Kajsa Ekis Ekman |
"Ich habe zweimal in meinem Leben Sex gekauft, aber nach dieser Veranstaltung werde ich das nie wieder tun. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen"
Wiesbaden ist eine kleine Stadt in der Nähe von Frankfurt
mit knapp 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Im 19. Jahrhundert war es ein
"Kurort", in dem die europäische Oberschicht ein und ausging, um sich
zu entspannen und in den heißen Quellen zu baden. Heute ist sie bekannt für
seine amerikanische Militärbasis. Etwa 30.000 amerikanische Soldaten sind hier
stationiert. Die meisten werden in Afghanistan eingesetzt. Es ist schon
passiert, erzählt eine junge Frau mir, dass Soldaten alles tun würden um ihrem
nächsten Kampfeinsatz zu entgehen. Zum Beispiel jemandem in einer Kneipe
zusammenschlagen. Sie werden nicht von einem deutschen, sondern vom
amerikanischen Militärgericht verurteilt. Oft sind die Strafen sehr moderat,
aber sie müssen nicht zurück in den Einsatz. Es kommt auch vor, dass Soldaten
sich mit einheimischen Frauen einlassen, eine Familie gründen und in der Stadt
bleiben. Oder, dass sie einfach zurück in die USA gehen und Kinder in Wiesbaden
zurücklassen wenn ihr Einsatz vorbei ist.
Wie auch in anderen deutschen Städten ist Prostitution
allgegenwärtig. Wiesbaden hat etwa 70 "Modellwohnungen" , in der
Innenstadt war früher ein Rotlichtbezirk und ein langjähriger Bordellbetreiber
wurde gerade in die städtische Gerichtsbarkeit (Schöffengericht) berufen. Dort
werden auch Vergewaltigungsfälle verhandelt. Dagegen kann man nichts tun, denn
Zuhälter ist genauso ein anerkannter Beruf wie andere Berufe auch. In dieser Stadt entschieden sich etwa zehn
Frauen, dass sie genug davon haben und dass sie den Kampf dagegen aufnehmen
sollten. Mit ihrer feministischen Gruppe LISA nahmen sie am 8. März mit
Plakaten gegen die Sexindustrie an einer Demonstration zum Internationalen
Frauentag teil. Sie wurden eingekesselt und mit Farbe attackiert. Das hält sie
jedoch nicht ab und es gelang ihnen sogar noch mehr Frauen für die Arbeit zu
gewinnen.
Sie haben also nun diese erste Diskussion in Wiesbaden zu
Prostitution organisiert, und sind schrecklich aufgeregt. Zwei
Sicherheitskräfte durchsuchen die Taschen der Besucher_innen nach Waffen.
Anders als Schweden zu der Zeit als das Sexkaufverbot verabschiedet wurde hat
Deutschland eine riesige organisierte Sexindustrie, die vor nichts zurück schreckt.
Sie wollen unter keinen Umständen ihre Profite in Gefahr sehen.
Vor Ort sind Rachel Moran aus Irland und "Marie" aus Deutschland, beide Prostitutionsüberlebende, die deutsche Feministin Inge Kleine und ich. Wir sollen darüber sprechen was Prostitution ist, und dass das schwedische Modell bedeutet die Sexkäufer in den Blick zu nehmen. Dass dies hier nichts alltägliches ist wird offensichtlich. Menschen sind von weit her angereist. Manche sogar aus Berlin, sieben Stunden Autofahrt.
Vor Ort sind Rachel Moran aus Irland und "Marie" aus Deutschland, beide Prostitutionsüberlebende, die deutsche Feministin Inge Kleine und ich. Wir sollen darüber sprechen was Prostitution ist, und dass das schwedische Modell bedeutet die Sexkäufer in den Blick zu nehmen. Dass dies hier nichts alltägliches ist wird offensichtlich. Menschen sind von weit her angereist. Manche sogar aus Berlin, sieben Stunden Autofahrt.
