Sonntag, 11. Mai 2014

Huren, Ehefrauen und Freier – eine patriarchale Dreieicksbeziehung

Achterdam alkmaar
H.Loper aus nl [GFDL oder CC-BY-SA-3.0],
vom Wikimedia Commons
Bürgerliche Frauen haben schon gegen vieles und für vieles gekämpft – gegen die Sklaverei und für das Verbot von Alkohol zum Beispiel, beides mit zum Teil großem Erfolg. Aktuell kämpfen einige von ihnen wieder für ein Verbot, das Verbot der Prostitution. Prostitution zu verbieten ist richtig, denn sie findet hier unter kapitalistischen Vorzeichen statt, von ihr profitieren nicht die Frauen, sondern die Bordellbesitzer und Investoren und am Ende auch der Staat. Sie findet statt unter den Rahmenbedingungen ökonomischen Zwangs, Menschenhandel und sexueller Gewalt, die gerade in Deutschland immer neue Blüten treiben, weil das neue Prostitutionsgesetz sie nicht einzudämmen weiß und sie zugleich immanente Begleiterscheinungen des Systems Prostitution sind. Zugleich bedeutet Prostitution eine Form der sexuellen Ausbeutung, die nicht nur den Prostituierten in ihrer menschlichen Unversehrtheit schadet, sondern in ihrer Zementierung diskriminierender Rollenbilder letztlich auf alle Frauen zurückfällt. Soweit zur bereits bekannten und richtigen Kritik, die über das bürgerliche Lager hinaus geht. Doch es gibt noch eine weitere Ebene im System Prostitution, eine zwischen eben jenen „bürgerlichen“ Frauen und den Prostituierten, und den Männern, die sich irgendwo zwischen beiden befinden, genauer gesagt: Zwischen ihnen hin- und herwechseln. Es geht um die soziale Funktion, die Prostituierte in unserer Gesellschaft übernehmen. Vor wem wollen wir sie eigentlich retten, wenn wir Prostitution abschaffen wollen?

Statistisch gesehen ist jeder zweite Mann ein Freier. Der Puffbesuch ist eines der rites des passage unserer Kultur. Zum 18. Geburtstag geht man in ein Bordell, oft schenkt sogar der eigene Vater diesen Besuch, oder der (männliche) Freundeskreis. „Treppensteigen“ ist eine beliebte Samstagnachtbetätigung vieler junger Männer. Die Mehrzahl aller Freier ist in einer festen Beziehung oder verheiratet. Es sind die eigenen Männer aus der bürgerlichen Mitte, aus dem linken Lager, vielleicht sogar unsere (Ex-)Partner, um das bürgerliche Besitzpronomen zu verwenden, vor denen wir die Prostituierten retten wollen. Und dieser Aspekt verdient eine genauere Betrachtung.

