Montag, 22. Juni 2015

Vielleicht wache ich bald auf

at sunset
Picture Credits: majownik (Flickr)
(CC BY 2.0)
Rebecca Mott ist Aktivistin, Abolitionistin, Prostitutionsüberlebende und Bloggerin. Auf ihrem Blog erschien am 17. Juni 2015 ihr Artikel "Maybe I Will Wake Up Soon", den wir mit ihrer freundlichen Zustimmung ins Deutsche übertragen haben.
Ich war neulich als Touristin in Stockholm und habe mich mit Abolitionistinnen getroffen.

Ich versuche immer noch zu begreifen, ob es real wahr war und ob ich nicht irgendwann aus einem Traum aufwache und feststelle, dass alle Länder dieser Erde das Mindestmögliche dafür tun, prostituierte Menschen als vollwertige Menschen anzuerkennen.

Ich weiß, ich müsste zufrieden sein – ich müsste mit dem Gefühl der Befreiung umgehen können – ich müsste in der Lage sein zu wissen, dass es einen Sinn ergibt, dass Schweden und andere Länder schlussendlich sagen, dass Männer für die Zerstörung der prostituierten Klasse zur Verantwortung gezogen werden.

Ich kann über meinen Trip nach Stockholm schreiben und sagen: Es war surreal für mich und es hat Schmerzen aus der Magengrube hervorgeholt und Körpererinnerungen bis auf ein unerträgliches Maß anschwellen lassen.

Ich muss sagen, es hat viele Suizidgedanken angetriggert. Gefühle wie, dass mein Selbst wenig oder garnichts bedeutet, weil andere Abolitionistinnen mental stärker sind als ich.

Ich werde mich niemals umbringen – aber ich habe immer diesen Schatten, der mir damit folgt, dass ich bedeutungslos bin.


Meine Arbeit, meine Wörter, meine Träume, mein Kampf weiterzumachen bedeutet so wenig, weil in jedem Moment des Tages zuviele der prostituierten ohne Hoffnung leben, irgendwann echte Menschlichkeit zu erfahren.

Schweden hätte für mich Anlass sein müssen zu feiern – stattdessen hat es dazu geführt, dass ich mich klein und alleine fühle; soviel muss noch auf dieser Welt passieren, nur um prostituierten simple und grundlegende Menschenrechte zuzuerkennen.

Als eine Ausgestiegene hätte ich mich möglichweise länger innerhalb eines Landes aufhalten sollen, in dem Männer dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie einen Menschen für ihre sexuellen Bedürfnisse kaufen – um es zu verstehen und in Gänze zu begreifen, dass das eine Realität ist und ich will nicht schluchzend aufwachen.

Auszusprechen, dass die Gesamtheit der prostituierten Klasse keine vollwertigen Menschen sind - auch wenn die eigenen Ketten jahrzehnterlanger Sklaverei entfernt sind – und andererseits unsere Stimmen gewürdigt und gefeiert zu wissen – das kann sich für die meisten ausgestiegenen Menschen unerreichbar anfühlen, die in Ländern leben, die den Sexhandel normalisiert haben.

Nein, Stockholm machte mir klar, wie ich als ausgestiegene prostituierte Frau mit dem Untragbaren als Geräuschkulisse lebe.

Ich sah einen Ort, an dem Männer lernen, die meisten Frauen mit Respekt zu behandeln und so etwas wie wie Gleichberechtigung.

Ich sah einen Ort, an dem es nicht unheimlich war, spät draußen zu sein oder für viele Frauen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen.

Schweden ist kein Idealbild, es gibt viele und unterschiedliche Mängel – aber zumindest wollen sie den richtigen Weg einschlagen.

Ich bemängele die schwedische Herangehensweise, weil [das Nordische Modell] verabschiedet wurde, in dem man sich darauf konzentrierte, wie sich Prostitution auf alle Männer und Frauen in Schweden auswirkt und dass der Fokus nicht auf die Menschenrechte der prostituierten [Klasse] als eigenständige und unerlässliche Angelegenheit gerichtet ist.

Ich habe auch große Probleme mit der großen Mehrheit für schuldig befundener Männer, die nur eine Geldstrafe erhalten, und alle Prostituenten erhalten, unabhängig von ihrem Einkommen, eine Geldstrafe in gleicher Höhe.

Ich persönlich wäre für eine ernst zu nehmende Inhaftierung oder mindestens für Geldstrafen, die ungefähr 5-fach so hoch wie ihr wöchentlicher Lohn sind.

