Mittwoch, 6. September 2017

Schadet doch keinem?

„Amüsiermeilen für Erwachsene“ machen Städte für Frauen bedrohlicher. 

Nicole Kalms


(Das Original erschien unter "No harm done? ‘Sexual entertainment districts’ make the city a more threatening place for women" am 09.08.2017. Hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin.)


Immer freizügigere Einstellungen zu Sex haben eine größere öffentliche Anerkennung sexueller Vielfalt ermöglicht, aber die Wünsche heterosexueller Männer dominieren nach wie vor die städtischen Landschaften.

Stadtviertel – „Amüsiermeilen“ -  in denen sich Bordelle, Peepshows, Strip Clubs und Sexshops aneinanderdrängen, sind in neoliberalen Städten üblich geworden. Ein genauerer Blick auf diese Stadtteile, die sich vorwiegend in den Wirtschaftszentren älterer Innenstädte und den äußeren Rändern jüngerer Städte finden, zeigt wie fest eingefahren sich geschlechtsspezifische Ungleichheiten im städtischen Raum manifestieren.

Die meisten kritischen Betrachtungen der entsprechenden Bezirke, die auch als „Rotlichtviertel“ bekannt sind, konzentrieren sich auf steigende Verbrechensraten und Wertverfall der Immobilien der Umgebung. Selten sind mögliche Auswirkungen auf die urbanen Erfahrungen der Bewohnerinnen Gegenstand der Diskussion.

Stripclubs stellen hier eine besondere Herausforderung dar, da sie nicht den gleichen Auflagen wie z.B. Bordelle unterliegen. In Australien und dem Vereinigten Königreich wurden die ersten legalen Stripclubs 1990 eröffnet. Seitdem ist der kommerzialisierter Sex in rasanter Geschwindigkeit allgegenwärtig geworden. 

Passend zu liberaleren Gesetzen, operieren Stripclubs mit einer gewissen Flexibilität. Anders als Bordelle können sie offen in den gängigen Medien werben und sie dürfen ihren Kunden Alkohol ausschenken. Mit einem geschätzten Einkommen von 75 Milliarden US-Dollar hat sich diese Branche, die der Stripclubs, als städtischer Wirtschaftsfaktor etabliert. Doch zu welchem Preis?

Ein Bericht der Coalition Against Trafficking in Women Australia stellt fest, dass der Alkoholkonsum in Stripclubs für die Frauen in der Umgebung der Clubs ein deutlich erhöhtes Sicherheitsrisiko bedeutet. Der Bericht legt nahe, dass Alkohollizenzen für Stripclubs unmittelbare Auswirkungen auf die soziale Kontrolle der Stripclubs haben und für Frauen zu No-Go-Areas führen, zu Stadtvierteln, die sie meiden müssen.

Das jüngste interaktive Kartenprojekt von Plan International Australien, „Free to Be“, fand heraus, dass Frauen absichtlich die gesamte Länge der King Street, Melbournes wichtigstem Stripperbezirk, meiden. Die Projektteilnehmenden berichteten, dass jede Frau in der Gegend als für sexuelle Angebote seitens Unbekannter zugänglich betrachtet wurde.

Eingereichte einzelne Berichte zur „Free to Be“  Crowdmap, also durch eine allgemeine Öffentlichkeit mit erstellte Karte, enthielten Aussagen wie folgende:

Männer denken, dass Du eine Stripperin oder Prostituierte sein musst, wenn du auf der King Street bist.

Es ist so, als sei hier alles erlaubt – Nachpfeifen, Belästigung und offen aggressives Verhalten.

Die Daten von Plan International Australien zeigen, dass Frauen in Melbourne den Zusammenhang zwischen der Stripmeile, der Annahme, dass jede Frau in der Gegend „zu Sex bereit ist“ und der Normalisierung einer hypermaskulinen Kultur verinnerlicht haben.

Um das Risiko an Belästigungen und Überfällen zu verringern, sehen sich immer mehr Frauen gezwungen ihre Routen durch die Stadt abzuändern – besonders nachts und früh morgens.

Dies beschränkt sich nicht nur auf Australien – es ist ein weltweites Problem.