 
Prostitution als patriarchale Institution
Prostitution ist eine gesellschaftlich etablierte, weltweit stattfindende Institution, um männliche Sexbedürfnisse zu befriedigen, und zwar nicht nur die weibliche Prostitution, sondern auch die mann-männliche Prostitution, die, und das kann jeder beobachten, der sich mal in der Nähe eines Männerstrichs positioniert, besonders gerne von Familienvätern mit Kindersitzen im Auto aufgesucht wird. Prostitution ist eine patriarchale Institution, die es Männern ermöglicht, neben ihrer Ehe, neben ihren „soliden“, bürgerlichen Beziehungen, alle sexuellen Bedürfnisse auszuleben, die sie haben, ohne Gefahr zu laufen, dafür gesellschaftlich sanktioniert zu werden. Sie können im normalen Leben die weiße Weste anbehalten, ihren Partnerinnen, Ehefrauen, Kolleginnen, Freundinnen den respektvollen Freund, Partner, Ehemann, ja sogar Gleichberechtigung vorspielen und jederzeit für eine halbe Stunde im Puff oder auf dem Straßenstrich verschwinden, und genau das Gegenteil machen. Überall. Deshalb ist Prostitution als System für die männliche Gesellschaft so wichtig, sie ist Teil ihrer sexuellen Freiheit. Frauen, bürgerliche, „solide“ Frauen, sind von diesem System ausgeschlossen, sie dürfen Laufhäuser, ja ganze Straßenzüge noch nicht einmal betreten, in denen das stattfindet. Sie ahnen in den allermeisten Fällen noch nicht einmal, was da abläuft. Denn wer sich mit den Prostituierten darüber unterhält, was denn die Männer bei ihnen suchen, der wird zu hören bekommen, dass diese Frauen meistens Expertinnen in den bürgerlichen Beziehungen anderer sind. Sie kennen die Eheprobleme ihrer Kunden sehr genau. Männer kommen zu ihnen, um das auszuleben, was sie in ihren bürgerlichen Beziehungen nicht können, weil sie fürchten müssten, diese durch das alleinige Aussprechen ihrer Wünsche zu gefährden. Bevor jetzt der Beifall losgeht, die bürgerlichen Frauen müssten es eben ihren Männern einfach mal besser besorgen, möchte ich kurz auf die Ungeheuerlichkeiten dieser Zusammenhänge hinweisen. Ungeheuerlich in gleich mehreren Ebenen: Zum einen stehen uns Frauen keine Laufhäuser zur Verfügung, in denen wir alle sexuellen Wünsche, so ausgefallen sie auch sein mögen, in 15 Minuten und für 30 Euro befriedigen können. Wir würden sie vermutlich auch nicht wollen, aus den oben skizzierten Gründen der Ausbeutung fremder Körper. Der Frau steht, abseits von der Beziehung, nur der One-Night-Stand und der Seitensprung zur Verfügung, doch bei beidem läuft sie Gefahr, als „Schlampe“ diffamiert zu werden oder sexueller Gewalt ausgesetzt zu werden. Sie kann sich auch einen Callboy rufen, aber das ist durchaus nicht so einfach wie der unkomplizierte käufliche Sex in einem Laufhaus. Darüber hinaus kann sie nur in männlicher Begleitung an Pärchenveranstaltungen in Sexclubs und Pornokinos teilnehmen – aber auch hier ist sie auf den männlichen Schutz durch andere Männer oder den Betreiber angewiesen und setzt sich wiederum der Gefahr der gesellschaftlichen Abwertung aus. Männer, die in den Puff gehen, nehmen nur das sehr geringe Risiko auf, dass ihre Partnerinnen dahinter kommen. Dass dieses Risiko so gering ist, dafür sorgt die Gesellschaft, weil Prostitution und normales Leben zwei so scharf getrennte Lebenswelten sind – wie praktisch für die Männer. Die Institution der Prostitution ist zugleich auch ein System der sexuellen Disziplinierung der „normalen“ Frauen. Keine will als „Hure“ oder „Schlampe“ gelten. So kontrolliert man weibliche Lust.


Keine Beziehung auf Augenhöhe
Zum anderen, und das ist die noch größere Ungeheuerlichkeit, zeugt es von einer unglaublichen Feigheit der Männer, ihre Begierden lieber zu Prostituierten, männlichen und weiblichen zu tragen, als mit ihren Partnerinnen darüber zu sprechen und ihnen zumindest die Chance zu geben, auf sie einzugehen oder deren Erfüllung zu bejahen. Es wäre der Anfang von wirklich gleichberechtigten Partnerschaften, von wirklich erfüllter Sexualität beider Geschlechter, wenn es einen offenen Diskurs über sexuelle Wünsche und Vorlieben abseits dessen, was man so als „normal“ betrachtet, gäbe. Heute gibt es unzählige Online-Foren, in denen alle Arten von Sex ohne Bezahlung möglich sind. Dennoch boomt die Prostitution und das liegt eben daran, dass sie von der biederen Sexualmoral unserer Gesellschaft lebt. Würden wir diese überwinden, gäbe es einen offenen Dialog der Geschlechter über die Wünsche und Bedürfnisse, dürften Frauen ungestraft ausleben, was sie wollten und Männer sagen, was sie brauchen und Partner zumindest darüber entscheiden, ob sie die Wünsche des jeweils anderen befriedigen wollen, würde das System Prostitution einen seiner wichtigsten Motoren verlieren. Sexualität ist ein weites Feld, das weit mehr umschließt, als man im Unterricht oder in der Bravo lernt. Würden die Männer den Mut aufbringen, ihre Lust nicht mehr nur zu den Prostituierten zu tragen und sie stattdessen mit ihren Partnerinnen teilen, so gäbe es Lust auf Augenhöhe. Und es gäbe einen weiteren Effekt. Die Rolle der Prostituierten als „deviante“ Frau, die alle Wünsche des Mannes befriedigt, und zwar nicht, weil sie Lust darauf hat, sondern weil jeder weitere Wunsch, je ausgefallener er ist, den Preis in die Höhe treibt, existiert nur und einzig deshalb, weil sie der Gegenentwurf zur bürgerlichen, zur ehrbaren Frau ist, die der Mann, weil sie potenziell „die Mutter seiner Kinder“ ist, nicht „beschmutzen“ will. Es ist eine so überkommene Sexualmoral, die aus diesem Denken spricht, eine Sexualmoral, die weibliche Lust per se als etwas Schmutziges betrachtet, etwas, mit dem man die eigene Frau nicht „beflecken“ will und er schadet und diskriminiert beide Frauen, die bürgerliche und die Prostituierte. Die Prostituierte existiert nur in ihrer abgewerteten Rolle von der Frau daheim und diese Abwertung geschieht nicht durch die Ehefrau, denn die weiß ja davon gar nichts, sondern durch den Ehemann, Partner, den Freier. Viele Sexarbeiter ziehen genau daraus einen gewissen Stolz, eben weil sie Dinge mit den Männern teilen, die die Ehefrauen niemals erfahren werden. Doch, und das ist ein wichtiger Punkt, Prostituierte sind nicht die Gegnerinnen oder Widersacherinnen der bürgerlichen Beziehung. Sie profitieren nur von den Widersprüchen darin, davon, dass Menschen, die sich angeblich lieben, nicht über ihre intimsten Wünsche sprechen können. Davon, dass Männer nicht den Mumm aufbringen, zuzugeben, dass sie homoerotische Fantasien haben, dass sie darauf stehen, wenn man dieses oder jenes mit ihnen tut, weil sie fürchten, dass könnte ihrer Männlichkeit, ihrem Ansehen schaden. Sie profitieren aber nur in dem Sinne davon, als dass sie einen Preis für die Erfüllung dieser Wünsche aufrufen können.