Immerhin sind die meisten Prostituenten schuldig wegen großer schwerer Verbrechen – die meisten sind Serienvergewaltiger, der Einsatz physischer/mentaler/sexueller Folter ist bei den meisten übliche Praxis, viele unternehmen Mordversuche und Morde an prostituierten.

Wenn Prostituenten nur mit einer Geldstrafe belangt werden, sagt das aus, dass prostituierte immer nur un(ter)menschlich sind, also ist jede Gewalt, die ihnen angetan wird, von wenig oder ohne Belang.

Es wird nie echte Gerechtigkeit für prostituierte geben – solange nicht viele Prostituenten wegen Serienvergewaltigung, schwerer Körperverletzung, Folter und der älltäglichen Morde prostituierter  weggesperrt werden.

Es gibt nicht ein Gesetz für die nicht-prostituierte und ein anderes für die prostituierte Klasse.

Wenn Prostituenten den Terror einer echten Bestrafung erleben, wäre das ein Anfang wahrer Befreiung und Hoffnung für alle prostituierten.

Jetzt aber sind wir dazu bestimmt, mit Kleinigkeiten zufrieden zu sein – wir sind dazu bestimmt, auf Gerechtigkeit warten zu müssen, denn aus irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Gründen wird angenommen, dass inhaftierte Prostituenten ein Schritt zu weit sind.

Jahrzehntelang war es ok, die prostituierten zu inhaftieren – ohne Rücksicht auf ihr psychisches oder körperliches Wohlergehen.

In allen Gesellschaften und Zeiten, in denen Prostitution regulär ist, ist es normal, prostituierte zu inhaftieren: minderjährige prostituierte, prostituierte mit besonderen Bedürfnissen, prostituierte, die Ethnien angehören, die hochgradige Diskriminierungen erfahren, etc.

Das wird als angemessen angesehen – aber nur den Traum von einer vollständigen Bestrafung der sadistischen Prostituenten auszusprechen, wird als nicht hinnehmbar erklärt, selbst mit noch so vielen Abolitionistinnen.

Ich mit meinen Erfahrungen tagtäglicher sadistischer Gewalt, die Prostitution ist – werde das niemals verstehen, ohne, dass es mir das Herz bricht.

Das Ausmaß der Gewalt, das normal war, nur weil ich prostituiert wurde, quält mich.

Es quält mich, dass jeder einzelne Prostituent, der mich benutzte, konsumierte und wegwarf, von der Gesellschaft gesagt bekommt, dass er kein wirklicher Krimineller ist, dass seine Taten kein Verbrechen sind, wenn er es Prostitution nennt.

Ich kann einige der Straftaten auflisten, die an mir begangen wurden – meine Erfahrungen und mein Körper sind nur ein minimales Beispiel dafür, was der prostituierten Klasse zustößt, zu jeder Zeit und überall.

Schaut euch diese Liste an – und sagt mir für welche Klasse Mensch diese Taten nicht als Schwerverbrechen bezeichnet werden würden, mit Ausnahme der prostituierten Klasse.

  1. Gruppenvergewaltigung war normal. Gruppenvergewaltigung wurde eingesetzt, um die prostituierte zu kontrollieren, zu bestrafen und sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen mit dem Ziel:  Fügsamkeit und Schweigen. Gruppenvergewaltigung wird benutzt, um die prostituierte an Porno oder die Benutzung durch reiche Prostituenten bei „Parties“ zu gewöhnen.

  2. Anale Vergewaltigung, normalerweise so extrem wie es menschenmöglich ist, ist so normal in der Prostitution, weil es eine einfache Gegebenheit ist. Alles, was Prostituenten wollten, war mich anal zu foltern, oft mit Extra-Folter durch Ersticken, Ertränken oder in dem man in andere Körperöffnungen meines Körpers penetrierte.
     
  3. Vergewaltigt zu werden, geschlagen oder erstickt bis fast zum Tode oder zur Bewusstlosigkeit  - oder das Leben-und-Tod-mit-einer-Hure-Spiel.
     
  4. Stranguliert zu werden als Ausdruck der Kontrolle und zur Erinnerung, dass du ein Un(ter)mensch bist.
Es gibt noch so viel mehr schwerwiegende Verbrechen, die zum Standard in allen Bereichen der Prostitution geworden sind, und trotzdem bekommen Prostituenten nur eine Geldstrafe.

Entschuldigt, das ist keine Feier meiner Reise nach Schweden – es ist nur so, dass Schmerzen und Körpererinnerungen noch nicht bereit für irgendeine Party sind.

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