Gesellschaftlich sind diejenigen stigmatisiert, die in der Prostitution sind. Diese Stigmatisierung der "prostituierten" ist für das Funktionieren der Prostitution als System auch wichtig - ohne diese Ausgrenzung gäbe es keine Prostitution. Der Begriff der
„Prostituierten“ trägt dieses Stigma mit sich. Wie also damit
umgehen? Eine Sprache, die alle Zusammenhänge verdeckt, kann es ja
nicht sein, denn das ist nichts anderes als Beschönigen, Reinwaschen
von Gewalt und Propaganda. Sonst übliche Begriffe scheiden
selbstredend aus – wie also sprachlich auf diese Probleme
reagieren? Wie können wir Tacheles reden ohne verletzend zu sein?
Ende Oktober 2014
wandten sich zusammen mit der Coaltion Against Trafficking in Women und Sanctuary for Families über 300 NGOs und Betroffenenverbände an die
Associated Press um ihre Bedenken gegenüber sprachlichen Manipulationen zum Begriff der Prostitutution deutlich zu machen.
Lobbyverbände der Sexindustrie wollten den Begriff der Prostitution
durch „Sexarbeit“ ersetzen und den der (oder des) Prostituierten
durch den Begriff „Sexarbeiter“ oder „Sexarbeiterin.“
Überlebende,
Ausgestiegene und Abolitionistinnen sehen durchaus die
Stigmatisierung durch den Begriff der „Prostiuierten“ - auch wenn
es manchmal wichtig sein kann, genau das auch sichtbar zu machen. Wir
nutzen allerdings daher normalerweise den Begriff der „Frau (des
Mannes, Trans*) in der Prostitution um eine Situation auszudrücken
und keine Zuschreibung an eine Persönlichkeit. Außerdem gibt es
noch den Ausdruck der „prostituierten Frau“, um ebenfalls die
Situation, die über die gesellschaft oder über andere Akteure und
Akteurinnen für sie geschaffen wird, auszudrücken.
AP beschloss keine
automatische Ersetzung der Begriffe zu empfehlen.
October 31, 2014
David Minthorn
Stylebook
Editor
The Associated Press
(AP) 450 West 33rd St.
Sehr
geehrter Herr Minthorn,
die
UnterzeichnerInnen dieses Briefs sind Vorsitzende großer
Menschenrechtsorganisationen, Überlebende des Sexgewerbes,
AktivisitInnen und Verbündete, die daran arbeiten, Menschenhandel zu
beenden und die Opfer zu unterstützen. Dieser Brief antwortet sowohl
auf die öffentliche Einladung der Associated Press (AP), Kommentare
für die Stylebook 2015 Ausgabe zu hinterlassen und auf die online
Kampagne, mit der AP dazu aufgerufen wird, den Begriff
„Prostituierte“ durch „Sexarbeiter“ – „prostitute“
durch „sex worker“ zu ersetzen.
Wir
wenden uns entschieden gegen die Begriffe „Sexarbeit“ und
„Sexarbeiter“, „Sexarbeiterin“ und bitten AP dringend, andere
Begriffe, so wie unten vorgeschlagen, zu verwenden. Die Begriffe „ex
work“ und „sex worker“ wurden von der Sexindustrie und ihren
Unterstützern erfunden, um Prostitution als legale und akzeptable
Art der Arbeit zu legitimieren und um ihre Schäden für die im
kommerziellen Sexhandel ausgebeuteten Menschen zu vertuschen.
