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„Die Preisgabe selbst der intimsten Teile des menschlichen Körpers zur sexuellen Erregung und Befriedigung einer beliebigen anderen Person, ob dies nun aufgrundeines Abhängigkeits- oder Gewaltverhältnisses oder durch anscheinend freie vertragliche Übereinkunft erfolgt, bedarf zu ihrer Legitimierung stets einer Ästhetisierung, sowohl der Prostituierten und ihrer Rolle als auch des Freiers - ganz besonders in historischen Momenten, in denen die Selbstverständlichkeit des Mannesrechtes, sich des anderen Geschlechtes zu bedienen, ins Wanken geraten ist. […] Ästhetisierung meint stets eine Übertünchung und Verklärung, aber auch Heroisierung eines Geschehens, die über die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, gestülpt wird. […] Durch Ästhetisierung entsteht eine oft lückenlose Umkehrung der Wahrnehmung, die wirkliche Kenntnisnahme, Verantwortlichkeit und Einsicht in die Konsequenzen von Handlungen äußerst erschwert.“ (1)
Aus der offiziellen Seite zum Film:
"SEXarbeiterin entsteht zu einer Zeit, in der europaweit über scharfe Reglementierung bis hin zur Abschaffung von Prostitution gestritten wird. Der Dokumentation liegt eine klare Positionierung zu Grunde: Sexarbeit ist Arbeit. Sie ist nicht anstößig, sie ist nicht kriminell und sie ist nicht per se gut oder schlecht für Frauen, Männer oder Transgender. Diejenigen, die sagen, uns ist an besseren Arbeits- und Lebensbedingungen für Sexarbeiter_innen gelegen, sind zu unterstützen. Wer wie in Frankreich oder Schweden Sexarbeit kriminalisiert, erreicht nichts für eine bessere Lebens- und Arbeitswelt der in der Sexarbeit Tätigen." (2)Bereits zwei Jahre vor dem Film gab es Ankündigen per Aufruf zu Crowdfunding - neben handsignierten Plakaten wurden den Unterstützenden auch sexuelle Angebote gemacht, was allerdings auf der Seite so gut wie gar nicht gebucht wurde. (3)
Gemacht wurde der Film dann von vier Männern. (4)
Zum Film, gesehen am 25. März 2016 im Mal seh'n Kino in Frankfurt / Main.
Eingeladen waren noch zu einer Diskussion Vertreterinnen von Doña Carmen, also Juanita Henning, die in Begleitung von Franziska Funk/Frances kam. (5)
Die ZuschauerInnen sehen im Film eine Aktion gegen die Buchvorstellung von Alice Schwarzer (ein Klischee, welches auch auf keinen Fall fehlen darf) und hören die Protagonistin sagen, dass sie kein Verbot der Prostitution will. Wohlwissend, dass es mehr als zwei Prostitutionspolitiken gibt und die Diskussion sich in Deutschland, Europa und der Welt sich in aller Regel NICHT um die der Prohibition (Sexkauf UND Anbieten von Sex sind darin verboten), sondern das so genannte nordische oder schwedische Modell seitens der ProstitutionsgegnerInnen empfohlen und beworben wird. Inwiefern das Sexkaufverbot sich für Lena Morgenroth auswirken würde? Für ihre Massagen kaum - für das Profitieren an der "Sexarbeit" anderer: sehr wohl. Es liegt Nahe, dass sie deshalb nicht näher darauf eingeht und es stattdessen bei pauschalen Andeutungen belässt.
Interessant ist, dass Bundespolitikerinnen, die nur auf einem Podium des "Sexarbeitskongresses" am 24. September 2014 gezeigt werden, im Abspann unter Mitwirkende des Films genannt werden. (6)
Zielgruppe der Films dürften vor allem Frauen und (neo-)liberale Feministinnen sein. Zum einen soll wohl der sehr unpersönliche Akt und die Definition als "Dienstleistung" das Gefühl vermitteln, dass der Partner, so er denn Prostitution in Anspruch nimmt, nur eine Art Wellnessprogramm absolviert - ganz ohne Gefühl und ganz ungefährlich für die eigene Beziehung. Dabei dürfte wohl nur ein marginaler Teil der Sexkäufer auf dieses Angebot zurückgreifen, und wenn dann nur zur Abwechslung zu anderen Segmenten in der Prostitution.
