Mit dieser Stellungnahme positionierte sich die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt Anfang Februar in der Prostitutionsdebatte. Pro Nordisches Modell und für ein Umdenken im
gegenwärtigen Feminismus!
In
den letzten Monaten haben wir uns intensiv mit dem Thema
Prostitution/Sexwork auseinandergesetzt. Als Ergebnis dessen halten wir
die Auseinandersetzung mit der Gewaltseite der Prostitution für
dringlich geboten. Unserer Meinung nach geschieht das derzeit in
feministischen Kreisen nicht ausreichend, daher möchten wir hiermit
Stellung beziehen und uns für das Nordische Modell aussprechen. Wir
plädieren dafür, nicht länger die Gewalt, der Frauen, Kinder,
Jugendliche, transgender & transsexuelle Menschen und wenige Männer
in der Prostitution ausgesetzt sind, aus dem Diskurs auszublenden. Diese
Gewalt zu thematisieren, sie zum Mittelpunkt der Debatte zu machen und
ihr entgegenzutreten hat höchste Priorität: Zuhälterkontrollierte
Prostitution/Zwangsprostitution ist serielle Vergewaltigung, an der sich
Freier und Zuhälter bereichern.
Wichtig
ist uns an der Thematik, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen
liberalisierten Sexmärkten und Menschenhandel besteht. Das ist
inzwischen nachgewiesen (siehe: Does Legalized Prostitution Increase Human Trafficking?).
Prostitution
funktioniert nicht ohne Zwangsprostitution, weil es in Bezug auf die
Nachfrage niemals genug Frauen gibt, die sich freiwillig in dieses
Geschäft begeben. In den meisten Fällen ist diese Tätigkeit eine Folge
von strukturellen Zwängen oder direkter Gewalt. Das Zusammenspiel von
Patriarchat und Kapitalismus - Armut ist weiblich - lässt Frauen oft
keine andere Möglichkeit zu überleben, als ihre Sexualität zu verkaufen.
Besonders von dieser wirtschaftlichen Marginalisierung betroffen sind
Frauen, die zusätzlicher Diskriminierung ausgesetzt sind, wie z.B.
Frauen aus armen, besonders stark ausgebeuteten Gesellschaftsschichten,
Frauen of Color und transsexuelle Frauen. Je mehr berufliche
Möglichkeiten Frauen in einer Gesellschaft haben, desto weniger werden
sie dazu bereit sein, Prostitution/Sexwork auszuüben. Das ist in
Deutschland der Fall. Die Liberalisierung des Prostitutionsgesetzes hat
deshalb dazu geführt, dass sich für Menschenhändler ein Markt mit hohen
Profiten geöffnet hat, um die das Angebot übersteigende Nachfrage zu
bedienen. So bringen oder finden sie Frauen und Kinder in Notlagen, um
sie in die Prostitution zu zwingen. Die Gewalt, der diese Frauen und
Kinder ausgesetzt sind, ist maßlos und brutal. Sie zu beenden, muss zu
den dringlichsten Zielen feministischen Handelns gehören. Für uns ist
unverständlich, dass es im gegenwärtigen Feminismus nur wenige Stimmen
gibt, die sich dem Problem mit einem dringlichen Antrieb, das zu ändern,
widmen, sondern stattdessen meist von den Betroffenen extremer Gewalt
weggelenkt wird zu denen, die die Wahl haben und in diesem Geschäft in
der privilegierteren Position sind.
Der
Halbsatz „dagegen gibt es Gesetze“, der regelmäßig das Problem des
Frauen- und Kinderhandels beiseite schieben soll, wird der Sache nicht
gerecht, da die konsensuelle Sexarbeit und die zuhälterkontrollierte
Prostitution/Zwangsprostitution in derselben Sphäre stattfinden. Freier
können es nicht unterscheiden und sie wollen meistens auch nicht wissen,
was der Fall ist, denn es ist den meisten schlicht egal.
Daher
greifen Analogien, die die Ausbeutung in der Prostitution mit anderer
kapitalistischer Arbeitsausbeutung vergleichen und so den
patriarchalischen Hintergrund ausklammern, auch zu kurz und tragen zur
Verharmlosung des Problems bei.
Prostitution
befindet sich an der Schnittstelle von Patriarchat und Kapitalismus und
ist auf ungleiche Machtverhältnisse angewiesen. Daher spielt Armut und
ihre Bekämpfung eine große Rolle. Es ist keine „Chance“, wenn Frauen nur
die Wahl zwischen Elend/Tod oder strukturell erzwungenem Sex haben.
Wenn die Umstände dies als einzige Möglichkeit der Lebensgestaltung
lassen, sind diese Umstände invasiv und zerstörerisch und damit nicht
hinnehmbar.
Zudem
verdeutlichen zahlreiche Untersuchungen, dass ein Großteil der Frauen,
die sich prostituieren, Gewalterfahrungen (sexuelle, physische,
psychische Gewalt) in der kindlichen Sozialisation gemacht haben (siehe:
Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland - Teilpopulation Prostituierte S. 465). Ein hoher Anteil von Frauen, die aus der Prostitution aussteigen, leidet an Posttraumatischen Symptom-Komplexen, die denen von Folteropfern ähnlich sind (siehe Symptoms of Posttraumatic Stress Disorder and Mental Health in Women Who Escaped Prostitution and Helping Activists in Shelters).
Das
Nordische Modell, das Schweden als erstes Land umgesetzt hat, basiert
auf der Erkenntnis, dass erst die Nachfrage die ausufernde Sexindustrie
mit ihrem unvermeidlichen Zufluss durch Menschenhandel befördert. Die
zugrunde liegende Maßnahme ist daher, den Markt durch Freierbestrafung
zu minimieren. Als unabdingbar wurde erkannt, dass dies mit guten
Ausstiegsprogrammen und Armutsbekämpfung kombiniert werden muss. Dazu
zählen beispielsweise Unterstützungs- und Rehabilitationsmaßnahmen für
Betroffene von (Zwangs-)Prostitution und sexueller Ausbeutung sowie
spezielle Maßnahmen für suchtkranke prostituierte Frauen. Zusätzlich
werden Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche bereit gestellt,
die prostitutionsgefährdet sind.
Wir
bejahen das Nordische Modell aufgrund der richtigen Erkenntnis über das
Funktionieren der Sexindustrie und seiner klaren Parteilichkeit
zugunsten der Menschen in der Prostitution und gegen diejenigen, die
davon profitieren – nämlich Freier und Zuhälter.
Eine produktive Auseinandersetzung mit dem Nordischen Modell wird derzeit leider auch dadurch behindert, dass viele Fehlannahmen darüber im Umlauf sind, wie z.B. die, dass die Prostituierten kriminalisiert würden (das Gegenteil ist der Fall). Einige weitere derartige falsche Vorstellungen werden von Meagan Tyler hier richtig gestellt.
Wir würden uns wünschen, dass sich Feministinnen angesichts der heftig entbrannten Debatte über Prostitution auf die gemeinsamen Schnittpunkte konzentrieren, um denjenigen, die im Sexmarkt Nöte ausstehen müssen, beizustehen.
Unerlässlich
ist dabei, die Gewaltseite der Prostitution in den Blick zu nehmen und
im Konzept über die Herangehensweise angemessen zu berücksichtigen. Aus
diesem Grund sind wir über die Stimmen froh, die das ohne Wenn und Aber
bereits getan haben und die die dringend benötigte Debatte darüber in
Gang gebracht haben. Der Appell der Emma und der Karlsruher Appell können noch unterzeichnet werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen