Dienstag, 2. Dezember 2014

Tanja Rahms Rede beim International Abolitionist Congress in Paris 2014

Foto: Tanja Rahm
Tanja Rahm, Prostitutionsüberlende, Therapeutin, Autorin und Aktivistin, hielt beim diesjährigen International Abolitionist Congress in Paris diese Rede. Mit ihrer freundlichen Genehmigung veröffentlichen wir hier eine deutsche Übersetzung.

Nach 3 Jahren in der Prostitution wäre ich fast aus dem Fenster eines 3. Stocks gesprungen. So hat sich Prostitution für mich angefühlt - dass ich nichts hatte, wozu ich leben sollte. Ich wurde so viele Male vergewaltigt, dass da fast nichts mehr von mir übrig war - weder innerlich noch äußerlich. Ich war nichts. Ich war nichts wert. Ich fühlte mich komplett wertlos. Ich war eine Maschine zur Belustigung anderer Leute und ihrer Gelüste und ihrer perversen Ausbeutung.

Ich habe 9 Jahre in Therapie verbracht, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Und obwohl ich anhaltend über die in der Prostitution erfahrene Gewalt spreche, muss ich dennoch mit den Traumata und den Retraumatisierungen leben. Aber wir, als Überlebende, müssen das. Wir müssen dabei bleiben, über die Gewalt zu sprechen, damit niemand jemals vergisst oder niemand dahingehend manipuliert wird, dass Prostitution auch nur annähernd etwas ist, das man als Sexarbeit definieren kann.

Prostitution ist eine Massenindustrie, die sich am Gebrauch und Missbrauch aussichtsloser Lebensumstände bedient. Es ist ein soziales Phänomen, in dem Bordell-BesitzerInnen, Sexkäufer und MenschenhändlerInnen, die auf Kosten der Verzweiflung von Menschen - es geht um einfaches Überleben und wirtschaftliche Sicherheit - den größten ökonomischen Profit erzielen. Die Käufer sind die direkten Verursacher jener Ausbeutung, die in der Prostitution stattfindet. Sie sind es, die das Angebot an neuen, jungen, unschuldigen Mädchen und Frauen nachfragen.

Den Begriff Sexarbeit zu benutzen, ist eine Art zu glorifizieren, was in der Prostitution passiert und es ist eine Art und Weise, die Gesellschaft dazu zu verleiten, zu glauben, dass Prostitution eine freie Wahl ist und dass du sie mit anderen Berufen vergleichen kannst. Der Begriff "Sexarbeit" zielt darauf ab, die durch die Prostitution verursachten Schäden zu ignorieren und zu normalisieren. Den Begriff Sexarbeit zu benutzen ist eine Verletzung grundlegender Menschenrechte. Weil der Begriff Sexarbeit darauf abzielt, den Fokus von den Schäden, der Ausbeutung und dem Missbrauch wegzunehmen, der in der Prostitution stattfindet, anstatt die Kommerzialisierung zu beleuchten, die mehr und mehr vorherrscht, insbesondere wenn es auf Frauenkörper und Sexualität hinausläuft.    


Die  Prostitutions-Lobby spricht über Prostitution als ein Teil der sexuellen Befreiung von Frauen. Sie konstatiert, dass die Entscheidung, in die Prostitution zu gehen, individuell ist und dass sie ein Ausdruck des Rechts von Frauen ist, mit ihrem Körper zu machen, wonach ihnen beliebt. Sie beschreiben Prostitution als ein Weg für Frauen, selbst zu  entscheiden, wenn es um die Kapitalisierung menschlicher Sexualität geht. Das Problem ist, dass sie das auf Kosten aller Frauen in der Welt tun. Sie entscheiden sich für die generelle Kapitalisierung weiblicher Sexualität.

Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen Prostitution und sexueller Befreiung. Ich betrachte Prostitution als unterdrückend und als ein Fehlen der Erkenntnis, dass Frauen das Recht auf ein Leben haben, in dem ihre Sexualität nicht kommerzialisiert wird. Und in dem die Gesellschaft sich um die Menschen kümmert, die ausgebeutet, missbraucht und an den Rand gedrängt werden. Die Gesellschaft sollte Verantwortung für die Menschen übernehmen, die nicht die Wahl haben und für jene, die in der Debatte um Prostitution keine Stimme haben.  Frauen, die wirklich die Wahl haben, haben auch die Möglichkeit, sich für etwas anderes zu entscheiden. Viele Frauen haben keine Wahl.

Prostitution ist ein Käufer-Markt. Prostitution basiert auf den Verkaufsbedingungen der Käufer. Prostitution existiert in den Händen Krimineller. Prostitution ist ein Bereich, der gehandelte Menschen beherbergt, verletzliche Menschen, selbst-verletzende Menschen, arme Menschen und Menschen in unterschiedlichen Missbrauchs-Situationen. Die Mehrheit der Menschen in der Prostitution kann in diese Gruppen eingeteilt werden.

Am 18. November gründe ich eine Survivor-Gruppe in Dänemark. Keine der Frauen, mit denen ich in Kontakt bin, versteht dieses Bild, dass die Sex-LobbyistInnen von der Prostitution gemalt haben, die Sexarbeit und sexuelle Befreiung sein soll. Diese Frauen sprechen über Prostitution als ein Teil von Überleben, destruktivem Verhalten und dem Fehlen von Alternativen.

Prostitution kann weder mit Sex noch mit Arbeit verglichen werden, weil die sexuelle Dienstleistung nur unter der Prämisse der Käufer stattfindet und weil kein Rechtsanspruch oder Gewerkschaftsrecht den Schutz vor der Gewalt und den sexuellen Übergriffen gewährleisten kann, die in der Prostitution stattfinden.

Eine dänische Studie aus dem letzten Jahr hat gezeigt, dass die Männer, die Sex kaufen, immer jünger und jünger werden. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Normalisierung der Objektifizierung von Frauen und der liberalen Haltung, Sex zu kaufen. Die Akzeptanz der Kommerzialisierung von Frauenkörpern reduziert Frauen zu Sachen, die ge- und verkauft werden können.

Überlebende der Prostitution haben gesehen und erlebt, wie die Käufer eine herablassende Haltung und ein Nichtvorhandensein von Respekt gegenüber der Frauen haben, die sie kaufen. Das ist so, weil die Sexkäufer komplett anonym bleiben können und nicht verantwortlich für ihre Taten gemacht werden können. Wir reden über nette Ehemänner, liebende und umsorgende Daddys, die Seiten ihrer Persönlichkeit zeigen, die vor allen anderen in ihrem alltäglichen Leben verborgen sind. Seiten, die sie nur gegenüber Menschen am Boden der Gesellschaft zeigen. Jene, die am verletzlichsten, beschämt und an den Rand gedrängt sind. Die Prostituierten.

Ich habe nie, weder in meinen 3 Jahren in der Prostitution noch in den vieren, in denen ich in die Öffentlichkeit gegangen bin,eine getroffen, die auf Basis freier Entscheidung in der Prostitution war. Keine der Frauen, mit denen ich in Kontakt bin, redet von Prostitution als sexueller Befreiung. Und keine von ihnen spricht über Sex, Lust oder gesundes Leben in der Prostitution.

Worüber sie sprechen, ist der Schaden, der Schaden, der wie ein Schock kam, als sie noch in der Prostitution waren oder als sie aus der Prostitution ausgestiegen waren. Sie reden von Depressionen, Ängststörungen, Suzidgedanken, PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) und von großen Problemen hinsichtlich der Befähigung, intime Beziehungen einzugehen. Beziehungen mit Männern und insbesondere Problemen mit Intimität und Sexualität.  