Zusätzlich legt die besondere Hervorhebung der Prostitution an der Frau nahe, dass Frauen verstärkt ermuntert werden sollen, selbst "sexuelle Dienstleistungen" in Anspruch zu nehmen: "Schaut her, wenn es mit dem Partner nicht klappt, dann gibt es auch noch andere Möglichkeiten für ein orgastisches Erlebnis". Erotisierende Aufnahmen, die Lena Morgenroth alleine nackt darstellen, laden zur Identifikation junger Frauen mir ihr ein und unterstreichen damit die Romantisierung der Sexarbeit, den Topos der begehrten und begehrenswerten Frau, die doch in Wirklichkeit nur ganz normal ist - ähnlich wie "Belle du Jour" oder "Irma la douce".
Grundprobleme im Ansatz
Der Film möchte „Sexarbeit“ normalisieren, als Job wie jeden anderen darstellen und die „Sexarbeiterin“ als völlig normale Art den Beruf auszufüllen, eine einfache lapidare Übernahme dieser beruflichen Identität. Aus diesem Ansatz ergibt sich fast schon als zwingende Konsequenz: Der Film ist langweilig. Das Alltägliche spannend oder interessant zu machen ist nicht einfach. Da die Protagonistin naheliegender Weise nicht wirklich Einblicke in ihren persönlichen oder privaten Alltag geben wollte, gibt es auch außerhalb der„Sexarbeit“ nichts interessantes oder spannendes zu berichten.Und so bleibt nur die absolute Banalität des absoluten Alltags. Sexszenen wechseln sich ab mit U-Bahnfahrten und diese mit Haushaltsarbeit. Staubsaugen, Wäsche abhängen, Einkäufe einräumen, Bad putzen … ein netter touch ist dabei noch das Sockenstricken, das den Film einrahmt, am Anfang und am Ende gezeigt wird – und wie so vieles im Film in die falsche Ecke der Klischeekiste greift: Sockenstricken ikonografisch als Inbegriff der Biederkeit, vielleicht einfach eingesetzt, weil ein paar aufgeladene Bilder gesucht wurden oder weil die Macher des Films dies für ein Kontrastprogramm zur Prostitution halten. Und doch passt es genau dazu, denn Prostitution als zugewiesene, institutionalisierte und finanziell bemessene Form der Sexualität ist an Biederkeit kaum zu überbieten. Ansonsten klettert die Protagonistin gerne – Frau stellt sich Herausforderungen – und ist ganz wichtig, denn sie macht Kongresse und kann sich wegen eines Statements für das Familienministeriums, so mal nebenbei eingeworfen, auch nicht wirklich um die übrigen Frauen in der Prostitution, besonders die Migrantinnen auf dem Straßenstrich oder in Bordellen, kümmern. Immerhin, letztere Dinge sind ungewöhnlich, nicht Alltag, und auch die Radiosendung, in der Lena über sich berichten darf, ist es nicht im Vergleich zum Alltag anderer – aber viel verpasst haben die dadurch auch nicht.
Das zweite Problem im Ansatz ist der Umgang mit den Sexszenen im Film. Sie sind nicht pornografisch intendiert, was sogar klappt, aber durchgängig voyeuristisch. Das wäre egal, wenn dies seitens der Macher- und UnterstützerInnen des Films auf Youtube und bei der Besprechung nicht abgestritten würde. (7) Es bleibt generell die Grundfrage, ob es überhaupt möglich ist, Sexszenen weder pornografisch noch voyeuristisch darzustellen, festzuhalten bleibt, dass der Film das durch die Kameraführung überhaupt nicht versucht. Die Szenen sind ansonsten steigernd aufgebaut – von allgemeinen Körperbildern (immer parzelliert, detailliert) zu deutlicheren SM-Szenen und zu sichtbareren Aktivitäten – von vorsichtigen Berührungen zu Finger saugen zu Penismassage - der einzige Versuch, etwas Dynamik oder so etwas wie eine Entwicklung in den Film einzubringen. In der zweiten Hälfte gibt es noch etwas verwirrende Einlagen - Lena Morgenroth dann doch bei ihrem eigenen Sex mit einer Frau, dort aber im Gegensatz zu den anderen Szenen extrem passiv und praktisch nicht beteiligt, da gefesselt und zusammengeschnürt. Eine merkwürdige Spaltung in "aktiv", da "Anbieterin der Dienstleistung" und "passiv" als Rezipientin von Sex.
