Teil 2 einer
Reihe zur Beleuchtung gängiger Mythen über das Nordische Modell
Die gängige Behauptung:
Weniger Kunden bedeutet mehr Konkurrenzdruck der
prostituierten Frauen untereinander und senkt damit die „Löhne“
Factcheck
Wie die norwegische Evaluation von Vista Analyse
zeigt haben sich durch eine Reduktion der Freier die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen für Prostitution in der Tat verschlechtert, was jedoch mit den Absichten
des Gesetzes (Prostitution langfristig abzuschaffen) vollkommen übereinstimmt
und folglich nicht als unbeabsichtigte Nebenwirkung angesehen werden kann.
Die Kosten für
MenschenhändlerInnen in Ländern in denen der Sexkauf unter Strafe steht sind im
Vergleich zu Ländern mit legalisierten und liberalisierten Märkten höher, womit
die Attraktivität Frauen in diese Länder zu verschicken sinkt.
Wichtig ist es hierbei zu verstehen, dass eine
Verkleinerung des Marktes zu einer Verkleinerung des Angebotes führt,
dergestalt dass von den auf Profit orientierten organisierten Netzwerken
weniger Personen für diesen Markt rekrutiert werden können.
Norwegische prostituierte Frauen verlangen in der
Regel höhere Preise, und man geht davon aus, dass hier weniger profitierende
Dritte im Hintergrund stehen, weshalb die Ressourcen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden
in der Regel nicht in dieses Marktsegment investiert werden. Meistens haben
diese Frauen auch zusätzliche Einnahmequellen. In diesem Marktsegment haben sich die Verdienstchancen letztendlich sogar erhöht. (Ähnliche Feststellungen gibt es auch für Schweden)
Der Preisverfall im niedrigpreisigen Marktsegment
entsteht jedenfalls nicht wie behauptet durch „mehr Konkurrenz“, wie zum Beispiel in
Deutschland, wo deutsche Frauen durch Frauen aus ärmeren Ländern mit weniger
Alternativen, und deshalb größeren ökonomischen Zwangslagen, aus dem Markt
gedrängt wurden. Der Preisverfall resultiert zum einen also aus der (schon vor dem Gesetz einsetzenden) Internationalisierung des Marktes und aus der gewollten - und eigentlich
von der Lobby bestrittenen - Reduktion der Freier.
Indirekt ist diese Behauptung also auch eine Widerlegung der Behauptung in Teil 1, das Prostitution gar nicht abgenommen habe, sondern
sich nur in einen „Untergrund“ verlagert habe. Hier müssen sich die GegnerInnen
des Nordischen Modells klar werden für welche Behauptung sie sich nun entscheiden,
denn sie schließen sich gegenseitig aus.
Preisverfall konkret
Die EXIT-Gruppe in Bergen hat festgestellt, dass
die Frauen in der Straßenprostitution häufig ihre Zuhälter dabei haben. Dies
gilt insbesondere für rumänische Frauen. In Bergen setzen die Preise in der
Straßenprostitution bei 1500 norwegischen Kronen (NOK) (= ca. 170 Euro) ein,
durch Verhandlungen können Frauen manchmal auch Preise von 800-1000 Kronen (=
ca. 90 – 112 Euro) erreichen. Früher hielten sich die Preise bei 1500 Kronen.
Diese Preise liegen weit über den Preisen in Deutschland, wo der Standardpreis
auf dem Straßenstrich bei 20-30 Euro liegt.
Andernorts kam es zu einem
stärkeren Preisverfall (von 500 auf 200-300, teilweise 100 NOK - von 60 auf 12
Euro). Hierzu muss aber auch gesagt werden, dass ein Preisverall in Ländern wie Deutschland teilweise dazu führt, dass Frauen sich bereits für eine Schachtel Zigaretten oder eine Mahlzeit prostituieren.
Die Polizei berichtet, dass nigerianische Frauen
häufig „Schulden“ von rund 65.000 Euro haben, wenn sie durch Hintermänner –
meist über vorherige Tätigkeiten in Italien oder Spanien - nach Norwegen
gelangen. Durch das Sexkaufverbot wurden diese „Schulden“ teilweise auf
40.000-50.000 Euro reduziert.
Wie in anderen Ländern auch werden auch in
Norwegen nach der Begleichung ihrer „Schulden“ zu „Kupplerinnen“, also selbst
zu Zuhälterinnen. Da ein echter Ausstieg nicht möglich ist, besteht hierin eine
Möglichkeit die eigene Ausbeutung in der Prostitution zu beenden – auf Kosten
anderer Frauen.
Frauen in der Innenprostitution betonen, dass das
Preisniveau in Norwegen weit höher als zum Beispiel in Spanien liegt (300 Euro
gegenüber 20-25 Euro für einen Job). Es wird angegeben, dass das
Verdienstpotenzial vor Einführung des Sexkaufgesetzes besser war und dass man
2008 innerhalb von zwei Wochen 20.000 Euro verdienen konnte, während der
Verdient heute weit niedriger ist. Dies muss auch vor dem Hintergrund gesehen
werden, dass die Marktanteile für eine Frau dann am höchsten sind, wenn sie neu
im Markt ist. Viele geben an, dass sie es als schwierig oder beinahe unmöglich
empfinden, so viele Kunden zu bekommen wie sie sich wünschen.
