Es gibt keine Krise oder Katastrophe, die nicht noch
verschlimmert werden könnte, und in Deutschland gibt es keine Brutalität, aus
der nicht noch findige Menschen Profit schlagen wollen. Vermutlich ist das
überall so. Aber in Deutschland gibt es so dermaßen gehirngewaschene Menschen,
dass ihnen dies in aller Naivität naheliegend, ja wünschenswert, zumindest doch
völlig normal erscheint. Und es ist ja auch naheliegend. Es ist „normal“. Es
ist gesellschaftliche Praxis.
In einer atemberaubenden Präzision finden wir diesen
Ansatz prägnant zusammengefasst in einer hübschen Frage:
… können von Gewalt
betroffene Frauen vorübergehend in geschlossenen
Bordellen untergebracht werden …?
Das ist kein Scherz und keine Satire, trotz der abgrundtief bitteren Ironie darin, trotz einer Haltung, deren eigene Bloßstellung nur noch durch
die Verhöhnung der gemeinten Frauen, aller Frauen und unserer Gesellschaft übertroffen
wird. Wobei die Gesellschaft insgesamt das verdient hat.
Vielleicht ist daher die
Überschrift mit dem Rettungsschirm die beste.
Konkret geht es um das
Bundesfamilienministerium, um das Statement der Frauenpolitischen Sprecherinnen der Bundesgrünen und um ein Statement des BSD, des Bordellbetreibendenverbands
in Deutschland. Im Einzelnen und der Reihe nach geht es um eine inzwischen
offenbar zurückgezogene Idee einzelner aus dem Bundesfamilienministerium und
aus dem Berliner Senat, die zu erwartenden Engpässe bei der Unterbringung von Frauen,
die in ihren Beziehungen Männergewalt ausgesetzt sind, mit „pragmatischen und
unkonventionellen Lösungen“ aufzufangen, und offenbar gehörte hierbei vorübergehend
der Gedanke dazu, die geschlossenen Bordelle zu nutzen.
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Update: Auf Anfrage durch Huschke Mau erklärt das BMFSFJ,
keine solche Anfrage gestellt zu haben.
Nun. BSD lügt? Wunschdenken? Sehr gut möglich. Deren Pressemitteilung steht ja (und wir haben screenshots, aus Erfahrung ... so Zeug wird sehr schnell geputzt).
Bleiben noch Einzelne im Berliner Senat und natürlich einzelne Honks überall.
Bleiben noch Einzelne im Berliner Senat und natürlich einzelne Honks überall.
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Weltweit sehen wir die Sorge, dass gewalttätige Männer Ausgangsbeschränkungen zusammen mit ihrer bereits in den Beziehungen etablierten Gewalt zur Eskalation dieser Gewalt nutzen, sei es mit direkter körperlicher (im Klartext: unmittelbar lebensgefährlicher) Gewalt oder mit der gesamten Palette manipulativer Kontrollgewalt. Bund und Länder haben die Situation der enorm vielen von Männergewalt in Beziehungen betroffenen Frauen weitgehend verdrängt, so dass Frauenhäuser nicht ausreichend finanziert sind, es nicht genug Plätze und Schutzangebote gibt und Prävention in der Gesellschaft so gut wie gar nicht stattfindet. Jetzt könnten die Zahlen nach oben gehen, die Istanbulkonvention verpflichtet zum Handeln, und jetzt erleben wir, wie konsequent der BSD die Situation nutzen möchte.
Der BSD sagt gerne zu. Immerhin sind die Bordelle wegen der Krise geschlossen, die Frauen,
die bisher die Bordelle über Prostitution finanziert haben, können daher die
horrenden Zimmermieten nicht zahlen und sind entweder obdachlos oder
tatsächlich nach Hause gefahren oder leben noch in den Bordellen und sehen, wie
ihre Miete und damit ihre Schulden jeden Tag bis ins unendliche steigen, was
den Betreibenden zwar nach Ende der Krise fetten Reibach und gute Abhängigkeitsverhältnisse
beschert, ihnen im Moment aber nichts nützt.
Welch gute Idee also, andere von Gewalt
betroffene Frauen Bordellbetreibenden auszusetzen.