Verschiedene Aspekte? Oder Bedienen verschiedener Klischees?
Der Aufbau des Films
96 Minuten lang wechseln sich im Film nun Sexszenen mit U-Bahnfahrten mit Hausarbeitsszenen ab – Staubsaugen, Wäsche abhängen, Einkäufe einräumen, Bad putzen …dazwischen einmal ein Gespräch mit der Schwester, einmal ein Gespräch mit früheren WG-Leuten, dann noch Lena bei der Verwaltung ihrer Kundendatei, und am Anfang und Ende eine ordentliche Einrahmung – Duschvorhang und Lena geht Duschen, Vorhang zu … in der Überdeutlichkeit der Botschaften so bemüht, dass es ein Overkill wird. Vorhang … Film beginnt, Vorhang … Film ist zu Ende und Lena dürfen wir nicht beim Duschen sehen, denn einige Dinge bleiben ja doch privat. Fehlen eigentlich nur erläuternde Untertitel, falls irgendjemand Interpretationsschwierigkeiten haben sollte. Ansonsten ist der Film durchgängig schwarz-weiß, die Ästhetik entspricht der bestimmter Sexfilme der 80er und frühen 90er Jahre, als uns diese hübschen schwarz-weißen Postkarten so gefallen haben ... eine Tasse, eine zerknüllte Serviette und daneben der Schatten der Jalousie – Altersfrage, manche erinnern sich vielleicht noch.
Im Publikum wurde gegähnt. Allerdings ist die Qualität des Films nicht wirklich Gegenstand unseres Interesses.
Die erste Sexszene erinnert an die Indie-Lesbenpornos, die wir im Studium vor 25 bis 30 Jahren zu sehen bekamen um zu beweisen, dass es auch den „guten“ (im ethischen Sinne), „unüblichen“ Lesbenporno und Pornos für Frauen gibt. Zunächst ist nicht klar, ob es eine Masturbationsszene mit einer Frau ist oder ob es sich um zwei Frauen handelt, jedenfalls stöhnt eine schöne junge schlanke Frau, die vom Gesicht abwärts gefilmt wurde, ermutigend und erreicht in einer ordentlichen Kurve ihren Orgasmus.
Die Freier
Damit wäre Thema eins angeschnitten: Seht ihr! Auch! Frauen! kaufen! Sex! Offenbar hat Lena zwei Kundinnen, Anna und Inga, und anders als die männlichen Käufer (ebenfalls durch Schauspieler oder Models dargestellt) sehen wir bei der einen stellvertretend hinein platzierten Frau nicht nur den Körper, sondern auch das Gesicht. Bei den Männern nicht. Warum? Die Frau verhandelt mit der Protagonistin über den Sex, ganz unbefangen und doch sehr ernsthaft und engagiert, in der Art, wie Schauspielerinnen in früheren Reklamen zu Menstruationsbinden Auskunft gaben, also ganz stolz darüber, dass alles übliche auf sie zutrifft. Wir dürfen ihr dabei zusehen, hier wie in der Sexszene ist ihr Gesicht zu sehen …. alles natürlich ganz modern und - aus dem Setzkasten der Coolität des Poststrukturalismus und der oberflächlich rezipierten Dekonstruktion bitte einsetzen – wahlweise provokativ oder subversiv oder transgressiv .. oder wie immer die Modewörter gerade lauten. Und sie hat die Ehre, dreimal vorzukommen, in der Szene zu Beginn des Films, beim Gespräch und noch einmal mit der gleichen Sexszene später. Bei den Männern sehen wir die Gesichter nie. Wir sehen (eine Ausnahme gibt es) wunderschöne trainierte Körper, knackige Hinterteile in Bildern, die an schwarz-weiß Kalender schwuler Ästhetik ebenfalls der 80er erinnern, bei einem bärtigen Kunden ist immerhin zu erkennen, dass er einen Kopf und ein Gesicht hat - aber das ist alles. Eine auffällige Unterscheidung.
Thema zwei – die Sexkäufer.
Vorangestellt: Ihnen wird der Film nicht gefallen. Denn Lena Morgenroth führt Buch, sie gibt Vornamen (ggf. durchnummeriert, Klaus 1, Klaus 2, Klaus 4 – Nummer drei ist wohl gegangen) in ihren Laptop ein und schreibt die Besonderheiten dazu.
