Mittwoch, 6. April 2016

"Ich habe bei keiner Fesseln an den Füßen gesehen"

Auseinandersetzungen mit LobbyistInnen der Sexindustrie anlässlich der Filmvorführung "Sexarbeiterin"

Public Domain
Am 25. März 2016 protestierte eine Gruppe von AktivistInnen unterschiedlicher Gruppen, die sich für eine Welt ohne Prostitution und für die Einführung des Nordischen Modells einsetzen, vor dem "Mal sehn" Kino in Frankfurt am Main.

Der Aufruf wurde unterstützt von Abolition 2014, Die Störenfriedas, Feministische Partei DIE FRAUEN, Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt, Initiative STOP Sexkauf!, Ladies Team e.V., , LISA Wiesbaden sowie Trauma & Prostitution - TraumatherapeutInnen für eine Welt ohne Prostitution und Einzelpersonen.

Anlass war die Vorführung des Filmes "Sexarbeiterin". Dieser Film porträtiert die "Arbeit" von Lena Morgenroth, die in Berlin ein Tantramassagestudio betreibt und im Studio Rex von Johanna Weber tätig ist. Wir haben an anderer Stelle eine ausführliche Filmrezension verfasst.

Für den Anschluss an die Filmvorführung war seitens des Kinos ein Fachgespräch mit dem Frankfurter Verein Doña Carmen organisiert worden. 

Vor Filmbeginn haben wir vor dem Kino Flyer und abgedruckte Freierzitate verteilt. Wir haben Gespräche mit BesucherInnen des Filmes geführt, um zu verdeutlichen, dass der Film nicht nur als einzelnes Statut resp. Kunstwerk betrachtet werden kann, sondern eine Pseudo-Wirklichkeit des Systems Prostitution zeichnet, die in keiner Weise der Realität der ihr inhärenten Ausbeutung, Gewalt und Schädigungen, die die Mehrheit der Frauen dort erleidet, entspricht. Wichtig war uns zu betonen, dass der Film nicht politisch ent-kontextualisiert werden kann, da er als Propaganda-Mittel der Sexindustrie funktioniert und offensichtlich fungieren soll: Die Macher - allesamt männlich - sprechen sich explizit gegen den nordischen Ansatz aus, weshalb er auch als politisches Statement verstanden werden muss.

Die drei VertreterInnen von Doña Carmen passierten uns vor der Filmaufführung und pöbelten dabei gegen eine von uns, da sie Parteimitglied der LINKEN ist und sich schon lange gegen die Sexindustrie und deren Lobby engagiert. Man lud uns in aller Deutlichkeit ein, nach dem Film mit ihnen zu diskutieren.

Den ersten Redebeitrag nach der Filmvorführung hielt ein Besucher, der seine Skepsis kundtat. Fragend merkte er an, dass doch hier nicht das Bild einer "typischen Prostituierten", sondern im Prinzip das einer Masseurin gezeigt worden sei und dieses Porträt seinem Gefühl nach nicht der Wirklichkeit von Frauen in der Prostitution entspreche. Aus seinem Eindruck formulierte er die Frage nach der Einschätzung von Doña Carmen.

Die gleiche Frage, also sinngemäß: "Sind das Leben und die 'Arbeit' von Lena Morgenroth repräsentativ für die Mehrheit der Menschen in der Prostitution?", wurde von mindestens zwei weiteren BesucherInnen gestellt. Die MitarbeiterInnen von Doña Carmen gaben darauf keine konkrete Antwort, sondern lenkten mit Hinweis auf die - sinngemäß wiedergegeben - "Diversität" der "Sexarbeit" von einer Positionierung dazu weg. Ein so genanntes mehrheitliches Bild gebe es nicht, denn es gebe zu viele unterschiedliche Formen des Sexgewerbes. Und: Der Film sei unglaublich gut.


Doña Carmen hatte in einem Interview die Hells Angels als "kreuzbrav" bezeichnet. Mit Verweis auf diese Aussage bat eine Besucherin die VertreterInnen von Doña Carmen zu einer Stellungnahme, wie sie angesichts der Involviertheit der Hells Angels in das organisierte Verbrechen, bekanntermaßen auch im Rotlichtviertel Frankfurts, heute zu dieser doch etwas bagatellisierend anmutenden Ansicht stünden. Juanita Henning, Mitbegründerin von Doña Carmen, holte zu komplizierten Erklärungen zu den Steuerproblemen der Bordelle und Bordellchefs und der Anwesenheit einzelner Hells Angels in den Bordellen aus und sprang zwischen den beiden Themen so unklar hin- und her, dass schließlich, wie eine Besucherin anmerkte, der deutliche Eindruck entstand, bei den Hells Angels handele es sich lediglich um eine Art motorradbasierte Gruppierung zur Steuereintreibung für die hessischen Finanzbehörden.