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel
Letztlich, und das ist die letzte und größte Ungeheuerlichkeit, werden die Sexarbeiter aber für die Erfüllung dieser Wünsche, für die gesellschaftliche Funktion, die sie übernehmen, mit Verachtung und Exklusion bestraft, mit einem Leben am gesellschaftlichen Rand. Daran hat auch das Prostitutionsgesetz nichts geändert und auch ein Verbot der Prostitution wird daran nichts ändern. Ein Verbot der Prostitution muss einhergehen mit einem gesellschaftlichen Wandel. Wir brauchen eine veränderte Einstellung zum Sex, wir müssen die widerliche Doppelmoral, mit der wir unseren Alltag angefüllt haben, endlich aufgeben. Auf der einen Seite ist alles Porno, auf der anderen Seite ist alles prüde. Letztlich brauchen wir eine neue sexuelle Revolution, um die gesellschaftliche Institution Prostitution überflüssig zu machen. Diese sexuelle Revolution bedeutet auch ein Umdenken der partnerschaftlichen Strukturen. Solange Männer Lust aus einer Sexualität ziehen, die ohne die Lust des Gegenübers auskommt, die sogar explizit dessen Abwertung einschließt, braucht es eben jene, die zumindest den monetären Gewinn aus diesem Bedürfnis ziehen. Und wir brauchen eine echte Solidarität mit den Frauen am unteren gesellschaftlichen Rand, mit denen ohne Ausbildung, jenen, die fremd sind in diesem Land, für die Prostitution der einzige Ausweg ist oder scheint. Frauen sind in dieser Gesellschaft am Ende immer noch einen Dreck wert, das zeigen Alltagssexismus, die Zahlen sexueller Gewalt und der viel beschriene Gender Pay Gap und all die alleinerziehenden Mütter, die von Hartz IV leben. So lange sich daran nichts ändert, wird es immer Frauen geben, für die Prostitution eine Möglichkeit ist, mit dem System irgendwie klar zu kommen, Geld zu verdienen. Wir müssen an diesen Schrauben drehen, um auch die Prostitution unattraktiv zu machen. Es ist einfach, vom Standpunkt der gebildeten, bürgerlichen Mittelklasse aus hübsch eingerichteten Wohnzimmern in irgendwelchen Vororten diesen Frauen zu erklären, dass Prostitution scheiße ist. Das wissen sie selbst, wenn auch aus einer anderen Perspektive. Unsere Männer, Partner, Freunde haben es ihnen beigebracht. Es sind unsere gesellschaftlichen Umstände, die den Frauen oft keine andere Wahl gelassen haben. Das Verbot ist richtig, um Menschenhändlern, Bordellbesitzern und ja, auch den Freiern das Handwerk zu legen. Aber wir brauchen auch den begleitenden gesellschaftlichen Wandel in den Köpfen und in unseren Beziehungen, und den Anfang dafür müssen nicht wir Frauen machen, sondern die Männer, denn sie sind es, denen alle Handlungsoptionen offen stehen. Sie sind es, die den Mund aufmachen müssen, anstatt sich durch die Straßen der Vergnügungsviertel zu schleichen, sie müssen aufhören, aus Angst ein Doppelleben zu führen, zwischen normaler Beziehung und Puffbesuch, anstatt in irgendwelchen Foren Pro-Prostitutionskommentare zu schreiben und denjenigen, die sich gegen Prostitution engagieren, Prüderie vorzuwerfen. Die wirklich Prüden, das sind nämlich die Männer, die aus Feigheit genau jenes Doppelleben zwischen „Beziehungssex“ und prostitutivem Sex leben und weiterleben wollen, die Sex tatsächlich als eine Dienstleistung verstehen und weiter verstehen wollen.

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