Bedient werden nacheinander dabei zwei Klischees.
Einmal das Klischee des „einsamen Freiers“, der emotionale Nähe sucht, sich einmal richtig entspannen möchte, nach dem Sexakt weint und getröstet wird, ein Freier, der sich „in eine meiner Tantramasseurinnen verliebt hat“ – die Sorte Freier, die wohl Udo Gerheim in seiner Umfrage so beeindruckt hat, dass vorübergehend die gesamte Gewalt der Prostitution in den Hintergrund geriet. Frauen in der Prostitution, so ein gängiges Klischee, helfen den Einsamen, den Unverstandenen, den Schüchternen, den mit den ungewöhnlichen Begehren … und das bekommt seine eigenen Bild- und Textbausteine, Ästhetisierung, langsame Detailaufnahmen der Körper und der Handlungen der Protagonistin, wertschätzende Rhetorik.
Doch neben dieser sehr gängigen Romantisierung gibt es auch andere Klischees, die einzubauen sind. „Sexarbeiterinnen“ sind ja aktive, spritzige, witzige, moderne, emanzipative Frauen, und daher brauchen wir auch das Klischee der prostituierten, die meilenweit über ihren Käufern steht und sich über sie lustig macht. Daher die endlosen Ketten der Freier samt Namen und Vorlieben alphabetisch sortiert vorgelesen – sicher soll das auch die „Seriösität“ und „Professionalität“ der guten „sexuellen Dienstleistung“ darstellen – aber es soll auch gelacht werden. (Im Kino klappte das kaum, trotz des Cheerleaderlachens von Frances, Frau Henning und eines weiteren Paares.) Daher eine sehr geringschätzende Beschreibung eines älteren Kunden mit Herzschrittmacher – nicht dass es mich beunruhigt, wenn Freier negativ dargestellt werden, aber hier geht es um das Bedienen von Klischees. Auserwählt wird dafür eine gut geeignete Gruppe – der ältere Mann, unter Vertrauen auf Ageism, der Altersfeindlichkeit im vermuteten Publikums. Dazu ein Angeberanreiz – einer der Freier spritzt so weit ("lach"), also das Gesicht in Sicherheit bringen …. so kann auch mit der Gewalt oder demütigenden Praktiken wie Gesichtsfick umgegangen werden. Was wir nicht erfahren, ist warum manche Freier gesperrt wurden oder keine Rückrufe bekommen.
Die „Sexarbeiterin“
Einmal die Protagonistin selber. Zwischen dem Sex die Hausarbeit und zwei- oder dreimal die Protagonistin auf dem Sofa - in lockerem Shirt und bequemer Unterhose, am Anfang und Ende auf dem Weg in die Dusche, in der letzten Szene etwas sichtbarer – wir haben ja etwas gelernt über sie im Film – seht ihr, es ist eine ganz normale Frau, sie isst Müsli und liest sogar ein Buch, und seht ihr – massiv geschielt auf das dritte Lob der Klischees aus den aufgeklärten Kreisen: Ihr Körper ist ganz normal, sie hat ganz normale Oberschenkel, ein kleines Bäuchlein, etwas Zellulite und geht damit #echt #ganz #cool um! Unabhängig davon, dass nicht klar ist, was Menschen in der Prostitution anderes sein sollten als „normale Menschen“, bedient sich die Darstellung hier der Klamottenkiste eines permanent ich-bezogenen Verhältnisses zur Welt, die bei Einigen als Feminismus gehandelt wird.
Getrennt werden die verschiedenen Botschaften durch entweder Hausarbeit oder U-Bahnfahrten, gut möglich, dass diese U-Bahnfahrten jeweils "Übergänge" markieren sollen, die sich mir entzogen haben … es wäre ja auch nicht ganz so geschickt, die kollidierenden Freierklischees unmittelbar aufeinanderfolgen zu lassen.
Was nur in einem Nebensatz durchscheint (Fehler? Absicht?), ist die doppelte Rolle der Protagonistin im Prostitutionsgeschäft. Der Freier, der „sich in eine meiner Tantramasseurinnen“ verliebt hat. Schade, dass im Film Lena Morgenroths Geschäftsverhältnis zu „ihren“ Masseurinnen nicht weiter ausgeführt wird, die Tatsache, dass sie an der Prostitution anderer beteiligt ist, fällt doch sehr unter den Tisch.