Studien
von Fachleuten und Aussagen von Überlebenden beweisen, dass die
kommerzielle Sexindustrie auf Entmenschlichung, Entwürdigung und
geschlechtsspezifische Gewalt ausgerichtet ist, und lebenslange
körperliche und seelische Schäden verursacht. Etwa zwei Millionen
Kinder werden in der globalen Sexindustrie ausgebeutet und bis zu 325
000 amerikanische Jugendliche sind dem Risiko sexueller Ausbeutung
ausgesetzt. Zwischen 65 und 96 Prozent der Menschen in der
Prostitution waren als Kinder sexueller Gewalt ausgesetzt; 60 bis 75
Prozent wurden von Zuhältern und Sexkäufern vergewaltigt; und
zwischen 70 und 95 Prozent wurden während der Prostitution
körperlich angegriffen. Die überwältigende Mehrheit von ihnen
leidet unter posttraumatischer Belastungsstörung. Das
durchschnittliche Todesalter einer Person in der Prostitution ist 34
Jahre.
Die
Kluft zwischen der Bedeutung des Wortes „Arbeit“ und der gelebten
Realität der prostituierten oder gehandelten Person ist zu tief, um
ignoriert zu werden. Der Begriff „SexarbeiterIn“ suggeriert
fälschlicherweise, dass die Person in der Prostitution die
hauptsächlich aktiv agierende Person in dem milliardenschweren
Sexgeschäft ist. Dies macht die wahren Profiteure unsichtbar und
entlässt sie aus jeder Verantwortung – die Menschenhändler,
Zuhälter, Anwerber, Besitzer der Bordelle und Stripclubs und die
Sexkäufer. Diese Ausbeuter konzentrieren sich auf Menschen, die
durch Armut, Obdachlosigkeit, rassistische und sexistische
Diskriminierung, und einer Vorgeschichte sexueller Misshandlung
besonders gefährdet sind.
Wir
lehnen auch den Begriff „Prostituierte“ ab, da er stigmatisierend
ist und die Person in der Prostitution mit der kriminellen Aktivität,
die an ihr verübt wird, vermischt. Statt „Sexarbeit“ schlagen
wir „Sexindustrie“, „Sexhandel“ oder „Prostitution“ vor.
Anstelle von „SexarbeiterIn“ oder „Prostituierte“ empfehlen
wir „Mensch in der Prostitution“ oder „prostiuierte Frau
(andere)“ oder „kommerziell sexuell ausgebeutete Person“. Die
Begriffe „Teen Prostitute“, „Teen Prostitution“ und „Child
Sex Worker“, also „Teenager-Prostituierte“ oder
„Teenagerprostitution“ oder „Kindersexarbeit“,
„Kinderprostituierte“ haben in verantwortungsbewusstem
Journalismus nichts zu suchen.
Im
Anhang finden Sie die Aussagen von Überlebenden, die zeigen, wie
schädlich die Begriffe „Sexarbeit“, „SexarbeiterIn“ und
„Prostituierte“ sind. Diese mutigen Individuen leiten eine
globale Bewegung mit dem Ziel, kommerzielle sexuelle Ausbeutung und
Menschenhandel zu beenden. Wir bitten AP dringend, den Austausch mit
diesen Menschen als ExpertInnen zu suchen.
Wir
schätzen die AP für ihre Verpflichtung zu einer unvoreingenommenen
und unabhängigen Berichterstattung. Sie nehmen im Journalismus eine
herausgehobene Stellung ein. Damit tragen Sie auch Verantwortung
dafür, dass die Sprache, die sie bei der Berichterstattung
verwenden, nicht unbeabsichtigterweise zu einer falschen Darstellung
beiträgt und Zustände der Unterdrückung verleugnet.
Wir
danken Ihnen dafür, dass sie unsere Bedenken ernst nehmen und laden
Sie ein, diesen Dialog über Prostitution mit uns fortzusetzen. Bitte
kontaktieren Sie jederzeit Lauren Hersh bei Sanctuary for Families
(lhersh@sffny.org) oder Taina
Bien-Aimé bei der Coalition Against Trafficking in Women
(tbien-aime@catwinternational.org)
zu offenen Fragen. Sie können sich auch an die Unterzeichnenden
wenden, deren Name mit einem Sternchen * versehen ist.
Mit
freundlichen Grüßen,
Über
300 NGOs, Bürgerinitiativen, Frauen-und Menschenrechtsorganisationen
und Einzelpersonen.
