten Bevölkerunganteil hat, während Trondheim eine eher operative Anwendung des Gesetzes und eine höhere Priorität auf die Anwendung des Sexkaufgesetzes hat.

Was sind die typischen Sexkäufer?


Es sind in erster Linie Männer, die „sexuelle Dienstleistungen“ kaufen und damit vom Gesetz betroffen sind. Unter den registrierten Sexkäufer_innen ist eine Minderheit von 3 Frauen.


84% der im Zeitraum von 2009 bis Anfang März 2014 registrierten Delikte betrafen Personen mit norwegischer Staatsangehörigkeit. In Bezug auf einmalig registrierte Personen liegt der Anteil der Personen mit norwegischer Staatsangehörigkeit bei 81%. Die sonstigen Delikte in Zusammenhang mit dem Sexkaufgesetz verteilen sich auf 45 Nationalitäten. Personen mit polnischer Staatsangehörigkeit stellen neben Personen mit norwegischer Staatsangehörigkeit die größte Gruppe dar. Für die sonstigen Länder sind die Zahlen zu niedrig um relevant für die Bewertung zu sein, inwieweit einige Staatsangehörigkeiten überrepräsentiert sind. Es besteht jedoch Anlass dazu, darauf hinzuweisen, dass Staatsangehörige aus Afghanistan, Litauen, Bulgarien, Irak und Rumänien mit ihrer Anzahl von Delikten auf einem Niveau mit dänischen Staatsangehörigkeiten registriert sind, die mit einem bedeutend höheren Anteil in der norwegischen Bevölkerung vertreten sind.

Der Schwerpunkt der wegen des Kaufs „sexueller Dienstleistungen“ beschuldigter, verdächtigter oder verurteilter Personen liegt in der Altersgruppe von 35-48 Jahren.

Der Anteil norwegischer Staatsangehöriger (einmalig registriert) ist in der Altersgruppe 20 bis 30 Jahre (63 Prozent) am niedrigsten. Ihr Anteil erhöht sich danach in der Altersgruppe 30-35 Jahre (70 Prozent) und liegt bei rund 90 Prozent in der Altersgruppe 35 bis 60 Jahre.
Der durchschnittliche Sexkäufer ist damit männlich, Norweger und zwischen 35 und 48 Jahren alt.

Das Gesetz ist ein so genanntes „stilles Gesetz“: Über 82 Prozent der Verfahren wurden durch einen Bußgeldbescheid entschieden. Knapp 10 Prozent auf Grund der Beweislage eingestellt, nur 1 Prozent auf Grund fehlender Sachbearbeitungskapazitäten. Der Rest verteilt sich auf unterschiedliche Kategorien.
Der Kauf „sexueller Dienstleistungen“ von Personen unter 18 Jahren ist nach §203 durch ein gesetzliches Verbot älteren Datums verboten. Von 2009 bis März 2014 wurden 64 Verfahren in dieser Kategorie registriert.

In fünf Jahren gab es insgesamt 1350 aufgeklärte Sexkaufverfahren. Die Anzahl der Verfahren bestätigt, dass das Gesetz angewendet wird, und sie zeigt, dass der Kauf von Sex in Norwegen mit dem Risiko verbunden ist, aufgegriffen zu werden.

 

Gesetzliches Verbot gegen Menschenhandel im Zusammenhang mit dem Sexkaufgesetz

 

Alle Vertreter_innen der Polizei unterstreichen, dass das Sexkaufgesetz und die Überwachung des Prostitutionsmarktes, für die dieses Gesetz die Möglichkeit bietet, für Ermittlungen in Fällen von Menschenhandel wichtig sind (siehe Kapitel 6).

Der Staatsanwaltschaft zufolge werden Sexkaufverfahren benötigt, um den Menschenhandel zu dokumentieren. Informationen von Prostitutionskunden, die mit einer Geldstrafe bestraft wurden, und Fälle von Prostituierten aus den Polizeiprotokollen werden zur Beweisführung benötigt. Derartiges Material kann wichtige Beweise in einem Fall von Menschenhandel liefern und wird u.a. benötigt, um Umfang und Erträge zu dokumentieren (an Opfer(n) verdientes Geld). Man unterscheidet zwischen einfachem und schwerem Menschenhandel, wobei schwerer Menschenhandel Minderjährige und/oder über 100.000 NOK (an Ertrag) beinhaltet. Informationen von Sexkaufverfahren können somit wichtig sein, um schweren Menschenhandel zu dokumentieren.