Welch gute Idee also, die
Situation der von Gewalt betroffenen Frauen, der marginalisierten Frauen, der
Frauen ohne eigene Mittel und ohne verbliebene Ressourcen samt der öffentlichen
Versäumnisse dazu zu nutzen, die Verdienstausfälle zu kompensieren und
Verdienste zu garantieren, die die Betreibenden sonst – durch bitte genau was
erwirtschaften? Was bringt denn sonst die Kohle? Was bringt Frauen denn bitte
in die Prostitution und in die Bordelle, wenn nicht genau das:
Gewaltbetroffenheit schon in der Kindheit (und eine Gesellschaft, die wegschaut),
Marginalisierung, die Verweigerung von Ressourcen, Armut, Ausgrenzung … und ein
Staat, der nicht nur wegschaut, sondern ein Geschäftsmodell unterstützt, das all
dies für eine begrüßenswerte Ressource für Profit hält.
Deutschland ist hier von einer
bewundernswerten Konsequenz: Wenn der Bordellbetrieb darunter leidet, dass die
eine Gruppe an Frauen gerade nicht mehr ausgenutzt werden kann, weil eine so blöde
Epidemie dazwischenkommt, liefern wir eben jetzt eine neue Gruppe in einer vergleichbaren
Situation und legen die Rechnung dann dem Staat vor. Hotel kostet ja schließlich
auch. Wir werfen also prostituierte Frauen auf die Straße oder lassen sie sich
verschulden, und damit die Betriebe die Krise überstehen, liefern wir solange andere
Frauen an. Es ist gerade so, als würden misshandelte Frauen in der Krise
als Ressource für Bordellbetreibende genutzt. Oh. Warte. Das ist nicht die
Krise. Das ist das übliche. Es schwappt hier nur gerade über.
Offenbar haben im Berliner Senat
und im Bundesfamilienministerium dann doch einige mit entweder Verstand oder
Ethik oder beidem die Reißleine gezogen.
Der BSD bedauert das und attestiert mal wieder ein "Moralproblem": Die
Wohnungen seien doch klein, privat, anonym, von außen nicht zu erkennen … so viel
zum tollen Hellfeld in Deutschland und zum angeblichen Dunkelfeld in Schweden.
Die Betreibenden hätten den
Frauen doch so gut zuhören können, sie so gut beraten können, die Themen seien
doch so ähnlich! In der Tat:
Auch das gehört zu der
gnadenlosen Normalisierung von sexistischer Gewalt in Deutschland, dass dem BSD
nicht einmal das gigantische Eigentor auffällt, dass sie hier schießen. Ach ja –
die Themen sind ähnlich? Es gibt Parallelen in der Situation von Frauen, die es
nicht schaffen, ihre Partner zu verlassen und denen, die nicht aus der Prostitution
können? Colour me shocked. Es gibt Parallelen in der Gewalt, den „privaten Nöten“,
angefangen „bei ungenügendem Verdienst, von Lustlosigkeit an dem Job, dem Ärger
mit dem Ehemann/Partner, dem Wunsch des Kindes nach einem besonderen Geschenk,
der Sorge um die Familien im Heimatland, Heimweh, einer neuen Liebe, der Not
mit der deutschen Sprache und anderen Kultur, etc.“ Das betrifft beide Gruppen?
Ach – wirklich? Ja, verdammt, das betrifft beide Gruppen. Und „Ärger mit dem
Ehemann/Partner“ drückt das „Verständnis“ genauso aus wie „Lustlosigkeit an dem
Job“ angemessen aus: eine Wortwahl, die gerade genug
Sichtbarkeit der Gewalt bietet um sie nutzen zu können.
Es ist das Hellfeld der Gewalt
in Deutschland, in dem Gewalt besser versteckt wird als in jedem Dunkelfeld, weil
sie so offen hin- und ausgestellt wird, dass wir sie für normaler halten als Gestrüpp
im Park. Bis frau sie einmal gesehen hat. Und dann die Augen nicht mehr zu
kriegt.
Im Zuhören „sind die BetreiberInnen
klasse und geübt“ – darauf können wir wetten: Sie brauchen diese Informationen
ja um sicher zu stellen, dass die Frauen nicht raus kommen, um sie an sich zu
binden, sie brauchen das ja zur Manipulation, und wie gut, wenn sie jetzt noch
die eine oder andere unmittelbar und ohne Umwege über lästige Beratungsstellen
rekrutieren können! Wie gut, wenn Betreibende jetzt die Leute sind, die vertrauliche
Informationen abschöpfen können! Ich wette, die können den Frauen auch mit
kleineren Krediten zur Überbrückung helfen.