Die britische Organisation Object berichtete ebenfalls, dass vorhandene Stripclubs Bereiche schaffen, in denen Frauen einen verringerten „Eindruck von Sicherheit und von eigenem Anspruch auf öffentlichen Raum“ haben. 

In diesem Zusammenhang werden Bestandteile der öffentlichen Infrastruktur und öffentlicher Verkehrsmittel wie Bushaltestellen zu Orten der Belästigung, Einschüchterung und anderer unsozialer Verhaltensweisen.

Ausbeutung jenseits der Clubs


Es ist entscheidend zu verstehen, wie das Benehmen und die Machtverhältnisse innerhalb der Geschäftsorte der Sexindustrie wie Stripclubs soziale Interaktionen auch außerhalb dieser Orte beeinflussen.

Meine jüngsten Forschungen legen nahe, dass die Ausbeutung von Frauen, die fest im Verhältnis zwischen einer Stripperin und einem Kunden verankert ist, in den öffentlichen Raum übergreift und aus Städten hetero-sexistische Umgebungen macht.  Hier kann dann von Frauen erwartet werden, dass sie Teilaspekte der Sexindustrie nachspielen und das sexuell aggressiv belästigende Verhalten von Männern dulden.

Medienberichte zu Fällen sexueller Übergriffe bekräftigen diesen Eindruck. 2015 zum Beispiel standen drei Männer johlend und lachend daneben, als ein weiterer Mann eine Frau sexuell angriff, dies nur eine Querstraße vom Goldfingers Men’s Club auf der King Street entfernt. Der Zeitpunkt des Geschehens war Dienstag nachts, als das Opfer auf dem Nachhauseweg von der Arbeit war.

2013 verfolgte ein unbekannter Mann eine 23-Jährige auf ihrem Heimweg durch die King Street, wo sie um 2 Uhr 45 nachts an einem Sonntag körperlich und sexuell angegriffen wurde. Sie hatte sich geweigert, seine Hand zu halten.

Diese Beispiele aus dem realen Leben passen zu dem, was die Akademikerin Meagan Tyler zur Objektifizierung von Frauen in Stripclubs und den Auswirkungen davon auf die allgemeine Bevölkerung sagt:

Wenn es zugelassen wird, dass manche Frauen von Männern zu deren sexuellen Erregung oder Unterhaltung gekauft werden dürfen, dann kompromittiert dies die Stellung aller Frauen in einer Gemeinschaft.

Wie jetzt weiter?


Es ist klar, dass Stripclubs und andere Geschäfte aus der Sexindustrie ein soziales Umfeld schaffen, das männliche Privilegien und Dominanz fördert. Einige Feministinnen weisen deswegen darauf hin, dass die rasante Ausbreitung von Rotlichtbezirken dazu beitragen kann, Frauen an ihren Platz in der Gesellschaft zu erinnern und „sie klein zu halten“. 

Island verbot 2010 Stripclubs mit dem Argument, dass deren Existenz die Sicherheit aller Frauen gefährde, nicht nur die innerhalb dieser Industrie.

Laut der Vorsitzenden von Australiens National Research Organisation for Women’s Safety, Heather Nancarrow, müssen wir unsere kulturelle Bindung an Hyper-Maskulinität analysieren. Dies schließt die Art und Weise mit ein, auf die Städte die übersexualisierte kommerzielle und systemische Objektifizierung weiblicher Körper normalisieren.

Forschende, Stadtplanende und alle diejenigen, die mit dem öffentlichen Raum befasst sind, müssen sich dem widmen. Es handelt sich hierbei nicht nur um ein „harmloses Vergnügen“, sondern um ein System, dass die erweiterte Infrastruktur der sexuellen Ausbeutung und der Stereotype legitimiert, mit denen Frauen unterdrückt werden.   

Heutzutage sehen wir eine größere gesellschaftliche und politische Entschlossenheit, gegen die Ursachen und Folgen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten und sexueller Gewalt vorzugehen. Und je mehr wir den Einfluss der Stadtviertel der „sexuellen Unterhaltung“ auf die Gesellschaft verstehen, desto schwerer wird es, ihre negativen Folgen zu ignorieren.


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