Beispiel:


Ein 17-jähriges Mädchen aus Albanien wurde von drei albanischen Hintermännern zu Prostitutionszwecken ausgenutzt. Sie geriet durch nigerianische Prostituierte ins Visier der Polizei, die berichteten sie seien von einem der albanischen Hintermänner bedroht worden. Die 17-Jährige bestritt zu irgendetwas gezwungen zu sein, aber der Staatsanwaltschaft gelang es dennoch, den Beweis dafür zu erbringen. Einige Jahre später erhielt die Polizei ein Dankesschreiben von ihr, worin sie unter anderem berichtete, dass sie in der Prostitution seit ihrem 13. Lebensjahr ausgenutzt wurde. Sie ist jetzt aus der Prostitution ausgestiegen. Das Gesetz hat in diesem Verfahren zur Identifizierung des Umfangs des Menschenhandels beigetragen.

Sowohl Polizei als aus Staatsanwaltschaft unterstreichen, dass Fälle von Menschenhandel schwierig zu ermitteln sind. Es ist sehr schwer die Hintermänner ausfindig zu machen und vor allem Frauen zu einer Aussage zu bewegen.

Die Komplexität der Verfahren zeigt sich auch am Anteil der eingestellten Verfahren. Im Gegensatz zu den Verfahren nach dem Sexkaufgesetz sehen wir, dass ein hoher Anteil an Menschenhandelsverfahren eingestellt werden musste. Die meisten aufgrund fehlender Angaben zum Täter oder wegen Mangels an Beweisen.

Von den Frauen, die 2013 bei der Hilfsorganisation ROSA (Wiedereingliederung, Aufenthaltsort, Sicherheit, Hilfeleistung) registriert wurden, zeigte die Hälfte der Frauen ihre Angelegenheit bei der Polizei an. Dies entspricht einer Zunahme gegenüber früheren Jahren. ROSA bestätigt, dass die Furcht vor möglichen Repressalien gegen die Familie oder die eigene Person vor, während und nach einem Gerichtsverfahren die Ursache sei, dass die Frauen keine Fälle von Menschenhandel anzeigen würden. Es wird auch darauf hingewiesen, dass ein hoher Anteil derjenigen, die sich an ROSA wenden, keine Hilfe annehmen möchte. Furcht vor Bedrohungen und Repressalien bei ausbleibender Tilgung von Schulden bei Hintermännern, psychische Gewalt durch Bedrohung von Familienmitgliedern und fehlendes Vertrauen in die angebotene Hilfe werden als die wichtigsten Ursachen dafür hervorgehoben, dass nur ein Teil der Opfer Hilfe annehmen will.

Auswirkungen auf den Prostitutionsmarkt


Seitens der Staatsanwaltschaft besteht der Eindruck, dass das Sexkaufgesetz die Anzahl der Hintermänner verringert hat, die in Norwegen Frauen in der Prostitution ausnutzen.

Die vorbeugende Arbeit schwächt zudem die Nachfrage und führt zu niedrigeren Profiten in dem Markt. Befragungen und andere Informationen von Initiativen/Organisationen und Informationen, die von Frauen aus der Prostitution geliefert wurden, bestätigen diese Bewertung. Es wird darauf verwiesen, dass die Prostituierten sich austauschen und ihre Hintermänner sie herausziehen oder in andere Märkte verlagern würden, wenn ein Fall aufgeklärt wird oder zur Behandlung durch die Justiz ansteht.

Das Angebot, d.h. die Anzahl prostituierter Personen im Markt, scheint rasch auf Änderungen auf der Nachfrageseite zu reagieren und zudem auf das gesamte Aktivitätsniveau der Polizei gegen den Prostitutionsmarkt sensibel zu reagieren. Die Anzahl registrierter Inserate sinkt dort wo das Gesetz aktiv angewendet wurde und steigt dort wo die Anzahl der Sexkaufverfahren auf eine niedrigere Priorität bei der Anwendung hindeuten.

Die Anwendung des Sexkaufgesetzes und Verfahren/Urteile schwächen den Markt.

Die Studien und Befragungen von Vista Analyse untermauern eindeutig, dass das Sexkaufgesetz ein positives Wirkungsmittel in Fällen von Menschenhandel ist. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Zugangs zu Informationen bei den Ermittlungen und als Unterstützung bei der Erhebung von Beweisen für Gerichtsverfahren. Zusätzlich führt ein geschwächter Markt zu geringerem Zustrom.

Nationalität der verurteilten Hintermänner:


  • Rumänien: 10
  • Nigeria: 9
  • Norwegen: 7
  • Albanien und Litauen: je 4
  • Estland: 2
  • UK, Slowakei, USA, Thailand, Türkei: je 1

Aus der Staatsanwaltschaft wird auch darauf hingewiesen, dass das Sexkaufgesetz andere gesetzliche Bereiche stärken würde und das Gesetz bereits deutliche Auswirkungen auf die Geldwäsche von Drogengeldern erzielt hat (starke Verringerung).