Aus dieser hübschen Idee ist
jetzt nichts geworden, trotzdem haben die Betreibenden noch Verbündete, auf die
sie zählen können. Während Abolitionistinnen in einer deutschen Stadt, Karlsruhe, neben des nun prohibitiven Ansatzes, der sich auch gegen die Frauen wendet, wenigstens eine
Freierbestrafung jetzt während der Prostitutionsverbote durchsetzen konnten,
während wir versuchen, jetzt den Kommunen und dem gesamten Staat klar zu
machen, dass die Frauen jetzt, sofort, unmittelbar Unterstützung brauchen,
einen Ausweg, eine Trennung von den Bordellen, finanzielle Unterstützung,
Unterbringung, auch anonymen Zugang zu Lebensmitteln, Hygieneprodukten und
Kleidung, dass jetzt doch klar sein muss, dass jede Frau, die während dieser
Krise Prostitution ausübt, das garantiert nicht freiwillig tut, dass jetzt der
Moment für das Nordische Modell ist – sorgen sich die Frauenpolitischen
Sprecherinnen der Grünen – einer Partei, zu der eine Reihe Abolitionistinnen
gehören und die sehr hart arbeiten musste, um unsere Unterstützung loszuwerden,
Gratulation, bei vielen von uns habt ihr es geschafft! – darum, dass die Frauen tatsächlich die Bordelle verlassen könnten. Anders ist es nicht zusammenzufassen.
Zu den Forderungen der Sprecherinnen gehören: „Im
Falle der Unterkunft in (geschlossenen) Prostitutionsstätten müssen
Mietschulden vermieden werden“. Immerhin, dem stimmen wir zu, es wäre noch
hübsch zu lesen wie, und „vermieden“? Vielleicht wären klarere Begriffe besser,
„ausgeschlossen“? Aber wir wissen, von welchem Segment der Sexindustrie diese
Gruppe innerhalb der Grünen ihre Infos und Stichpunkte und Vorgaben kriegen,
also soll’s wohl nicht übertrieben werden. Außerdem: „Das Übernachten in
geschlossenen Prostitutionsstätten muss erlaubt / ermöglicht werden.“ Umwerfend
mutige Forderung – nur: es ist erlaubt und ermöglicht. Jetzt sowieso, da ja
(offiziell) kein Bordellbetrieb stattfindet, ansonsten deswegen, weil der in
§18 Absatz 2 des Prostituiertenschutzgesetzes festgelegte Grundsatz, dass „die
für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume nicht zur Nutzung als Schlaf-
oder Wohnraum bestimmt sind“ nicht durchgesetzt wird. Der Wunsch hinter dieser
Bestimmung gegenüber Betreibenden war, dass diejenigen in der Prostitution
nicht auch noch in den Betten und Räumen schlafen müssen, in denen sie die Käufer
bedienen, dass es irgendeine räumliche Trennung geben soll. In der Praxis
bedeutet es für die Frauen jedoch noch weitere Kosten, daher wird auf die
stringente Umsetzung oft „aus pragmatischen Gründen“ verzichtet. Die Forderung
ist also eine billige Nullnummer. Dann, letzte Forderung: „Verpflichtende
Meldungen bei Gesundheitsämtern müssen ausgesetzt werden.“ Nicht – die Registrierungspflicht,
nein, die Beratungen bei den Gesundheitsämtern. Großartig. Damit würde ausgerechnet in
einer Pandemie der einzige Zugang zu Gesundheitsberatung (und zu Beratung)
abgeschnitten, den Zuhälter, Zuhälterinnen und Betreibende zulassen müssen. Die
meisten Gesundheitsämter dürften hier im Moment ohnehin keine Beratungen durchführen,
also entfällt auch dieser Punkt, ist auch dieser Punkt eine Nullnummer – und trotzdem.
Schlagen wir die letzte Tür auch noch zu.
Wenn jetzt Frauen verschwinden –
wem würde es noch auffallen?
Wir müssen als Gesellschaft
endlich die verschiedenen Formen der Gewalt gegen Frauen zusammendenken. Und
wir müssen als Gesellschaft den Ausstieg aus der Prostitution schaffen.
Wir fordern den schwedischen
Ansatz zur Beendigung der Prostitution JETZT, sofort und sei es auf kommunaler Ebene:
- Entkriminalisierung der Frauen und Männer, Trans* in der Prostitution
- Unterstützung für die Frauen, die anderen, belastbare und echte Ausstiegshilfe
- Prävention durch öffentliche Aufklärung, Polizeischulung und Schulung der Anlaufstellen
- Verbot von Zuhälterei und Bordellbetrieb, konsequente Verfolgung von Menschenhandel
- Die Bestrafung der Freier als Verursacher und Finanzierer der Gewalt.
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