Wordle von EWL |
Der Flyer "18 Mythen über Prostitution" kann über diese Seite herunter geladen werden.
Die European Women’s Lobby ist ein Dachverband von feministischen Organisationen aus EU-Ländern, sie hat ihren Sitz in Brüssel und koordiniert Aktionen zu Themenschwerpunkten. Sie berät auch PolitikerInnen und Ausschüsse im EU-Parlament. Themen der letzten Jahre: Gesetzgebungen im Bereich der sog. „Häuslichen“ Gewalt, immer wieder das Thema Armut, Ausbildung und Berufschancen, Zugang zu legaler und sicherer Abtreibung und eben – Prostitution.
Sie ist in etwa vergleichbar mit dem Deutschen Frauenrat hierzulande, wobei die EWL durchgänging feministische Positionen vertritt, beziehungsweise gesellschaftliche Themen aus einer feministischen Perspektive angeht.(1)
Die EWL initiierte den Brussel’s Call Together for a World Without Prostitution und unterstützte den Honeyball-Bericht im EU-Parlament, der Prostitution als Hindernis für die Gleichstellung von Frauen und als Gewalt definiert. Der Bericht fordert Maßnahmen zur Reduktion der Nachfrage und empfiehlt das Nordische Modell als ein Mittel dafür. In dieser Formulierung wurde er abgeschwächt, ursprünglich wurde dies als wichtigstes Mittel bezeichnet. Diese Resolution ist für Deutschland nicht bindend, d.h. unsere Republik kann den Bericht auch ignorieren.
Trotzdem ist er ein bedeutender Erfolg, weil hier sichtbar und auf europäischer Ebene ein Zeichen gesetzt wird gegen die Prostitutionsverharmlosung, fast schon -verherrlichung und -bejubelung, die die mediale und politische Darstellung bei uns so lange dominierte. Kritik an Prostitution wurde (und wird) mit Moralgeschwafel, Feminismuns-bashing, EMMA-bashing und #notmyfeminism mundtot gemacht. Wir sind froh, dass sich dies wieder ändert und unter anderem unseren europäischen und weltweiten MitstreiterInnen dafür unendlich dankbar.
Zur Beendigung der Prostitution müssen wir uns Prostitution anschauen, sehen, was sie ist, was sie für die Frauen da drin (und die anderen) bedeutet und welche Auswirkungen sie auf eine Gesellschaft und das Verhältnis von Frauen und Männern hat. Dazu gehört auch die tägliche Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung von Prostitution, den zu ihrer Normalisierung verbreiteten Mythen, es bedeutet das Entlarven von Scheinargumenten. Das Faltblatt 18 Mythen zur Prostitution ist ein Teil davon, es enthält auch wichtige Informationen zur Situation in den Niederlanden und den dortigen Erfahrungen mit der weitgehenden Legalisierung von Sexkauf, Zuhälterei und Bordellbetrieb.
Feministinnen aus unseren Nachbarstaaten, aus den anderen EU-Ländern nehmen hier eine deutlich andere Position ein als große Teile des Dekorations-, Karriere- und Funfeminismus in Deutschland (oder Österreich oder den Niederlanden): Sie werfen einen Blick auf das Patriarchat und einen weiteren Blick auf die Prostitution und kommen zu glasklaren Ergebnissen. Feministinnen aus den Ländern, aus denen Deutschland Frauen für die Prostitutionsverwertung importiert, sehen in Deutschland und deutschem Schickfeminismus keine großen aufgeklärten Wohltäter, die den armen Frauen doch wenigstens diese Chance geben.(2) Sie haben auch eine andere Definition von freier Sexualität. Sie gehen davon aus, das sie etwas mit Freiheit zu tun hat – und ihr Ausleben mit Gleichberechtigung.
Das schwedische oder nordische Modell sieht Prostitution im Zusammenhang mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft und als Bestandteil von Gleichstellungspolitik.
Es umfasst:
- Sinnvolle und nachhaltige Unterstützung derer, die aus der Prostitution auszusteigen wünschen.
- Gesundheitsversorgung und andere Unterstützung (Schuldenberatung, Therapie, Kinderbetreuung, Ausbildungsmöglichkeiten, Begleitung bei Behoördengängen, Vorbereitung auf gerichtliche u.a. Termine...) unabhängig vom Ausstiegswunsch. Die Unterstützung muss niedrigschwellig und umfassend und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschneidert sein.
- Ein vollständiges Verschwinden jeglicher Sanktionen, die auf den „Verkaufenden“, den prostituierten Personen lasten, unabhängig vom Geschlecht – in Deutschland ist dies im Gegensatz zu den Anpreisungen des ProstG von 2002 nicht gegeben, siehe Sperrgebiete. Wir legen nahe, das „Schwedische Modell“ in diesen umzusetzen, wenn man schon auf Gesamtebene nicht dazu bereit ist.
- Schulung der Polizei zur Umsetzung des Gesetzes; enge Zusammenarbeit zwischen Sozialdiensten und Polizei.
