Dienstag, 1. Juli 2014

Ein langer Weg

evama53 - Steiniger Weg (2) (Flickr)
[CC BY-NC-SA 2.0]
Eine Abolitionistin zu sein ist niemals einfach.

Eine Abolitionistin und eine Ausgestiegene zu sein ist Horror.

Doch es ist ein langer steiniger Weg an dessen Ende die Freiheit warten könnte.

Ich schreibe in abgerissenen Sätzen. Mein Trauma ist so schlimm, dass ich das Schreiben neu erlernen muss, erneut lernen muss das Tippen mit meinem Herzen zu verknüpfen.

Der Schmerz meiner alten Körpererinnerungen quält mich, mein Schlafrhythmus ist komplett durcheinander und ich fühle mich wie ein Zombie.

Aber ich versuche zu schreiben und durch das Trauma hindurch einen Punkt zu finden an dem meine Worte eine Bedeutung haben.

Trauma - die Treibkraft, die mich anspornt, Abolitionistin zu sein – das Trauma dringt durch zur nie ausgeprochenen, nicht wissbaren Hölle, welche die ganz gewöhnliche Prostitution ist.

In der letzten Zeit gab es kurze Meldungen über ermordete Prostituierte.

Diese Meldungen tauchen nur auf, wenn die Medien befinden, dass sie sie als etwas Sensationelles aufarbeiten können – falls Rassismus oder Anti-Islamismus im Spiel sind, dann wird berichtet, es wird berichtet, falls die ermordete Prostituierte berühmt ist oder nicht die Sorte von Mädchen, die so etwas tun würde, es wird berichtet, falls es sich um einen Serienkiller handeln könnte.

Über die vielen gewöhnlichen Massenmorde an den Prostituierten wird nicht berichtet.

Es ist viel zu normal, dass Prostituierte ermordet werden, damit lassen sich keine Schlagzeilen machen.

Durch die Linse des extremen Traumas ist es mir möglich, mich zu erinnern und die Wahrheit über das konstante Morden der Prostituierten zu sehen.

Das Trauma hat nicht vergessen, dass Mord stets hinter der nächsten Ecke lauerte, in allen Aspekten der Prostitution.

Das Trauma hat nicht vergessen, dass jeder Freier jedes Glaubenssystems, jeder Schicht, jeder Ethnie, jeder Kultur zu jeder Zeit und an jedem Ort die Entscheidung treffen kann, die Prostituierte einfach zu ermorden.


Vielleicht tötet er, weil er "versehentlich" versäumt hat nachzusehen, ob die Prostituierte noch atmet.

Vielleicht ermordet er die Prostituierte, um sich von seiner Schuld zu "befreien" oder weil er zu sich sagt, er töte so das Böse.

Vielleicht tötet er, weil er ganz einfach die ultimative Macht liebt, Leben auszulöschen.

Vielleicht tötet er, um den Schmutz loszuwerden, der an ihm haftet.

Vielleicht tötet er auch einfach nur, um nicht bezahlen zu müssen und die gebrauchten Güter wegzuwerfen.

Ich weiß nur, dass mehr Prostituierte ermordet werden als Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind oder als Männer in Kriegen.

Es tobt ein Genozid an Prostituierten – und man lässt zu, dass er unbemerkt bleibt, denn die große Mehrheit der Morde an den Prostituierten werden unsichtbar gemacht und finden nicht einmal Eingang in die Statistik.

Stattdessen haben wir es den Profiteuren des Sexhandels und Freiern erlaubt, die Prostituierten einfach zum Verschwinden zu bringen, ohne ihr Leben oder gar ihre Namen zu Protokoll zu bringen.

Auf jene, die das Glück hatten, aus dem Sexhandel auszusteigen, wartet unausweichlich das Trauma – denn wir alle haben diese leeren Räume der Namenlosen, derjenigen, die wir lieben wollten, aber zu kaputt waren, um ganz da zu sein.

Jede einzelne Person, die ich kenne und die aus dem Sexhandel ausgestiegen ist, wusste, dass Mord jederzeit blindwütig um sich greifen kann.

Wenn eine Prostituierte verschwand, dann wusste jede einzelne der anderen Prostiuierten tief in ihrem Inneren, dass sich die Morde nie auf die Person bezogen, dass es darum ging, die Welt mal wieder von einer Hure zu befreien oder benutzte Güter wegzuwerfen.

Ich weiß, dass ich mindestens dreimal fast ermordet worden wäre, und das sind nur die Male, an die ich mich erinnern kann – aber jeder Freier wollte nicht mich als Menschen töten, sondern nur irgendeine Hure.

Welche Bilder steigen in Ihnen auf, wenn Mord ist, als würde Müll weggeworfen – erinnert es Sie nicht an jeden anderen Massenmord?

Ich habe gelernt, mir die Kälte zu verzeihen, die in mir war, wenn um mich herum Prostituierte verschwanden – ich musste hart sein, da es so wahllos geschah und der Tod in jeder Sekunde über mir schwebte, während ich im Sexbusiness war.

Trauma war diese Trauer, die ich zerstören musste.

Die Gram darüber, dass kein Ende möglich ist, solange nicht vollständige Gerechtigkeit geschieht - eine Gerechtigkeit, die aus jedem einzelnen Mord, aus jedem einzelnen Verschwinden einer Prostituierten eine Angelegenheit von tiefer Bedeutung macht.

Es stellt einen Notstand dar, was den Prostituierten angetan wird - doch uns wird gesagt, das könne warten, das sei belanglos, schließlich hat man beschlossen, dass die Prostituierten ihren Lebensstil doch selbst gewählt haben müssen, und so sollen sie auch mit den Konsequenzen zurechtkommen.

So wird gesagt und im gleichen Moment stapeln sich die Leichen der Prostituierten in allen Städten der Welt höher und höher.

Wir weigern uns diese Morde zu sehen, denn wir weigern uns zu sehen, was für gewöhnliche Männer die Mörder sind.

Wir wollen glauben, dass die Morde an den Prostituierten von Irren oder Fanatikern begangen werden.

Für Manche mag dies zutreffen, doch der Großteil der Morde wird von ganz durchschnittlichen Männern begangen, die einen Job haben, Freunde haben, in einer Beziehung sind – irgendein Mann, für den es genauso normal ist, sich eine Prostituierte zu kaufen wie sich einen Burger zu kaufen.

Die Freier und Sexhandelsprofiteure, die mir gegenüber gewalttätig waren, kamen aus England, Europa, Amerika, dem Mittleren Osten und Afrika.

Sie waren weiß, asiatisch, schwarz.

Sie waren Atheisten, Christen, Muslime, Buddhisten.

Sie waren reich und sie waren arm.

Sie waren jedermann.

Eines hatten sie alle gemeinsam. Die Prostituierte betrachteten sie niemals als Menschen.

Ich weiß nur noch, dass es keine Sorte von Freiern gibt, der ich vertrauen würde, denn er kann und wird in jedem Moment zum Sadisten werden und mich um mein Leben fürchten lassen.

Ich war niemals sicher, obwohl ich mich stets innerhalb von vier Wänden befand, innerhalb der so genannten sicheren Form der Prostitution.

Trauma ist nach all dem nur natürlich – aber es ist ein langer, blutiger, harter Weg.


- Rebecca Mott, Prostituionsüberlebende, Großbritannien (Originaltext hier - Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Rebecca)

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