Der nachfolgende Beitrag der Autorin Elfie Resch wurde in der Krampfader - Kasseler FrauenLesbenzeitschrift, veröffentlicht. Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Krampfader-Redaktion.
Sie sitzt auf der Band vor ihrem Haus und wartet auf die Mitfahrgelegenheit zur Gedenkveranstaltung nach Mauthausen.
Seit etwa 10 Jahren fuhr sie nicht mehr mit dem Bus, der vom Bezirk organisiert wird.
Damals war sie einer Gruppe junger Frauen begegnet, die vor der Bordellbaracke einen Kraz niederlegten. Zum ersten Mal in all den Jahren wurde der Frauen gedacht, die in der Hoffnung hierher gekommen waren, durch eine kurze Zeit im Bordell, ihre Freiheit wieder zu erlangen.
Sie waren ihnen nachgegangen zum Kinder- und Jugenddenkmal. Einige der jungen Frauen hatten am Projekt mitgearbeitet und so die Ausstellung ermöglicht. Da sie nicht die Möglichkeit hatten, die Gedenkfeier für die Frauen im KZ Mauthausen vor oder in der Bordellbaracke abzuhalten, wählten sie den Platz beim neuen Denkmal. Es berührte sie, mit welcher Achtung sie über die Frauen redeten, die Erniedrigung begriffen und als Gewalt an den Frauen darstellten.
Sie war so beeindruckt, dass sie die Zeit vergaß und ihren Bus versäumte. Sie machte sich auf den Weg über die steile Straße in den Ort Mauthausen, zum Bahnhof. Glücklicherweise ging der Weg nur bergab. Doch es waren schon einige Kilometer die sie vor sich hatte. Als sie ein Auto hinter sich hörte wich sie an den Straßenrand aus. Der VW-Bus blieb neben ihr stehen. Die Frau auf dem Beifahrersitz fragte ob sie mitfahren wolle. Erfreut stieg sie ein. Während der Fahrt wurde sie nach ihrem Ziel gefragt. Sie erzählte vom versäumten Bus und der Absicht mit der Bahn nach Hause zu fahren. "Wenn Sie an der Strecke nach oder in Wien wohnen, können Sie gerne mit uns fahren. Wir machen noch eine Rast an der Donaulände, dann fahren wir zuück."
Dieses Angebot nahm sie gerne an. Es war eine angenehme Fahrt. Die Frauen sangen Arbeiterinnenlieder und Frauenlieder und sie sang freudig mit. Sie tauschten Adressen und Telefonnummern aus und vereinbarten ein Wiedersehen. Obwohl sie es nicht zu hoffen wagte, im nächsten Jahr meldeten sich die Frauen und fragten ob sie wieder mit ihnen fahren wolle. Sie wollte.
Nie war sie gefragt worden, warum sie an der Gedenkfeier teilnahm. Und sie hatte es nie jemandem erzählt. Ihre Zeit in Ravensbrück und Mauthausen wollte sie am liebsten vergessen. Schon bald wurde ihr klar, dass ihr dies nie möglich sein werde. Aber darüber reden konnte sie nicht. Selbst ihren Kindern hatte sie diese Erlebnisse verschwiegen. Sie sollten frei und unbeschwert aufwachsen.
Nach der Befreiung aus dem KZ kam sie über Umwege nach Wien. Keines ihrer Familienmitglieder fand sie wieder, keiner hatte überlebt, sie musste sich allein ein neues Leben aufbauen.
Sie fand Arbeit in einer Fabrik. Bald hörte sie einfach nur weg, wenn ihre Kolleginnen von ihren Kriegserlebnissen erzählten. Einmal hatte sie versucht über die Gräuel zu reden, die die KZ-Insassen erleiden mussten. Die Kolleginnen taten dies mit dem Spruch: "So schlimm wird es schon nicht gewesen sein, die haben ja überlebt", ab. "Aber wir, wir hatten nichts zu essen und mussten die Bombennächte durchstehen. Unsere Männer sind im Krieg geblieben und dann kamen die fremden Soldaten und wir mussten uns verstecken. Das war fürcherlich."
Da ging sie einfach weg, wenn das Gespräch wieder auf die Kriegsgeschehnisse kam.
Als sie ihren Mann kennenlernte, zog sie nach der Heirat in sein Elternhaus in der Nähe von Wien. Da wähnte sie sich in Sicherheit. Hier kannte sie keiner. Sie lebte sich gut in der Dorfgemeinschaft ein, engagierte sich beim Gesangsverein und in der Kindergruppe.
Vor zwanzig Jahren zog ein Mann mit seiner Familie ins Dorf. Sie hatte ihn sofort als einen der privilegierten Häftlinge erkannt, der das Bordell besuchen durfte.
Oft erzählt er im Gasthaus von seiner Zeit im KZ. Die Frauen aus der Bordellbaracke nannte er Huren und hielt mit seiner Verachtung für sie nicht hinter dem Berg.
Sie versuchte ihm nicht zu begegnen. Zog sich aus der Dorfgemeinschaft zurück, besuchte die Veranstaltungen nicht mehr. Kaufte auch kaum noch im Ort ein. Ihr Mann und ihre Kinder verstanden ihre Veränderung nicht. Sie konnte und wollte ihnen nicht erzählen warum sie so handelte.
Etwas Zeit blieb noch bis zum Zeitpunkt an dem die junge Freundin sie abholen wollte. Sie blätterte in den Dorfnachrichten, die sie aus ihrem Postkasten gefischt hatte.
Eine Todesanzeige!
Was sie las raubte ihr für einen Moment den Atem. Dann rannen Tränen der Erleichterung über ihre Wangen. Ein Lachen gurgelte aus ihrer Kehle. Lachen und weinen. Scham ob der Freude und Erleichterung die sie empfand, wühlten sie auf. Sie war frei! Der letzte Zeuge ihrer Erniedrigung war verschwunden. Niemand konnte ihre Vergangenheit mehr aufdecken.
Das Auto hielt neben ihr. Sie stieg ein. Noch immer aufgewühlt umarmte sie ihre junge Freundin.
Es sprudelte aus ihr heraus. Sie erzählte zum ersten Mal einem anderen Menschen, was sie ihr ganzes Leben vor anderen versteckt, in sich eingeschlossen hatte. Die ganze Fahrt redete sie sich das Erlebte von der Seele. Im Vertrauen, dass die Freundin ihr Geheimnis bewahren würde.
Die hörte nur zu. Nach dem Abstellen des Autos lagen sie sich lange wortlos in den Armen. Genossen die gegenseitige Wärme und den Trost aneinander.
"Danke, sagte die Junge, "danke, für dein Vertrauen."
Sie stiegen aus. Hand in Hand gingen sie zu den Freundinnen und reihten sich in den Zug zur Gedenkfeier vor dem Tor des KZ Mauthausen ein.
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