- Aufklärung und Kampagnen in der Gesamtgesellschaft und an Schulen zu gleichberechtigtem Zusammenleben und gleichberechtigten Umgang mit Sexualität.
- Verbot von Bordellbetrieb und Zuhälterei.
- Strafbarkeit des Kaufs des sexuellen Zugangs zum Körper anderer.
Auch der Gleichstellungsbericht der portugiesischen Abgeordneten Kristina Zuber, der im EU-Parlament denkbar knapp scheiterte, wurde von der EWL unterstützt, wir berichteten dazu auf diesem Blog. Der Bericht befasste sich mit den Auswirkungen der anderen Ländern oft aufgezwungenen Sparpolitik auf Frauen und kam zu sehr eindeutigen Bewertungen – die Politik betrifft Frauen in erheblichem Ausmaß und schadet vor allem Frauen überproportional. Da die Sparpolitik kritisiert wurde und der Bericht außerdem den Zugang zu sicheren Abtreibungen forderte (in einem Nebensatz unter Zugang zu Gesundheitsvorsorge) hatten Liberale und Konservative bereits im Vorfeld ihre Ablehnung deutlich gemacht. Sozialdemokraten und Linke wollten ihn unterstützen und taten das auch. Der Bericht enthält 88 Grundsätze zum Thema der Situation der Frauen, das Wort Prostitution kommt ca. sechs Mal vor und sie wird nicht gefeiert, es wird gebeten, die Nachfrage einzudämmen und der Honeyball-Report als eine Möglichkeit empfohlen – schon diese zarte Kritik an der Prostitution war den Grünen im EU-Parlament (die ich bis vor kurzem da selber immer wieder hinein gewählt habe, wofür ich mich inzwischen schäme) zu viel, und sie ließen diesen sehr wichtigen Bericht für Frauen in ganz Europa mit ihrer Enthaltung scheitern. Das waren natürlich nicht nur die deutschen Grünen, allerdings sind sie mit den Franzosen zusammen (bis zu diesem Sommer vertreten von Seiner Herrlichkeit Daniel (Dany) Cohn-Bendit) die größte und einflussreichste Gruppe darin. Sprich: Funktionierende und aufgepeppte und hingeschminkte Prostitution ist eine so heilige Kuh, dass darüber auch ein feministischer Bericht zu Armut scheitern darf.
Wir gehen davon aus, dass sich das Problembewusstsein in allen deutschen Parteien in Zukunft erhöht und wir auch hier zu einer guten Kooperation mit unseren AnsprechpartnerInnen auf europäischer Ebene zurückfinden.
(1) Der Deutsche Frauenrat verlinkte im Zusammenhang mit dem Honeyball-Report auf den Aufruf Pro-Prostitution des BesD (Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen), einem Lobbyverband, der gegründet wurde, um auf die Debatte Einfluss zu nehmen. Der Link wurde nicht als Link zu einer bestimmten Position oder Meinung deklariert, sondern unter weitere Informationen geführt.
In seiner Stellungnahme zu den Koalitionsverhandlungen über Menschenhandel und Prostitution mit dem Titel „Komplexe Probleme erfordern differenzierte Lösungen“ erschöpft sich die Komplexität und Differenzierung im Abschreiben von Forderungen der Pro-Prostitutionsszene. Die einzelnen Mitgliedsorganisationen wurden zu dieser absolut einseitigen Positionierung nicht mehr befragt.
Als die Europäische Frauenlobby das Thema häusliche Gewalt zum Schwerpunkt machte, bestanden die Vorsitzenden des Deutschen Frauenrats auf einer durchgängig geschlechtsneutralen Sprache, das es ja auch Täterinnen gibt und männliche Opfer und daher offenbar nur noch begrenzt und keinesfalls sichtbar von einem geschlechtsspezifischen Phänomen gesprochen werden kann (oder darf).
Nun ja. Wer braucht da noch Feinde?
(2) Stefanie Lohaus, Missy Magazin
"Vielleicht fühlt es sich aus der Perspektive einer Romafrau, die im Elend lebt und rassistisch verfolgt wird tatsächlich selbstbestimmt an, in Deutschland als Sexarbeiterin zu arbeiten?"
Quelle: Rückblick auf die Prostitutionsdebatte 2013 - TOP SIXTEEN des Kopschüttelns, Punkt Eins, unter: http://manuelaschon.blogspot.de/2013/12/ruckblick-auf-die-prostitutionsdebatte.html
Aber aus der Sicht dieses Magazins ist es auch in Ordnung wenn nicht sogar emanzipatorisch, wenn es denjenigen, die "weniger privilegiert sind als wir" selbst überlassen wird, zu definieren, wo die Grenzen ihrer Menschenwürde verlaufen, und wenn der Staat das hinnimmt, bzw. gezielt nutzt. Und offenbar hat Menschenwürde mit unserem Verhältnis zu Sexualität ohnehin nichts zu tun.
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