Bei
Diskussionen und Veranstaltungen zu Prostitution stellen
wir immer wieder fest, dass die Zeit der Verherrlichung oder der
völligen Naivität zum Thema vorbei ist. Die meisten Frauen und
viele Männer wissen, dass Prostitution brutal ist und dass dies sich
nicht einfach durch eine positive Rhetorik verändern lässt, dass es
nicht ausreicht, positiv von „Sexarbeit“ zu sprechen und schon
verschwindet die Gewalt von selber, weil sie nicht mehr im „Diskurs“
vorhanden ist und deswegen nicht mehr im Zusammenhang mit
Prostitution gedacht werden kann – so der etwas naive
„dekonstruktivistische“ Ansatz.
Ein
Blick auf den Umgang unserer Gesellschaft mit Gewalt in Beziehungen
hätte immer schon ausgereicht, diesen Ansatz zusammenfallen zu
lassen. Kaum etwas wird in unserer Gesellschaft so romantisiert wie
„Liebe“ und Ehe – und gerade in Partnerschaften und Ehen ist
Gewalt, und zwar Gewalt durch Männer, sehr verbreitet, sehr
totgeschwiegen und gerade der Zusammenhang zwischen dieser Gewalt und
Romantisierung verdient in der allgemeinen Gesellschaft die
Aufmerksamkeit, die eine Reihe von Feministinnen ihm schon lange
widmet.
Was
uns allerdings immer wieder begegnet, auch von empathischen Menschen,
sind zwei Bedenken. Eins davon ist der hartnäckige Mythos, demzufolge eine Legalisierung der Prostitution samt Freiern und begleitendem
Geschäftsmodell sie irgendwie sicherer machen würde (1). Das andere ist die Frage nach den Frauen, die uns in den Medien begegnen
und die betonen, hier ihre berufliche Selbstverwirklichung gefunden
zu haben. Sie berufen sich dabei auf die Artikel 2 und 12 des
Grundgesetzes (Selbstverwirklichung und Berufsfreiheit) und treten
oft recht manipulativ auf, als junge unschuldige Frauen, die ja nur
etwas sehr Harmloses für sich wollen - „warum wollt ihr uns das
wegnehmen?“
Als
eingehende Bemerkung sei hier vorangestellt, dass sich dieser Artikel
nicht gegen diese Frauen richtet. Ebenso möchte ich voranstellen,
dass diese sehr abstrakten Überlegungen zu Prostitution sich auf eben diese akademische, theoretische und mediale Ebene beziehen. Diese
Ebene hat kaum Berührungspunkte mit der Realität der Prostitution,
im Gegenteil: Sie soll die Realität verdecken. Leider ist es diese
Ebene, auf der eben Öffentlichkeit, „Diskurse“ und damit Gesetze
beeinflusst werden, und daher müssen auch wir uns immer mal wieder auf dieser Ebene
bewegen.
In
den Medien und in der Öffentlichkeit werden Frauen, die freiwillig
„Sexarbeit“ gewählt haben, zur Rechtfertigung der Prostitution
als Geschäftszweig und gesellschaftliches Phänomen herangezogen. Es
gilt als progressiv. Nicht so „moralisch“. Was dabei übersehen
wird:
Es
handelt sich hierbei um die Rechtfertigung der Prostitution aus dem
18. und aus dem 19. Jahrhundert, um ihre Rechtfertigung bis in die
60er und 70er Jahre und darüber hinaus im 20. Jahrhundert.
„Manche
Frauen sind halt so.“ - Dies ist der Kernsatz dieser
Rechtfertigung, der Rest ist moderne Sauce, Deko.
