Samstag, 19. April 2014

Sollte wirklich ein Zuhälter über Vergewaltigungsfälle urteilen?

Der folgende Artikel erschien am 27. März in der schwedischen Tageszeitung ETC, eine Übersetzung aus dem Schwedischen

Kajsa Ekis Ekman
Ein Mann steht auf:
"Ich habe zweimal in meinem Leben Sex gekauft, aber nach dieser Veranstaltung werde ich das nie wieder tun. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen"
Wiesbaden ist eine kleine Stadt in der Nähe von Frankfurt mit knapp 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Im 19. Jahrhundert war es ein "Kurort", in dem die europäische Oberschicht ein und ausging, um sich zu entspannen und in den heißen Quellen zu baden. Heute ist sie bekannt für seine amerikanische Militärbasis. Etwa 30.000 amerikanische Soldaten sind hier stationiert. Die meisten werden in Afghanistan eingesetzt. Es ist schon passiert, erzählt eine junge Frau mir, dass Soldaten alles tun würden um ihrem nächsten Kampfeinsatz zu entgehen. Zum Beispiel jemandem in einer Kneipe zusammenschlagen. Sie werden nicht von einem deutschen, sondern vom amerikanischen Militärgericht verurteilt. Oft sind die Strafen sehr moderat, aber sie müssen nicht zurück in den Einsatz. Es kommt auch vor, dass Soldaten sich mit einheimischen Frauen einlassen, eine Familie gründen und in der Stadt bleiben. Oder, dass sie einfach zurück in die USA gehen und Kinder in Wiesbaden zurücklassen wenn ihr Einsatz vorbei ist.

Wie auch in anderen deutschen Städten ist Prostitution allgegenwärtig. Wiesbaden hat etwa 70 "Modellwohnungen" , in der Innenstadt war früher ein Rotlichtbezirk und ein langjähriger Bordellbetreiber wurde gerade in die städtische Gerichtsbarkeit (Schöffengericht) berufen. Dort werden auch Vergewaltigungsfälle verhandelt. Dagegen kann man nichts tun, denn Zuhälter ist genauso ein anerkannter Beruf wie andere Berufe auch.  In dieser Stadt entschieden sich etwa zehn Frauen, dass sie genug davon haben und dass sie den Kampf dagegen aufnehmen sollten. Mit ihrer feministischen Gruppe LISA nahmen sie am 8. März mit Plakaten gegen die Sexindustrie an einer Demonstration zum Internationalen Frauentag teil. Sie wurden eingekesselt und mit Farbe attackiert. Das hält sie jedoch nicht ab und es gelang ihnen sogar noch mehr Frauen für die Arbeit zu gewinnen.


Sie haben also nun diese erste Diskussion in Wiesbaden zu Prostitution organisiert, und sind schrecklich aufgeregt. Zwei Sicherheitskräfte durchsuchen die Taschen der Besucher_innen nach Waffen. Anders als Schweden zu der Zeit als das Sexkaufverbot verabschiedet wurde hat Deutschland eine riesige organisierte Sexindustrie, die vor nichts zurück schreckt. Sie wollen unter keinen Umständen ihre Profite in Gefahr sehen.

Vor Ort sind Rachel Moran aus Irland und "Marie" aus Deutschland, beide Prostitutionsüberlebende, die deutsche Feministin Inge Kleine und ich. Wir sollen darüber sprechen was Prostitution ist, und dass das schwedische Modell bedeutet die Sexkäufer in den Blick zu nehmen.  Dass dies hier nichts alltägliches ist wird offensichtlich. Menschen sind von weit her angereist. Manche sogar aus Berlin, sieben Stunden Autofahrt.

"Marie" tritt mit Perücke auf - sie möchte anonym bleiben, da sie befürchtet sonst Probleme bei der Arbeitssuche zu bekommen und sie spricht über ihre Jahre in der Prostitution. "Ich bin privilegiert", sagt sie, "Ich war 42 als ich anfing. ich bin deutsch, anders als die meisten in der Industrie und ich kenne die Sprache, die Gesetze, ich war keine Jungfrau mehr - und dennoch war es eine Wahl zwischen scheisse und scheisse und es beeinträchtigt mich heute noch."

Rachel Moran liest eine Passage aus ihrem Buch "Paid for" welches ihre sieben Jahre in der Prostitution thematisiert. Die Diskussion dauert Stunden. Ohne Pause. Als jemand aus dem Publikum sich zu Wort melden und einen zehnminütigen Monolog hält scheint das keinen zu irritieren. Ein Sexkäufer erregt sich: "Sex ist ein Menschenrecht! Du greifst in die Natur ein wenn du das verbieten willst und es wird dann im Dunkelfeld weiter geschehen!" Ein anderer sagt: "Ich habe nur Sex mit Männer, männliche Prostituierte sind nicht so unglücklich wie ihr sagt, die meisten tun es weil sie es mögen." Ein Mann sagt: "Ich habe zweimal in meinem Leben Sex gekauft aber nachdem ich das hier heute gehört habe beabsichtige ich dies nicht wieder zu tun. Ihr habt meine Augen geöffnet." Eine Frage fragt: "Ich habe gehört, dass es illegal ist Sexspielzeug nach Schweden mitzubringen und dass Vergewaltigungen zugenommen haben?" Nun wächst sich die Sache aus in eine Diskussion über Julian Assange.  Mir wird bewusst wie sehr Prostitution zehn Jahre nach ihrer Legalisierung die deutsche Gesellschaft durchdringt. Es kommt vor, dass private Jobvermittlungsagenturen Jobs in einem Bordell ausschreiben. Obwohl es nicht erlaubt ist Sozialleistungen von Menschen einzubehalten, die einen Job in einem Bordell ablehnen, passiert es dennoch, sagt eine, die das selbst erlebt hat. "Da musst du doch merken," sagt eine ermunternd "dass es so nicht weiter gehen kann"

Nach der Veranstaltung gehen wir in eine Heavy Metal Kneipe. Wir lernen uns ein wenig besser kennen. Wir sind eine bunt gemischte Gruppe aus Arbeitslosen, einer die in einem Kiosk arbeitet, Student_innen, Berufstätigen, ehemalige Prostituierte, Rentner_innen und Aktivist_innen. Einige der LISA Aktivistinnen sind Mitglieder der deutschen Linken (DIE LINKE).  Sie erzählen uns . dass derjenige, der so auf seinem Recht Sex zu kaufen beharrt hat auch Mitglied der Partei ist. DIE LINKE hat sich bis heute noch keine Position zum Thema erarbeitet, "aber ich bin mir sicher wenn sie sich für Prostitution aussprechen wird, wird die Partei einige aktive weibliche Mitglieder verlieren" sagt die Aktivistin Manuela Schon.  Es bewegt sich was in Europa: Frankreich hat ein Sexkaufverbot beschlossen und im Februar hat das Europäische Parlament eine historische Resolution verabschiedet, die vorsieht Sexkäufer statt Sexverkäufer_innen zu bestrafen. 

Einer der Metal-Typen kommt zu uns und ruft: "Warum sitzt ihr ganzen Mädels hier so alleine?" Er gibt uns eine Runde Berliner Weisse aus. Wir lächeln ihn an. Er weiß gar nicht, denke ich, dass dies eine Graswurzel ist, die Geschichte machen wird.

Kajsa Ekis Ekman

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