Weniger unter den Tisch fallen Aussagen zu den anderen Frauen in der Prostitution. Hier herrscht massive Abgrenzung und -wertung vor. Der Begriff „Sexarbeiterin“ wird folgendermaßen erklärt: Prostitution hat viele Formen, von Stripperinnen zu Dominas zu irgendwelchen Anderen, es gibt große Qualitätsunterschiede, und daher gibt es viele Frauen, die sich mit dem Begriff der Prostituierten nicht identifizieren möchten – im Klartext, viele sind dafür zu edel, auch wenn es auf „andere“ zutreffen mag. Aber die müssen ja auch warten, bis die Kongresse und das Bundestagsstatement fertig sind, vorher können sich Frau Morgenroth und der Bundesverband erotischer und sexueller Dienstleistungen nicht um sie kümmern.
Weitere Beispiele: Die abfällige Kritik an anderen Frauen in der Prostitution und ihren Reaktionen auf angeblich dumme Fragen. Die Frage war wohl, ob Sex mit einem Partner nicht etwas anderes sei, über die Frauen, die dann geantwortet haben, dies sei so, wird abfällig gelacht – merke: Nur die wirklich coolen Mädchen dürfen bei diesem Club mitmachen.
Der Besuch bei früheren WG-Mitgliedern mit Kaffee und Kuchen, die alle ganz #unbefangen #damit #umgehen, was sich dann (in etwa) so äußert: „Massagen, das ist noch der sanfte Weg, man fühlt sich nicht gleich so dreckig, wenn man danach fragt.“ Dafür wird sehr betont, dass diese Sexarbeiterin zumindest zur Zeit keinen Genitalverkehr anbietet und sich auch nicht bei ihren Handlungen anfassen lässt.
Solidarität mit den anderen Frauen in der Prostitution ist ganz klar kein Gegenstand des Films.
Pseudo-feministische Klischees und sehr dünn verdeckte Wahrheiten
Die Sexkäuferin, die so schön über ihren Sex redet, die völlig „natürliche“ Darstellung der Figur der Protagonistin, die Witze über die Freier wurden schon genannt. Es fehlt nur die Rolle der „Sexarbeiterin“, der Frau in der Prostitution bei den sexuellen Akten. Zur Erinnerung: Prostitution bedeutet, dass sich jemand sexuellen Zugang zum Körper eines anderen Menschen erkauft, bzw. von diesem Menschen sexuelle Handlungen nach Anweisung an sich vornehmen lässt. Der Käufer bestimmt die Handlungen. Prostitution findet nicht in einem machtfreien Vakuum statt, sondern ist Ausdruck und Inszenierung von patriarchalen oder männlich-hegemonialen Ansprüchen gegenüber der Verfügbarkeit von Frauen, vom Anspruch auf einseitigen Sex mit Machtsetzung, von ökonomischer Macht von Männern über Frauen. Diese Grundzüge werden nicht dadurch aufgelöst, dass irgendeine Frau auf der Welt Sex kauft. Die Erinnerung ist nötig, um die angebliche selbstbestimmte Aktivität der „Sexarbeiterin“ im Film als das zu erkennen, was sie ist: Wunschdenken und Schönrednerei, hübsch dargestellt und möglich – solange ihr Kontext ausgeblendet bleibt. Denn ein aktives Bewegen, eine hingelegte Show ist keineswegs für sich genommen ein Beleg für Freiheit oder Selbstbestimmung. Im Gegenteil – sie kann besonders hässlicher Zwang sein. Zur Klarstellung ein höchstrichterliches Urteil des BGH aus dem Jahr 1966, als Sex noch als zu erbringende eheliche Pflicht gesehen wurde:
Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt. Wenn es ihr […] versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen. [...]