Die Akzeptanz einer Industrie, in der Millionen von Menschen weltweit missbraucht und ausgebeutet werden ist das Gleiche wie alles Recht von Frauen zu ignorieren auf ein Leben unter sicheren Bedingungen und ohne objektifiziert oder kommerzialisiert zu werden. Prostitution betrifft alle Frauen und nicht nur die in der Prostitution. Eine gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution ist eine Unterdrückung aller Frauen als gleichwertiger Mensch.

Ich finde es interessant, dass sich die Prostitutionsdebatte ständig auf die Prostituierten und ihre freie Wahl bezieht. Ist es nicht an der Zeit, die Käufer in den Blick zu nehmen und das Licht auf jene zu werfen, die Menschen systematisch Gewalt und sexuellen Übergriffen aussetzen? Wo sind sie? Warum sprechen sie nicht über ihre Entscheidung, sexuelle Dienstleistungen zu kaufen? Warum sprechen sie nicht mehr in der Öffentlichkeit? Warum erzählen sie ihren Ehefrauen und ihren Familien nicht, was sie tun? Warum erzählen sie nicht von ihrem aggressiven Verhalten gegenüber Prostituierten? Warum erzählen sie nicht von ihrem gewaltvollen Handeln gegenüber Prostituierten? Warum erzählen sie nicht von ihren permanenten Versuchen, die Grenzen und Schranken der Prostitution zu übergehen?  

Weil sie wissen, dass keine Gesellschaft diese Taten akzeptieren würde, wenn sie von den Käufern berichtet würden. Aber wenn Frauen mit Erfahrungen in der Prostitution von diesen Handlungen erzählen, dann ist es schwierig, Menschen Glauben zu machen, dass das ganz real in der Prostitution geschieht.

Prostitution hat nichts mit dem Recht zu tun, zu entscheiden, was man mit dem Körper tut. In Wirklichkeit entscheidest du nichts in der Prostitution. Gut, vielleicht bestimmst du einen Preis, vielleicht wirst du es nicht anal machen und vielleicht wirst du es nicht ohne Kondom machen. Aber an den Grenzen angekommen, sind sie leicht zu übergehen, und die Käufer werden alles tun, um sie zu überlatschen, weil das eins der Dinge ist, was sie wirklich anmacht. Es macht sie an, festzustellen, wie einfach es ist, die Prostituierten dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie nicht wollten oder mit denen sie nicht einverstanden waren, weil er einfach die ausreichende Menge Geld hatte.

Das ist Ausbeutung - das ist männliche Macht. Das ist das, was manche Menschen Sexarbeit nennen. Ich habe noch nie von irgendeiner anderen Beschäftigung gehört, in der du dich von dem abspalten musst, was du tust. Aber in der Prostitution musst du dissoziieren, weil kein Mensch so viel Verletzung erträgt.

In der Prostitution ging es nie um die Prostituierten; in der Prostitution geht es um das Recht von Männern, Frauen zu schaden. Sexkauf degradiert den Wert aller Frauen.

Verbietet den Erwerb von Sex - das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Wenn nicht  für dich und mich, dann für unsere Kinder und die Sicherheit unserer Töchter. Sie haben nicht nach dieser Form der Verletzung gefragt und wir sind in der Lage, sie davor zu schützen, objektifiziert, kommerzialisiert, kommodifiziert und zu Maschinen degradiert zu werden, unterworfen zu werden, um männliches sexuelles Eigentum zu werden.

Niemand träumt davon, eine Prostituierte zu sein. Prostitution ist keine Wahl. Sie ist ein Fehlen von Möglichkeiten. Platziert die Verantwortung dorthin, wo sie hingehört. Lasst die Käufer verantwortlich sein für ihre Taten, indem wir sie kriminalisieren. Das ist der einzige Weg, die Menschen zu schützen, die in der Sexindustrie ausgebeutet werden.  

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