Niccolò Caranti - Telefon Tel Aviv (Flickr) [CC BY-NC 2.0] |
Wie Politiker in das Geschäft mit Frauenhandel verquickt sind, zeigt der dritte und letzte Artikel Florian Klenks zu den Telefonprotokollen der Menschenhändler.
Politiker, die offiziell für Frauenschutz eintreten und inoffiziell Minderjährige "bestellen", geringe Strafen für Menschenhändler, wiedereröffnete "Escort-Agenturen" durch ebendiese: die Frage bleibt, ob überhaupt ein politischer Wille da ist, die jungen Mädchen und Frauen vor diesen Gewaltverbrechen zu schützen. Denn die Situation, wie sie für Österreich dargestellt wird, ist auf Deutschland übertragbar. Verurteilte Menschenhändler können auch hier Bordelle betreiben. . Nur öffentlicher Druck kann Änderung in Gang bringen. Der Artikel erschien zuerst hier.
Die Callgirlaffäre erreicht das Parlament. Der Sprecher von Andreas Khol outet sich. Er habe die Mädchenhändler nur "zur Recherche" kontaktiert. Telefonprotokolle lassen Zweifel an dieser Version aufkommen.
Für die ÖVP ist Gerhard Roder ein “Mann mit Erfahrung im Politik- und Medienbereich”. Vor drei Jahren kandidierte er für den niederösterreichischen Landtag. Sein Spezialgebiet: “Frauenschutz”. Im September 2003, Roder war zum persönlichen Pressesprecher von Nationalratspräsident Andreas Khol avanciert, gründete er eine Bürgerinitiative gegen Kindesmissbrauch. Medienwirksam überreichte Roder seinem Chef 40.000 Unterschriften und bat den Nationalrat im Namen der Unterzeichner um härtere Strafen für Sexualverbrecher. Der Strafrahmen für Sexualdelikte und sexuelle Ausbeutung sollte verdoppelt werden. Täter sollten erst dann freikommen, “wenn Gutachter garantieren, dass die Täter vollständig geheilt sind”. Roder erkannte damals: “Kriminelle Banden verdienen Millionen mit ihrem schmutzigen Geschäft.”
Im Jahr 2004 ermittelten Schwechater Kriminalisten der Gruppe Menschenhandel genau gegen so eine “kriminelle Bande”. Die Fahnder überwachten die Telefonate eines nobel auftretenden Wiener Escortservice, dessen Betreiber später wegen sexueller Ausbeutung Minderjähriger zu dreißig Monaten Haft verurteilt wurden (der Falter berichtete). Die Täter, so stellte das Landesgericht Korneuburg rechtskräftig fest, lieferten auch Minderjährige an betuchte Kunden und drohten, unwilligen Mädchen die Beine zu brechen. Ein Mitglied der Bande wurde wegen des Besitzes von Kinderpornos verurteilt.
Im Zuge des Lauschangriffs auf den Callgirlring hörte die Polizei nicht nur interessierte Anwälte, Diplomaten und Manager ab, sondern auch einen Anrufer aus der Parlamentsdirektion. Der Anrufer wurde als “männliche Person, unbekannt” geführt. Seit der Falter von diesem Telefonat berichtete, rätselt das Publikum über die Identität des “Freiers aus dem Parlament” (ORF). In einer ersten öffentlichen Stellungnahme gab sich die Parlamentsdirektion ahnungslos. Es sei bei Tausenden Telefonklappen unmöglich, den Anrufer zu identifizieren.
Am Montag – nach einem Gespräch mit dem Falter – trat dann der “Unbekannte” die Flucht nach vorne an und übermittelte eine Sachverhaltsdarstellung ans Justizministerium und an die Austria Presse Agentur.
Der Parlamentsmitarbeiter, den die Polizei belauschte, ist ausgerechnet Khols Pressesprecher Gerhard Roder. Er arbeitet heute in der Presseabteilung der ÖVP. Am Montag wurde er von dieser Funktion suspendiert.
Wie rechtfertigt Roder seinen Anruf bei den Frauenhändlern? Er habe in den letzten drei Jahren nur “in Sachen Kinderhandel recherchiert” und ermittelt, ob auch Kinder für Sex angeboten würden. Die Frauenhändler hätten aber bei der Frage “den Hörer aufgeknallt”.
In dem – im Gerichtsverfahren öffentlich verlesenen – Telefonprotokoll (das dem Falter vorliegt) ist davon nichts zu lesen.
Die Fakten laut Gerichtsakte:
Am 4. August 2004, kurz nach 20 Uhr, rief eine laut Polizei “unbekannte männliche Person” mit Roders Diensthandy bei den Frauenhändlern an und interessierte sich für “Katharina” (alle Namen geändert, Anmerkung der Redaktion): “Was macht die alles, was kostet sie, wie ist sie denn vom Charakter?”
Der Frauenhändler antwortet: “Die Katharina macht an und für sich fast alles, außer Griechisch.” Leider sei sie auf Urlaub. Zwei andere Frauen wären jedoch frei.