Diese
Rechtfertigung läuft im Einzelnen so: Prostitution existiert, weil
es Frauen gibt, die unbedingt – Prostituierte – sein wollen. Es
gibt Frauen, die eben so sind, und daher gibt es Prostitution. Das
war neben Theorien über die Triebhaftigkeit von Männern, neben der
Trennung der Frauen in „Ehefrauen“ und „Huren“, ein
wesentlicher Pfeiler der Rechtfertigung des Freiertums. Die Freier
mussten sich zu den von ihnen benutzten Frauen keine Gedanken machen,
die Gesellschaft auch nicht – die waren eben so. Triebhaft, oder
einfach dumm oder dies oder das – sie waren jedenfalls diejenigen,
die in der Prostitution sein wollten und daher gab und gibt es das
Phänomen, und daher muss oder sollte es das Phänomen geben (2). An
diesem Ansatz hat sich nichts geändert außer der Dekoration. Die –
Prostituierte – ist jetzt eine – Sexarbeiterin - , ihre
Entscheidung ist freiwillig, jedenfalls so freiwillig wie die zu
anderen Jobs auch, und daher müssen sich weder Freier noch
Gesellschaft Gedanken machen, im Gegenteil, Prostitution zu
ermöglichen gilt als ethische Tat. In Wirklichkeit handelt es sich
um die einfache Praxis, Männern grundsätzlich Frauen zur sexuellen
Benutzung zur Verfügung zu stellen, was sich geändert hat, ist lediglich die moralische Sauce, die darüber gekippt wird.
Dass
es Prostitution gibt, weil wir in Gesellschaften leben, in denen der
Wunsch eines Mannes Befehl ist und die daher ein Recht von Männern
konstruieren, Frauen zu benutzen, wird damit aus dem Blickfeld
gekickt, die Tatsache, dass in neoliberalen und kapitalistischen
Gesellschaften auch Befehle monetarisiert werden können, ebenso.
Dennoch ist das die Ursache der Institution Prostitution, nicht der
Wunsch einzelner Frauen, darin ihr Geschäft zu gründen. Welche
Rolle die Wünsche von Frauen nach Selbstverwirklichung und nach
beruflicher Selbstgestaltung in unserer Gesellschaft sonst spielen,
ist ja nun an jeder Statistik zur Armut, zur Altersarmut, zu
Einkommen und zu Führungspositionen abzulesen. Nur bei Prostitution
– da unterstützen sie uns gerne, wenn es um „das Recht“ geht,
in der Prostitution zu sein, da stehen sie alle hinter uns, von
Taxifahrern bis zu Uniprofessoren und Richtern. Danke, nein danke.
Soweit
die gesellschaftliche und auch die abstrakte Ebene. Bleibt natürlich
noch die konkrete Ebene der einzelnen Frau, die eben von sich sagt,
dass sie genau dieses System für sich nutzen will und dabei weder
gestört noch beleidigt werden will. Letzteres: Unbedingt, und da
sind wir uneingeschränkt auf ihrer Seite. Ersteres – bedingt. Sie
darf dafür kämpfen, das sagen, sich dafür einsetzen: Das fällt
unter Artikel 5 unseres Grundgesetzes (Meinungs- und Pressefreiheit)
und ggf. auch unter Artikel 8 (Versammlungs- und
Demonstrationsfreiheit). Nur verpflichtet das niemanden, jede
Geschäftsidee zu unterstützen. Wenn wir das schon auf einer
antiseptischen abstrakten rechtlichen Ebene diskutieren, so nehme ich
hier das Beispiel der Atomkraftwerke, der Atomenergie. Meinetwegen
auch Fracking, oder Braunkohleabbau. Es gibt bestimmt ausgezeichnete
Atomwissenschaftlerinnen, die gerne in einem AKW arbeiten würden,
ein solches leiten würden, die daran keinen Schaden nehmen würden
und die das auch gut könnten – deswegen stelle ich denen trotzdem
kein Atomkraftwerk hin, unterstütze weiterhin die GegnerInnen der
Rodung des Hambacher Forsts, und möchte kein Fracking hier (3). Die
einzelne Frau kann für sich selbst solche Entscheidungen treffen –
es ist ja nicht illegal, selber in der Prostitution zu sein. Sie kann
sich einen Kundenstamm aufbauen und auf der persönlichen Ebene dabei
bleiben, dass die Männer, mit denen sie zusammen ist, den sexuellen
Zugang und eine bestimmte Inszenierung dann eben bezahlen müssen.
