Donnerstag, 10. Juli 2014

Entgegnung auf Gesine Agena

GesineAgena Sprecherin Gruene Jugend
Gesine Agena von WurmPaul (Eigenes Werk)
[CC-BY-SA-3.0 oder GFDL],
via Wikimedia Commons
In der Reihe von Pro-Prostitutions-Artikeln, die derzeit auf dem Böllblog unter den Stichworten "differenziert" und "Debatte" veröffentlicht werden, war vorgestern Gesine Agena dran. Sie ist frauenpolitische Sprecherin der Grünen. Wieder mal werden aus den Handlungsüberlegungen alle diejenigen ausgeblendet, die nicht dem Ideal der "selbstbestimmten Sexarbeiterin" entsprechen. Hier meine Entgegnung, die ich zuerst als Kommentar gepostet hatte, der aber (noch) nicht freigeschaltet worden ist.

Sehr geehrte Gesine Agena,

hiermit haben Sie Recht: “Der Tatsache, dass es Prostitution gibt, und dass Frauen sich entscheiden in diesem Bereich zu arbeiten, kann man nicht begegnen, indem man diese Frauen stigmatisiert, kriminalisiert oder sie zu fremdbestimmten Opfern macht und ihnen die Entscheidungsfähigkeit abspricht.” Deswegen bedeutet die Einführung des Nordischen Modells genau das: die Frauen können selbst entscheiden, was sie wollen. Sie bekommen aber auch Möglichkeiten auszusteigen. Ausstiegsprogramme gibt es derzeit nämlich lächerlich wenige. Die einzigen, die bestraft werden sollen, sind die Freier. Denn sie schaffen mit ihrer Nachfrage einen Markt, der auf Gewalt aufbaut.

Deswegen verstehe ich nicht, warum sie einerseits die Gewalt anerkennen (“Es geht nicht darum zu leugnen, dass die psychischen und physischen Belastungen in diesem Berufsfeld hoch sind und das Umfeld oft von Gewalt geprägt ist.”), andererseits aber dafür plädieren, die Frauen in einem solchen Umfeld zu halten. Insbesondere, wenn sie zuvor für die bessere Förderung von Frauenhäusern plädieren. Beides mal parallel gesetzt, würde das bedeuten, dass sie stattdessen für misshandelte Frauen eine bessere Stärkung und Verbleib in der gewalttätigen Partnerschaft fordern müssen. Weil es ja vom Partner mißhandelte Frauen gibt, die bei dem Partner bleiben.

Die anderen, die, die rauswollen, bleiben in ihrer Rechnung ohnehin außen vor. Wie bei sämtlichen Pro-Prostitutionsbeiträgen Usus, wird sich auch hier nur auf die Frauen fokussiert, die in dem System bleiben wollen. Was ist mit all denen, die es NICHT wollen? Müssten sie nicht in das Zentrum der Debatte rücken? Warum werden sie bestenfalls in einem Halbsatz erwähnt, nie aber zum Maßstab für Handlungsüberlegungen genommen? Mit welcher empathischen Blindheit sind Sie geschlagen?

Erzwungener Sex ist Vergewaltigung. Ob das durch Drohungen, Gewalt, Erpressung, Manipulation oder strukturelle Zwänge ist. Und bei Prostitution soll das plötzlich nicht mehr gelten? Für Frauen in der Prostitution soll plötzlich ein anderer Maßstab gelten? Damit bricht sich durch die Hintertür der Selbstbestimmungsrhetorik zutiefst bigotte bürgerliche Hurenabwertung: letzteren werden in der hochakademischen und zugleich ent-empathisierten Pro-Prost-Debatte nicht dieselben moralischen Rechte zugesprochen, wie den weißen Akademikerinnen, die hier in gedankenfauler Sattheit ein System verteidigen, das sie meilenweit entfernt von ihrer Lebenswirklichkeit wissen. Aber die Bequemlichkeit zahlt sich aus, denn so ist man bei den Grünen auf Parteilinie. Alles nachvollziehbar. Aber hören Sie doch bitte auf, das als Haltung zu verkaufen.

Und ich hätte gerne noch erklärt bekommen, was “moralisierend” ist. Worauf bauen gesellschaftliche Handlungsmaßstäbe Ihrer Meinung nach auf, wenn nicht auf moralischen Überlegungen?

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