Mittwoch, 19. August 2015

Antwort an Amnesty: Die Entkriminalisierung des Sexkaufs schädigt alle Frauen (und besonders arme Frauen) und das Ideal der Gleichstellung.

via @ArtOfDissent
zur Verwendung von der Grafikerin
freigegeben
Von Ángeles A. Auyanet

Prostitution hat Auswirkungen auf die Vorstellungen dazu, was eine Frau ist und was von ihr erwartet werden kann.

Durch die Entkriminalisierung des Sexkaufs legitimieren wir Ansichten und Vorstellungen, die nicht nur beeinflussen, wie Männer Frauen wahrnehmen, sondern auch wie Frauen sich selbst wahrnehmen.

Prostitution wird oft als persönliche oder individuelle Entscheidung angesehen. Diese Sicht übergeht die Erkenntnis, dass Prostitution in Wirklichkeit institutionalisiert ist und damit eine soziale Funktion erfüllt. In den letzten Jahrzehnten hat die spanische Gesellschaft erkannt, dass gender violence, geschlechtsspezifische Gewalt, ein strukturelles und kein individuelles Problem ist. Früher wurde sie für eine Privatsache zwischen einem Mann und seiner Frau angesehen, heute jedoch hat sich die öffentliche Wahrnehmung geändert, wir erkennen darin ein soziales Problem, das abgeschafft werden muss.

Warum ist so schwierig, Prostitution als ein soziales Problem zu begreifen, das einer öffentlichen Lösung bedarf?



Das Thema Prostitution wurde bewusst auf die Frage der individuellen Zustimmung dazu reduziert, um damit die Privilegien für Männer und die Ursachen der mangelnden Gleichstellung zwischen Männern und Frauen zu verschleiern. Anders gesagt: Das Problem der Prostitution auf die Ebene der individuellen Entscheidung und Zustimmung einer Frau dazu zu reduzieren bedeutet, sich nicht auf die patriarchalen Wurzeln dieser Institution einlassen zu wollen, sie nicht verstehen zu wollen. Wenn also Prostitution ein Teil unseres Lebens bleibt, dann deswegen, weil Männer, als soziale Gruppe, die sexuelle Zugänglichkeit von Frauen, Frauenkörpern brauchen, um ihre Privilegien aufrecht zu erhalten. Wie Barry schreibt: „Der Tausch in der Prostitution ist die systematisierteste Institutionalisierung der Reduktion der Frau auf ihr Geschlecht“.

Paradoxerweise verbieten Staaten in bestimmten Fällen, dem Organhandel zum Beispiel und (noch) bei der Leihmutterschaft, durchaus den Verkauf bestimmter „Güter“ oder „Dienstleistungen“. Sie zeigen hier eine ethische Grundhaltung, die sich an einem bestimmten Menschenbild und an Vorstellungen des Gemeinwohls orientiert. Aber vielleicht liegt es daran, wie Charlesworth einmal weise feststellte, dass Vorstellungen zum Gemeinwohl Frauen als soziale Gruppe niemals mit eingeschlossen haben, dass Prostitution unter der Behauptung, Frauen würden sich da freiwillig hinbegeben, toleriert wird.

Viele Länder der Welt erleben zur Zeit eine furchtbare Wirtschaftskrise. In Spanien zum Beispiel verdienen viele Menschen nur noch 600 € im Monat. Sie schreiben dies einem neoliberalen Kapitalismus zu. In diesen Fällen erkennen Menschen sofort, dass hier ein strukturelles Problem vorliegt und eine Machtungleichheit. Es ist ihnen bewusst, dass der Grund für ihren geringen Verdienst in den Machtstrukturen der Gesellschaft liegt, und nicht darin, dass sie per Arbeitsvertrag zugestimmt haben, diese 600 € zu verdienen. Doch sobald es um Prostitution geht, werden solche Machtstrukturen, das Patriarchat, der Neoliberalismus, ausgeblendet und nur wenige erkennen die Zusammenhänge. Stattdessen wird ständig wiederholt, dass es doch kein Problem gibt, wenn Frauen ihr zustimmen.

Aus meiner Sicht ist es unmöglich, eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, wenn Frauen, und besonders Frauen, die der Armut ausgesetzt sind, 24 Stunden am Tag fast überall auf der Welt den sexuellen Wünschen von Männern für Geld dienen und wenn große Teile der Gesellschaft, der Medien und der Politik diesen Zustand beschönigen, verharmlosen und verdrehen. Prostitution ist die gesellschaftliche Institution, die am besten die männliche (und kapitalistische) Herrschaft über Frauen verkörpert, während sie für Frauen eine Institution des Überlebens bleibt, eine eindeutige Feminisierung der Armut also.

Originaltext

The decriminalisation of buying sex harms all women (but especially poor women) and the ideal of gender equality. Prostitution affects the image of what a woman is and what can be expected of her. Through the decriminalisation of buying sex, we legitimise ideas and beliefs which influence not only how men perceive women but also how women perceive themselves. Prostitution is often understood as a set of personal or individual choices. This belief omits the realisation that prostitution is in fact an institution and therefore it fulfils a social function. In recent decades the Spanish society has recognised that gender violence is a structural, not an individual problem. Previously it was considered private business between a man and his wife but nowadays social perception has changed, we understand that it is a social problem that must be eradicated. So why is it so difficult to understand that prostitution is a social problem that requires serious solutions from the state? The problem of prostitution has consciously been reduced to a question of consent in order to hide the privilege of being a man and the causes of gender inequalities. In other words, reducing the problem of prostitution to a matter of women’s choice and consent is not wanting to deepen and understand the patriarchal roots in which the institution stands. Therefore if prostitution remains part of our lives, it is because men, as a societal group, need women’s bodies to be accessible to maintain their privileges. As well states Barry "The prostitution exchange is the most systematic institutionalized reduction of woman to sex.”

Paradoxically, the state restricts the sale of goods such as organs or surrogate pregnancy appealing to ethical issues regarding the integrity of the person and the human body. In these cases, it has resorted to a certain conception of the human being and the common good. Throughout history the community has understood that it is sometimes beneficial to place limits on individual freedom. But perhaps as Charlesworth wisely notes because the trends of thought of the common good have never included women as a social group, prostitution is still being tolerated under the pretence that women freely chose to engage in it.

Furthermore, during this time of economic depression many people in Spain earn only 600 euros per month. They blame neoliberal capitalism for their low wages. In this case, people acknowledge that there is structural problem and an imbalance of power. They are aware that the reason they earn so little money is due to the power structures of society, not due to their consent to earn 600 euros. However, with regard to prostitution, these power structures (patriarchy – neoliberalism) are not taken into account and only few people are able to see them. The same question is always repeated, if women consent to such an act then what is the problem?

From my point of view, it is impossible to achieve gender equality if women, especially those who are poor, are, 24 hours a day, almost anywhere in the world, serving the men’s sexual desires in exchange for money. Therefore we could say that prostitution is the institution that best epitomises male domination over women whilst remaining an institution of survival for women, a clear feminisation of poverty.

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