Link
zum Original mit Auflistung der Unterzeichnenden:
Pressestatement
der Coalition Against Trafficking in
Women:
http://www.catwinternational.org/Home/Article/587-over-300-human-rights-groups-and-antitrafficking-advocates-worldwide-weigh-in-on-sex-work-terminology-in-media
http://www.catwinternational.org/Home/Article/587-over-300-human-rights-groups-and-antitrafficking-advocates-worldwide-weigh-in-on-sex-work-terminology-in-media
Ausgewählte
Statements Überlebender und von Organisationen Überlebender (im
Original):
“We reject the colonial terminology of ‘sex work,’ as it hides the racist, sexist, and classist realities of prostitution. ‘Sex work’ masks the violence that our sisters struggle against on a daily basis and repackages that violence as a form of freely chosen labour.”
Members
of the Aboriginal Women’s Action Network (AWAN), CANADA
“There
is no such thing as ‘sex work.’ It is really damaging to a
survivor and all survivors worldwide to use this terminology. You are
implying that there is something about it that is regular work. If
you keep the harms and damage of prostitution right up front, what
you come out with is that it’s not a job. ‘Sex work’ has
nothing to do with work. It has everything to do with harm.”
Autumn
Burris, Founder and Director of Survivors for Solutions, California,
USA
“Prostitution
is based on acute economic inequality: being driven to ‘choose’
prostitution because of poverty is force, coercion…This ‘victimless
crime’ leaves a devastating impact on its victims … There is a
sexual war against women and children in this world. It has been
going on for a long time. This war has managed to disguise itself as
‘the oldest profession’ when, in reality, it is the oldest
oppression.”
Vednita
Carter, Founder and Director, Breaking Free, Minnesota, USA (in
Sisterhood is Forever)
“I
personally will never stop describing prostitution as prostitution,
for the same reason I will never stop describing rape as rape. We
have never, thankfully, gotten to the point in history where we
started labelling rape victims with the name of the crime done to
them, but we did that with prostitution, and we did it a long time
ago. We will not reverse this by pretending prostitution is not
prostitution; we will reverse it by insisting and demanding that
women are not that which is done to them.”
Rachel
Moran, author of “Paid For: My Journey Through Prostitution” and
Founder of SPACE International, IRELAND
“The
term ‘sex work’ is offensive. The indignity and the abuse
inflicted by the men who paid to violate me could never be considered
‘work.’ Prostitution was not a ‘choice’; prostitution chose
me.”
Bridget
Perrier, SexTrade101, CANADA
“The
term ‘sex work’ is completely inaccurate… It is used to put a
veil and disguise crimes against women, against women’s lives.
Because it is not work, it is not a choice you can make. It is not
any kind of career. It is not a behavior. The term is a disguise they
use to hide a crime.”
Beatriz
Elena Rodríguez Rengifo, ASOMUPCAR, COLOMBIA
“Using
the term ‘sex work’ justifies the sale of a person's body.
It hides abuse by turning it into a ‘job’ while rationalizing the
offenders' behavior. The phrase ‘sex work’ becomes yet
another way to implicitly support a caste system that traps the
prostituted, while defining a way to measure ‘good girls’ against
them. This is systematically as disempowering as we can get.”
Beth
Jacobs, Founder of Willow Way, USA
“Our
177 sex trafficking/trade survivor members never referred to
prostitution as ‘sex work’ while trapped in that ‘life.’
When reporters use ‘sex work,’ we feel like they're putting
a stamp of approval on the terrible things we endured. The
phrase masks the exploitation of the young, poor and vulnerable by
the richer, older and more powerful. We know that the vast majority
of people end up in prostitution because they have no other choices.
The untruth that this abuse is ‘work’ only serves to stigmatize
the sexually exploited and empowers their traffickers and abusers.”
Stella
Marr, A Founder of Sex Trafficking Survivors United, USA
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