"Marie" tritt mit Perücke auf - sie möchte anonym
bleiben, da sie befürchtet sonst Probleme bei der Arbeitssuche zu bekommen und
sie spricht über ihre Jahre in der Prostitution. "Ich bin
privilegiert", sagt sie, "Ich war 42 als ich anfing. ich bin deutsch,
anders als die meisten in der Industrie und ich kenne die Sprache, die Gesetze,
ich war keine Jungfrau mehr - und dennoch war es eine Wahl zwischen scheisse
und scheisse und es beeinträchtigt mich heute noch."
Rachel Moran liest eine Passage aus ihrem Buch "Paid
for" welches ihre sieben Jahre in der Prostitution thematisiert. Die
Diskussion dauert Stunden. Ohne Pause. Als jemand aus dem Publikum sich zu Wort
melden und einen zehnminütigen Monolog hält scheint das keinen zu irritieren.
Ein Sexkäufer erregt sich: "Sex ist ein Menschenrecht! Du greifst in die
Natur ein wenn du das verbieten willst und es wird dann im Dunkelfeld weiter
geschehen!" Ein anderer sagt: "Ich habe nur Sex mit Männer, männliche
Prostituierte sind nicht so unglücklich wie ihr sagt, die meisten tun es weil
sie es mögen." Ein Mann sagt: "Ich habe zweimal in meinem Leben Sex
gekauft aber nachdem ich das hier heute gehört habe beabsichtige ich dies nicht
wieder zu tun. Ihr habt meine Augen geöffnet." Eine Frage fragt: "Ich
habe gehört, dass es illegal ist Sexspielzeug nach Schweden mitzubringen und
dass Vergewaltigungen zugenommen haben?" Nun wächst sich die Sache aus in
eine Diskussion über Julian Assange. Mir
wird bewusst wie sehr Prostitution zehn Jahre nach ihrer Legalisierung die
deutsche Gesellschaft durchdringt. Es kommt vor, dass private
Jobvermittlungsagenturen Jobs in einem Bordell ausschreiben. Obwohl es nicht
erlaubt ist Sozialleistungen von Menschen einzubehalten, die einen Job in einem
Bordell ablehnen, passiert es dennoch, sagt eine, die das selbst erlebt hat. "Da
musst du doch merken," sagt eine ermunternd "dass es so nicht weiter
gehen kann"
Nach der Veranstaltung gehen wir in eine Heavy Metal Kneipe.
Wir lernen uns ein wenig besser kennen. Wir sind eine bunt gemischte Gruppe aus
Arbeitslosen, einer die in einem Kiosk arbeitet, Student_innen, Berufstätigen, ehemalige
Prostituierte, Rentner_innen und Aktivist_innen. Einige der LISA Aktivistinnen
sind Mitglieder der deutschen Linken (DIE LINKE). Sie erzählen uns . dass derjenige, der so auf
seinem Recht Sex zu kaufen beharrt hat auch Mitglied der Partei ist. DIE LINKE
hat sich bis heute noch keine Position zum Thema erarbeitet, "aber ich bin
mir sicher wenn sie sich für Prostitution aussprechen wird, wird die Partei
einige aktive weibliche Mitglieder verlieren" sagt die Aktivistin Manuela
Schon. Es bewegt sich was in Europa:
Frankreich hat ein Sexkaufverbot beschlossen und im Februar hat das Europäische
Parlament eine historische Resolution verabschiedet, die vorsieht Sexkäufer
statt Sexverkäufer_innen zu bestrafen.
Einer der Metal-Typen kommt zu uns und ruft: "Warum
sitzt ihr ganzen Mädels hier so alleine?" Er gibt uns eine Runde Berliner
Weisse aus. Wir lächeln ihn an. Er weiß gar nicht, denke ich, dass dies eine
Graswurzel ist, die Geschichte machen wird.
Kajsa Ekis Ekman
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