Der Zusammenhang ist nicht ganz so absurd, wie es scheint. Finanzbehörden verlangen tatsächlich Steuern, und bei den Hells Angels gibt es immer wieder den Verdacht, sie verlangen andere, im neo-liberalen Jargon wohl als "unsystematisch" zu bezeichnende Steuern - sprich Schutzgelder. Zwischenrufe des Publikums, dass Doña Carmens Einschätzung zu den Hells Angels doch reichlich relativierend sei, wurden mit den gleichen widersprüchlichen Argumenten quittiert.

Die Frage, ob die Kritik an dem Urteil des Bundessozialgerichts, dass Jobcenter nicht in die Prostitution vermitteln dürfen (Begründung: Prostitution ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde) als Diskriminierung des Berufs Sexarbeit" so zu verstehen sei, dass Doña Carmen der Meinung sei, dass Frauen, die dies ablehnen, zu sanktionieren seien, wurde beantwortet mit einer Verbalattacke des Begleiters von Frau Henning auf die fragende Kinobesucherin, indem er ihr vorhielt, die Stellungnahme von Doña Carmen nicht richtig gelesen zu haben. Einige junge Männer aus dem Publikum kamen hier unserer Kinobesucherin zu Hilfe und gaben sich mit gegebener Antwort nicht zufrieden, sondern wollten die Stellungnahme von Frau Henning noch einmal hören. Dies erlaubte der Begleiter nicht und holte stattdessen mit den Worten "Entschuldigung, dass ich als Mann geboren wurde" erneut aus. Er fuhr mit seinen Ausführungen fort, indem er sagte, dass Prostitution selbstverständlich in die Jobvermittlung der Jobcenter gehöre, jedoch ihrer Meinung nach den Frauen "natürlich" ein "Verweigerungsrecht" eingeräumt werden solle. Wieso es hier aber dann eine Sonderrolle für diesen "Beruf" geben solle (Stichwort der Gesetzgebung "Jede Arbeit ist zumutbar"), wurde allerdings nicht erklärt. Außerdem entspricht dieser Ansatz einer allgemeinen Vermittlung bei individuellem Verweigerungsrecht dem gesamten Vorgehen zum Thema Prostitution seit 2002 und neo-liberalen Ansätzen: Allgemeine Gesetze zum Schutz einer ganzen Gruppe werden gestrichen und durch individuell formulierte Passagen ersetzt. Diese Einzelrechte müssen dann aber auch individuell durchgesetzt werden, von Personen, die sowohl den Ämtern gegenüber als auch im Rechtssystem als auch im System der Prostitution die absolut schwächste Position haben.

Weitere Fragen betrafen die faktische Verschlechterung der Situation von Menschen in der Prostitution oder Bereiche, die durch das Gesetz von 2002 in der Praxis absolut nicht verbessert wurden. Dies betrifft vor allem das Thema der Krankenversicherungen. Das Gesetz sollte ja explizit den Zugang zu verschiedenen Versicherungen ebnen. Gewünscht war, dass die Frauen und Männer in der Prostitution endlich in die Sozialsysteme einzahlen sollten. Da es im Gewerbe so gut wie keine sozialversicherungspflichtigen Stellen für die prostituierten gibt, bleibt in der Praxis nur die Versicherung über einen anderen Job (bei Verschweigen der Tätigkeit) oder über eine private Krankenkasse. Gleichzeitig wurden aber z. B. in Hamburg auf einem Flyer zur Beratung von Menschen in der Prostitution STDI und auch Aids als Berufskrankeiten bezeichnet. Dies ermöglichte es vor allem privaten Kassen, horrende Aufschläge zu verlangen. Juanita Henning passte hier bei ihrer Aussage offenbar nicht auf, denn nach Grundsatzerklärungen zu gesetzlichen und privaten Kassen gab sie unserer Auffassung, dass Prostitution schon auf Grund der Gefahr von zum Teil tödlichen Geschlechtskrankheiten kein Beruf wie jeder andere sein kann, in folgendem Statement implizit recht: Sie beklagte, dass private Krankenkassen unbezahlbar für Prostituierte seien, weil letztere das Berufsrisiko der STDI tragen. Sie sagte außerdem, dass "Männer in der Umgebung der Frauen" oder "ihren Familien" die Frauen oft unter falschen Angaben anmelden, um diese Aufschläge zu sparen, was die Frauen wiederum den Versicherungsschutz bzw. die Versicherung kosten kann. Nun hätten wir für diese "Männer" einen anderen Begriff, wir nennen so etwas Zuhälter, aber in der schönen Welt der freiwilligen Sexarbeit gibt es so etwas ja angeblich nicht mehr oder nur sehr selten. Gleichzeitig sehen wir den neuen Gesetzesvorschlag aus abolitionistischer Perspektive kritisch, da er unter "Gesundheitsberatung" auch eine Aufklärungspflicht über die Verpflichtung zur Krankenversicherung enthält - ohne, dass es dafür befriedigende Ansätze zur Bezahlung oder Umsetzung gibt.