Daran ist sie nicht gehindert. Der ganze Geschäftszweig darum herum
fällt allerdings aus. Und in der Tat kann ihr hin- und wieder ein
Kunde abhanden kommen. Allerdings hat sie bei Gewalt durch den Kunden
zwar immer noch geringe Chancen – welche Männer nutzen eine Frau, bei der sich herumspricht, dass sie anzeigt, egal in welchem System? - aber doch wenigstens einige,
da der Freier wenigstens per se nach dem schwedischen Ansatz im
Unrecht ist, und nicht die Frau.
Bleibt
noch die dezidiert nicht mehr a-septische, saubere, hübsche,
abstrakte Ebene. Die Ebene, die wir täglich auf der Kurfürstenstraße
besichtigen können, so wir das wollen. Diese Ebene lässt sich weder
durch positives Gerede zur „Sexarbeit“ verbessern – im
Gegenteil – noch wird sie durch die Freierbestrafung per se
beseitigt. Sie braucht zusätzliche Interventionen, beziehungsweise das Gesamtpaket des schwedischen Modells, in dem die
Kriminalisierung der Freier eine wesentliche Rolle spielt, so wie andere Einstellungen in der Gesellschaft, so wie vor allem Angebote
an Frauen, die sie wirklich aus der Armut holen. Aber auch hier wollen wir gesellschaftskritische Menschen und gerade solche, die sich
eher als links sehen, zu Analyse und Nachdenken ermutigen: Welchen
Beitrag leistet ein Geschäftszweig, der die Marginalisierung,
Stigmatisierung und die Armut vieler Frauen braucht, damit sie zur
Verfügung stehen, zur Beseitigung dieser Armut und Marginalisierung?
Welchen Beitrag leistet Prostitution als Geschäftszweig zur
Beseitigung ihrer eigenen Ressourcen? Dieser Geschäftszweig und die
ihn finanzierenden Männer haben jedes Interesse daran, Armut,
Marginalisierung und Stigmatisierung als Ressource aufrecht zu
halten. Solange unsere Gesellschaft Prostitution für akzeptabel oder
wünschenswert hält, wird sie an der Situation von Frauen und
Mädchen, auch von ausgegrenzten jungen Männern, nichts ändern.
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- Zu diesem Thema gibt es inzwischen kilometerlang Artikel und Studien. Die Kurzfassung ist folgende: Das einzige, was eine Legalisierung oder Entkriminalisierung von Zuhälterei, Freiertum, Bordellbetrieb und Vermittlungsdiensten bringt, ist ein explodierter Markt, eine erhöhte Bewerbung und eine ausufernde Anspruchshaltung seitens der Käufer. Damit explodieren auch die Begleiterscheinungen der Prostitution: Gewalt, Übergriffe, Menschenhandel, Zwangsprostitution, Krankheiten und immer schlechtere Bedingungen für die Ausübung der Prostitution seitens derer, die ihren Körper hinhalten (müssen). Das Ganze jetzt noch systematischer besteuert. Schöner Erfolg, nicht wahr? Nicht.
- Weitere Lektüre zu diesem Thema: Kajsa Ekis Ekman, Ware Frau: Prostitution, Leihmutterschaft, Menschenhandel. Deutsch: Orlanda Frauenverlag GmbH, 2016.
- Zum
Thema Berufsfreiheit vgl. auch das Urteil zur Verfassungsbeschwerde
seitens Eon, RWE und Vattenfall. Betreiber hatten versucht, den
Ausstieg aus der Atomenergie u.a. mit Hinweis auf die Berufsfreiheit
gerichtlich zu stoppen. Es hat nicht geklappt. Einzelheiten:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/energiepolitik/verfassungsgericht-verhandelt-milliardenklage-gegen-atomausstieg-14121995.html
und:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/12/rs20161206_1bvr282111.html
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