 

Zusammenspiel von Zuhältereiparagraph und Sexkaufgesetz


Die „Operation Husløs“, die aus der Zeit vor dem Sexkaufgesetz stammt, richtet sich gegen Hauseigentümer und Vermieter und erfolgt mit dem Ziel, den Prostitutionsmarkt in Oslo für Zuhälterei und Menschenhandel unzugänglicher und unattraktiver zu machen. Wenn der Verkauf von „sexuellen Dienstleistungen“ von einem vermieteten Raum aus aufgedeckt wird, kann die Polizei ein Ermittlungsverfahren einleiten und dem Vermieter ein Schreiben zusenden, in dem der Betreffende darüber unterrichtet wird, dass in dem Raum „sexuelle Dienstleistungen“ verkauft werden. Nach einer gewissen Zeit wird die Polizei kontrollieren, ob die Prostitutionsausübung eingestellt wurde. Ist dies der Fall wird auch das Verfahren eingestellt. Andernfalls wird die Polizei die Umwandlung des Verfahrens in ein Zuhältereiverfahren beschließen und der Hauseigentümer darf mit dem Status eines Verdächtigen zu einer Vernehmung geladen werden. Nur eine Minderheit dieser Verfahren endete während dieses Zeitraums vor Gericht. Es gibt mehr registrierte Verfahren mit prostitutionsbasiertem Menschenhandel (und schwerem Menschenhandel) aus dem Zeitraum als Zuhältereiverfahren.

Etwa 400 Räume/Bordelle wurden infolge der Ermittlungstätigkeit der Polizei bei der Innenprostitution geschlossen. Diese Aktivität wird von vielen kritisiert, weil unbeabsichtigt unschuldige Frauen und Männer in der Prostitution davon betroffen wären. Diejengen die Sex verkaufen tun nichts Illegales, sind aber diejenigen, die durch den Hinauswurf aus Hotels, Pensionen, vermieteten Räumen und Wohnungen davon betroffen sind.

Wesentlich ist, dass die Anwendung des Zuhältereiparagraphen und des Gesetzes gegen Menschenhandel die Angebotsseite beeinträchtigt. Wenn es schwieriger wird Räumlichkeiten zu beschaffen, steigen die Kosten für das Angebot. Wenn das Risiko für Vermieter vom Zuhältereiparagaphen betroffen zu sein steigt, wird sich der vom Vermieter genommene Preis ebenfalls erhöhen. Wenn die Kosten für die Prostitutionsausübung steigen, werden es weniger Personen sein, die „sexuelle Dienstleistungen“ im norwegischen Markt anbieten wollen (oder können).

Im Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis Anfang März 2014 sind 158 Zuhältereiverfahren in Norwegen registriert. Etwa 35% wurden wegen Mangels an Beweisen eingestellt, insgesamt wurden 45% der Verfahren eingestellt.

Ein hoher Anteil der unter dem Zuhältereiparagraphen registrierten Delikte betrifft Frauen (etwa 30 Prozent). Für Frauen in der Prostitution ist der Aufstieg zur Zuhälterin (oder Kupplerin) ein möglicher Karriereweg, der sich auch mit eigener Prostitution kombinieren lässt. Weibliche Staatsangehörige aus Nigeria und Thailand sich reichlich unter denen repräsentiert, die unter dem Zuhältereiparagraphen verdächtigt, angeklagt oder verurteilt wurden.

Zusammenfassung


Durch das Sexkaufgesetz wird Folgendes erreicht:

Zugang zu Informationen über potentielle Opfer des Menschenhandels. Dies trägt zu eher zielgerichteten Ermittlungen bei, als ohne Sexkaufgesetz möglich gewesen wäre. Die Freier verfügen oft über relevante Informationen, zu denen die Polizei ansonsten keinen Zugang gehabt hätte. Dies gilt sowohl für Fälle von Menschenhandel als auch für Fälle von Zuhälterei.

Informationen und Dokumentationen darüber, dass Prostitution in einem Fall von Menschenhandel stattgefunden hat, d.h. als Grundlage, um aufzeigen zu können, dass Prostitution Teil der Zwangshandlung in einem Fall von Menschenhandel war. Informationen von Kundenseite sind besonders wichtig in Verfahren, in denen das Opfer grundsätzlich nicht bereit ist, alle Informationen während der Ermittlungen des Falles zu liefern.

Grundlagen, um Erträge dokumentieren zu können, und Grundlagen, um bewerten zu können, inwieweit ein angeblicher Ertrag real ist (oder Geldwäsche o.ä. im Spiel ist)

Bessere Bedingungen und Möglichkeiten für die Polizei zur Überwachung des Prostitutionsmarktes und somit bessere Voraussetzungen, um Menschenhandel und Zuhälterei aufzudecken.

ROSA weist darauf hin, dass die Polizei jetzt die Instanz ist, die ihnen die meisten Opfer von Menschenhandel vermittelt und weist darauf hin, dass der Anteil derjenigen, die ihre Fälle im Jahr 2013 anzeigten, im Vergleich zu früheren Jahren hoch war.

Quelle: Vista Analyse AS: Evaluering av forbudet mot kjøp av seksuelle tjenester (Kapitel 8)

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