In der Kommentarliteratur konnte man 1984 folgende Hinweise zum Inhalt und der Bedeutung der Geschlechtsgemeinschaft finden, die so wohl auch in einem schlechten Sex-Ratgeber stehen könnten: „Dazu gehört der Austausch von Zärtlichkeiten vor und nach dem eigentlichen Geschlechtsverkehr, die Stimulierung des Partners für die Vereinigung und die Ausübung in einer auch für den Partner annehmbaren Art. […] Die Ehefrau soll den Geschlechtsverkehr nicht nur ‚über sich ergehen lassen’. Der Ehemann darf seine Frau nicht nur einseitig als ‚Objekt’ der eigenen Befriedigung‚ benutzen’. (8)
Mit anderen Worten: Theater gehört im Patriarchat dazu, auch wenn die Frau nichts empfindet, hat sie zu liefern und eine Show hinzulegen. So eine Show hat nicht mit Empowerment zu tun. Allerdings: Die Ehefrau darf nicht einseitig als „Objekt“ der eigenen Befriedigung benutzt werden …womit wir bei der wahren Bedeutung von Prostitution und ihren Auswirkungen auf alle Frauen ankommen. Frauen haben zur Verfügung zu stehen, aber bei manchen muss etwas aufgepasst werden. Bei den anderen gibt’s Geld.
Das ist weder feministisch noch in irgendeiner Weise akzeptabel.
Die ZuschauerInnen
Der Film läuft vor allem in kleinen Kinos mit künstlerischem und politischem Anspruch. An diesem Abend erreichte er in etwa 35 Anwesende, alle Altersklassen waren dabei und Männer und Frauen gleichermaßen vertreten. Interessierte rennen ihm also nicht gerade die Bude ein und Leute, die auf heißen Sex hoffen, werden angemessen enttäuscht.
In der anschließenden Diskussion zeigte sich vor allem, dass die meisten ZuschauerInnen den Film durchaus durchschauen. Auch wenn öfters betont wurde, dass der Film gegebenenfalls die Lebenswirklichkeit oder das Lebensgefühl der einzelnen Protagonistin zeigt, wurde doch in jeder Frage darauf hingewiesen, dass dies doch mit der üblichen Prostitution und damit mit der Lebenswirklichkeit fast aller Frauen in der Prostitution nichts zu tun hat.
In der Tat.
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(1) Ästhetisierung der Prostitution - Geschichte und Gegenwart Internationales Symposium. Veranstaltet vom Verein feministischer Diskurs, 4. und 5. März 2016, Wien. http://www.stoppsexkauf.at/ssk/wp-content/uploads/2016/02/Programm-.pdf (Zugriff am 27. 03. 2016), siehe auch: http://www.stoppsexkauf.at/aesthetisierung-der-prostitution/ (Zugriff am 27.03.2016)
(2) http://www.manuelstettner.de/SEXarbeiterin/ (Zugriff am 28.03.2016)
(3) http://www.manuelstettner.de/SEXarbeiterin/ (Zugriff am 28.03.2016)
(4) "Kleine Massage fällig" http://www.tagesspiegel.de/kultur/sobo-swobodniks-doku-sexarbeiterin-kleine-massage-gefaellig/10745962.html (Zugriff am 03.04.2016)
(5) http://www.malsehnkino.de/index.php?section=week&movieID=46899&date=2016-03-27&time=21:30 (Zugriff 03. April 2016) Frau Funk war für die Diskussion namentlich angekündigt und stellte sich dem Publikum als Frances und als Sexarbeiterin vor, Frau Henning ist die Leiterin von Doña Carmen und stellte sich ebenfalls vor. Daher halten wir eine namentliche Nennung für in Ordnung.
(6) Es sind: Eva Högl (SPD), die sich damals aus dem Publikum "Nazi-Vergleiche" gefallen lassen musste, obwohl sie immer eher auf der Seite der Sex Industrie stand, Sylvia Pantel (CDU) mit etwas unklarer Haltung und Cornelia Möhring (LINKE), die in ihren politischen Forderungen im Allgemeinen die Forderungen der Prostitutionslobby unmittelbar übernimmt.
(7) "Wir glauben, dass es gut für unseren Film ist, wenn wir uns von der voyeuristischen Distanz lösen, aus der normalerweise Beiträge zum Diskurs um Sexarbeit kommen."https://www.youtube.com/watch?v=8RpTo8Zj_pU (Zugriff 28. März 2016) - Fail.
(8) Zitiert nach Valérie Suhr / Dana-Sophia Va Sex in der Ehe als rechtliche Erwartung in Forum Recht 02/14 http://forum-recht-online.de/wp/wp-content/uploads/2014/06/FoR1402_54_Suhr-Valentiner.pdf
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