Sehr rasch lenkte Doña Carmen auf das kürzlich durch das Bundeskabinett gewunkene Prostituiertenschutzgesetz. Doña Carmen zeichnete in diesem Zusammenhang den Vergleich der Meldepflicht mit der Zwangsregistrierung in der Nazi-Zeit. Ein Vergleich, der integraler Bestandteil der Rhetoriken der Sexindustrie-Lobby ist und von einer Zuschauerin mit Verweis auf historische Fakten korrigiert werden wollte. Diese Hinweise wollte Doña Carmen nicht hören und erklärte der Moderatorin (die Vertreterin des Kinos), dass sie lediglich Fragen des Publikums dulde, aber eben keine reinen Redebeiträge, denn schließlich seien sie es, die die Fachexpertise zu diesem Thema am Abend stellten. Kurzum wurde die Forderung an die Moderatorin herangetragen, KritikerInnen mundtot zu machen. Davon ließ sich die Moderatorin jedoch nicht beeindrucken.

Der Verweis auf die Gewaltseite der Prostitution (Gesundheitsschädigungen, Vergewaltigung, Mord) beantwortete Doña Carmen lapidar mit der Behauptung, dass Gewalt in der Prostitution nur "marginal" sei: eine interessante Einschätzung angesichts der Aussagen von Überlebenden der Prostitution und diversen psychologischen Studien, die die massiven Schädigungen, die die Prostitution anrichtet, bezeugen und belegen[1] sowie der weltweit zahlreichen Morde an Frauen in der Prostitution.

Ein Mann fragte, ob er bei den Frauen jemals Anzeichen von Zwang bemerkt hätte. Gerhard Walentowitz, Gründungsmitglied von Doña Carmen, erzählte diesbezüglich, er habe prostituierten Frauen Deutschunterricht erteilt und bei keiner "Fesseln an den Füßen gesehen." Walentowitz legte generell ein sehr penetrantes Verhalten an den Tag. Auf seine Beschwerde, warum er nicht dran käme, antwortete die Moderatorin dann irgendwann: "Weil Sie so aggressiv sind." Seine Definition von Zwang - an den Füßen müssten also Fesseln sicher sein - mag zwar überspritzt intendiert gewesen sein, trifft aber den Kern des Problems "Zwang": In der Praxis legen VertreterInnen der Pro-Prostitutionslobby die selben Kriterien an wie die gültige Rechtslage zu Zuhälterei und teilweise auch Menschenhandel, und wie allgemein bei sexueller Gewalt - die Opfer müssen einzeln nachweisen, inwiefern Zwang vorlag, und ohne "Fesseln an den Füßen" samt Zeugen haben sie kaum eine Chance. 

Die Frage, was sich seit der Liberalisierung des Sexgewerbes 2002 in Deutschland geändert habe, beantwortete Doña Carmen enthusiatisch: Heute könnten Bordellbetreiber endlich ihre Räume verschönern und beispielsweise Tannenbäume in Bordellzimmern aufstellen, früher wäre das unter die Förderung der Prostitution gefallen. Zynisch ist das mindestens: Werden 5 bis 10-fache Penetrierungen, die eine Frau in der Prostitution täglich über sich ergehen lassen muss, nun plötzlich angenehm, weil ein Nadelbaum in ihrem schnuckeligen Bordell-Räumchen steht? 

In der Diskussion wurde jedes auch noch so abgedroschene Klischee bedient, so zum Beispiel die Aussage, dass Prostitution befreiend für die Frau sei oder die Frage an ProstitutonsgegnerInnen, ob sie überhaupt jemals in ihrem Leben Sex hatten (gähn).

Dafür, dass alle drei VertreterInnen schon seit Jahrzehnten Lobbyarbeit für Prostitution machen, war ihre Argumentation erschreckend inkohärent und inhaltlich schwach. 
Nachdem sich kritische Fragestellungen aus dem Publikum häuften, verließ eine Vertreterin von Doña Carmen den Kinosaal mit den Worten, dass sie nicht mit "Prostitutionsgegnern" diskutieren könne/wolle.


[1] auszugweise z. B.

1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank für diesen Artikel und euer Engagement für Frauenrechte und - logische Konsequenz - eine Welt ohne Prostitution!

    Übrigens: Wisst ihr, dass die Kommunistische Partei Spaniens (Partido Comunista de España, PCE) klar für die Abschaffung der Prostitution eintritt?

    Siehe hier (ein ausgezeichneter Text!):

    http://www.pce.es/secretarias/secmujer/pl.php?id=5791

    Vielleicht könntet ihr den Text ins Deutsche übersetzen und ihn so einem deutsch-sprachigen Publikum zugänglich machen...?

    Viele Grüße!

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