Der “Unbekannte” gibt sich als Insider aus: “Die (Olga, Anm.) habe ich jetzt nicht in Erinnerung. (…) Ich werde den Computer nochmals hochstarten.”
Der Freier wird darüber informiert, dass ein Mädchen “so ein Julia-Roberts-Typ” ist und dass die Anna eine “Blondine” sei. Gegen Aufpreis sei auch Analverkehr möglich.
Der “Unbekannte” mit Roders Parlamentshandy will offenbar Sex ohne Kondom: “Machen die Naturfranzösisch auch? Mit Vollendung in den Mund?”
Der Frauenhändler bestätigt und beklagt, dass ein “Mädchen” momentan “sechs, sieben Kilo zu viel auf den Rippen” habe.
Der Freier sagt: “Alles klar, ich schau jetzt noch mal ins Internet und melde mich dann!”
Roder, der beteuert, dass niemand anderer sein Handy missbrauchte, bestreitet dieses Telefonat: “Die Worte, die die Polizei im Telefonprotokoll protokolliert hat, habe ich sicher so nicht verwendet. Bitte glauben Sie mir das!” Er habe nie eine Prostituierte bestellt, sich nie nach sexuellen Praktiken erkundigt, sondern nur versucht, “Beweismaterial” zu sammeln. Weder sein Chef Andreas Khol noch die Polizei seien von seinen Recherchen informiert worden. “Das war ein Fehler”, sagt Roder.
Die Callgirlringaffäre ist von Justizministerin Karin Gastinger nicht nur wegen dieses Telefonats zur Chefsache erklärt worden. Auch an anderer Front verläuft der Fall nicht so, wie es sich das die Justizministerin erwartet hätte. Freier, die laut Polizeiprotokollen nachweislich nach minderjährigen Frauen verlangten und um deren wirtschaftliche Notlage wussten, wurden bis heute nicht als Beschuldigte einvernommen, obwohl sie sich strafbar gemacht haben könnten. “Wir haben Fehler gemacht”, sagt Oberstaatsanwalt Werner Pleischl. Seit 2002 wurde Prostitution mit Minderjährigen unter Strafe gestellt – übrigens eine Forderung von Andreas Khol. “Wir stechen da jetzt ordentlich hinein”, sagt der Chef der Weisungssektion, Werner Pürstl.
Im Visier der Justiz stehen auch ein US-Professor sowie ein prominenter US-Anwalt. Der Anwalt soll laut Anklage der Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen die Mädchenhändler im April 2004 zweimal mit einer minderjährigen Prostituierten namens Inga G. “beliefert” worden sein (dass er Minderjährige bewusst “bestellt” hat, unterstellen die Ermittler nicht). Nun outete sich der amerikanische Anwalt Ed Fagan via E-Mail im profil und wies alle Vorwürfe zurück. Er sei “seines Wissens nach” niemals von einem Callgirlring mit Mädchen, die jünger als 19 Jahre sind, beliefert worden. Er lehne Sex mit Minderjährigen ab. Wenn er “schöne, interessante” Frauen “auf diese Art” kennen lernen will, würde er ins Nobelpuff Babylon gehen.
Die Staatsanwaltschaft hat Fagan tatsächlich nie kontaktiert. Der Grund: Er sei “nicht greifbar” gewesen, so Staatsanwalt Friedrich Köhl. Die Ankläger legten im Prozess gegen die Menschenhändler aber eine (dem Falter vorliegende) beschlagnahmte Kundendatei des Escortservice vor, in der eine Person namens “Ed Fagan, Intercontinental” als guter Kunde geführt wird. Die Polizei berichtet in ihren Verhören auch von Telefonprotokollen, in denen Fagan vorkommen soll. Und auch ein Zeuge, der Fagan mit zwei osteuropäischen Callgirls im Hotel gesehen haben will, sagt, er habe den US-Anwalt ausdrücklich auf die “Sensibilität” hingewiesen. Es sei ihm, dem Zeugen, damals schon bekannt gewesen, dass “strafrechtliche Untersuchungen” gegen den Escortservice stattgefunden haben.
Fagan attackiert nun via profil die Ermittler: “Wenn mich die österreichische Polizei sprechen will, kann ich mir nicht vorstellen, dass es schwer wäre, mich zu finden.” Wiens Oberstaatsanwalt Werner Pleischl kündigt an, an Fagan heranzutreten. Viel herauskommen wird dabei wohl nicht. Wenn Fagan glaubhaft machen kann, vom jugendlichen Alter der Frauen nichts gewusst zu haben, muss die Staatsanwaltschaft den Fall einstellen. Aus dem Justizministerium ist zu hören: “Wir machen jetzt mal ordentlichen öffentlichen Wirbel. Doch ich wette mit Ihnen, dass nichts herauskommt. Die Freier werden sagen, dass sie besoffen waren und nie geglaubt haben, minderjährige Prostituierte vor sich zu haben.” Unwissenheit, so scheint es, schützt gewisse Herren also doch vor Strafe.
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