Nervösere Freier
Die Freier haben es jetzt eiliger und möchten
rascher fertig werden als vor Inkrafttreten des Gesetzes. Sie möchten nicht von
der Polizei oder von anderen gesehen werden. In der Straßenprostitution äußert
sich dies dadurch, dass sie verlangen, dass die prostituierte Person sich so schnell
wie möglich ins Auto hineinsetzt. In der Innenprostitution ist es nicht
ungewöhnlich, dass ein Kunde Kleider zum Wechseln dabei hat, damit er die
Wohnung oder das Hotel in einer anderen Bekleidung als in der verlassen kann,
in der er ursprünglich gekommen ist. Auf beiden Schauplätzen ist es üblich,
dass sich diese Kunden mit Caps und Sonnenbrillen einfinden.
Die Befürchtung der Freier, entdeckt zu werden,
kann bedeuten, dass die Absprachen rascher zu erfolgen haben und der Sexkauf
schneller über die Bühne gebracht werden soll. Das bedeutet zwar mitunter
niedrigere Bezahlung, wird aber von prostituierten Frauen durchaus auch positiv
erlebt, wenn sie den Freier „schneller wieder los“ sind, denn: Mehr Effektivität gibt Raum
für mehr Kunden oder mehr Freizeit sowie für weniger leeres Gerede und
"sonderbare" Anfragen.
Norwegische prostituierte Personen und ausländische mit längerer
Anbindung an Norwegen haben sich an das Gesetz angepasst, indem sie mehr feste Freier haben, die anstelle von Straßenbesuch per Mobiltelefon oder auf andere
Weise erreichbar sind. Dies könnte eine positive Wirkung des Gesetzes sein, da
solche Umstellungen zu einem verringerten Sicherheitsrisiko führen. Auch
Frauen, die ausschließlich in der Innenprostitution arbeiten, berichten von
vielen festen Kunden und dass dies vorzuziehen ist
Folgen des Preisverfalls
Die Entwicklung zu einem Käufermarkt und
internationaler Konkurrenz auf dem einheimischen Markt durch „billigere“
ausländische, prostituierte Frauen ist eine internationale Entwicklung, die
unabhängig von der Gesetzgebung ist. Die Käufermacht ist deshalb keine Folge
des Sexkaufgesetzes. Jedoch hat die verringere Nachfrage dazu beigetragen, dass
in den schwedischen und norwegischen Märkten Platz für weniger Personen ist.
In Bezug auf beispielweise norwegische
prostituierte Frauen auf dem Straßenstrich ist eine Zunahme der Wahl der „Arzneimittelgestützten
Rehabilitation“ (LAR-Behandlung) feststellbar, sowie die Teilnahme an
arbeitsmarktorientierten Maßnahmen.
Die Zunahme der Anzahl thailändischer Frauen bei
Initiativen/Hilfsorganisationen kann durch schlechteren Verdienst und den
Bedarf an Hilfe bei der Abwicklung von Massageinstituten in Kombination mit der
Verfolgung organisierter Netzwerke bedingt sein.
Auf der Seite der Initiativen /
Hilfsorganisationen gibt es den Eindruck, dass durch den Rückgang der Freier mehr
Menschenhandelsopfer nicht mehr die Möglichkeit haben ihre „Schulden“ zu
bedienen, was bewirkt, dass sie sich in höherem Maße als zuvor der
unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen bedienen, was wiederum die Möglichkeit zur
Aufdeckung von Menschenhandel erhöht.
Dies führt wie oben bereits erwähnt wiederum dazu, dass manchmal die „Schulden“
herabgesetzt werden, um die Frauen in die Lage zu versetzen, diese zu bedienen.
Damit soll vermieden werden, dass sie, um aus ihrer Situation herauszukommen,
Hilfe suchen oder annehmen.
In Bezug auf die Innenprostitution sind die
Wirkungen ebenso ambivalent: Schwierigere Verhältnisse im Miet- und Hotelmarkt, durch
die Verfolgung von Profiteuren und Aufklärungskampagnen und daraus
resultierende „Zero Tolerance Politik“ der Hotels kann dazu führen, dass
prostituierte Frauen von ihren MenschenhändlerInnen und Zuhältern abhängiger
werden. Gleichzeitig erhöht sich jedoch auch die Schwelle für den Einstieg in
die norwegische Innenprostitution, was wiederum zu weniger Menschenhandelsbewegungen
nach Schweden und Norwegen beiträgt.
Opferentschädigung
Schweden hat 2009 zusätzlich Maßnahmen ergriffen
um sicherzustellen, dass Opfer von Menschenhandel durch verlässliche Routinen
die ihnen zustehende Entschädigung durch das Staatliche Amt für
Kriminalitätsopfer erhalten, und diese sich auch nicht von Menschenhändlern
oder anderen Personen angeeignet wird.
In einem Bericht aus dem Februar 2010 („Utbetalning av brottsskadeersättning till
offer för människohandel: Redovining av ett regeringsuppdrag“) kam das Amt
zu dem Schluss, dass aus Angst vor den Tätern „nur wenig mehr als die Hälfte
der Opfer in Kriminalfällen, die zu Verurteilungen wegen Menschenhandels
führten, von den Tätern eine Entschädigung verlangte“
Hier wird eine Verbesserung angestrebt.
Quellen:
Ekberg,
Gunilla S., Brief: Swedish Laws, Policies and Interventions on Prostitution and
Trafficking in Human Beings: An Overview (Stockholm, Sweden: Institute for
Feminism & Human Rights, 13 July 2016)
Vista Analyse AS: Rapport nummer
2014/30: Evaluering av forbudet mot kjop av seksuelle tjenester, Ingeborg
Rasmussen, Steinar Strom, Sidsel Sverdrup og Vibeke Woien Hansen, July 17 2014
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